Der unvergängliche Präsident
Die Gäste waren versammelt, die Kandidaten angespannt und die Sponsoren erwartungsvoll, hatten sie doch zwischen 250 und 4000 Dollar für die Teilnahme an dem Fundraising-Dinner auf den Tisch gelegt. Dann verbreitete sich die Kunde, dass der Star des Abends abgesagt hatte. Doch die Enttäuschung ging fast augenblicklich in Enthusiasmus über, als bekanntgegeben wurde, welchen Ersatz man erwarten durfte: Hillary Clinton, die angekündigte Hauptrednerin des Abends zugunsten des demokratischen Gouverneurskandidaten im Gliedstaat Maryland, wollte als frischgebackene Grossmutter etwas mehr Zeit mit ihrem ersten Enkelkind verbringen und hatte kurzerhand ihren Gatten Bill gebeten, ihren Part zu übernehmen. Und so trat er applausumtost ans Podium: von Charme und Esprit geradezu überfliessend, mit dem dichten grauen Haar eines Elder Statesman und vor allem schlank und rank, deutlich gesünder aussehend als zu seiner Amtszeit.
Bill Clinton ist ein Phänomen. Viele US-Präsidenten tauchen nach Ende ihrer Amtszeit ab, dosieren ihre Auftritte in der Öffentlichkeit strikt. Clintons Nachfolger George W. Bush verbringt seine Seniorentage mehr an der Staffelei als hinter einem Redepult; in früheren Zeiten führten Lyndon B. Johnson und Dwight D. Eisenhower ein geruhsames Rentnerdasein auf der eigenen Farm, bei Ronald Reagan war der Rückzug krankheitsbedingt. Bill Clinton indes ist seit 35 Jahren auf der höchsten Ebene amerikanischer Politik präsent, seit er im Alter von 33 Jahren erstmals eine Rede auf einem Wahlparteitag hielt. Es ist kein Klischee, wenn man feststellt, dass Clinton bei seinen Auftritten die Herzen zufliegen – Auftritte übrigens, die ihn zu einem reichen Mann haben werden lassen. In einer politisch tief gespaltenen Gesellschaft kommt er am ehesten dem Ideal der Gründerväter vom «President above Party» entgegen. Auch ein grosser Teil der republikanischen Wählerschaft mag den 42. Präsidenten, der aus seiner Freundschaft mit den einstigen politischen Gegnern gleichen Namens, seinem Vorgänger Bush und seinem Nachfolger Bush, kein Hehl macht.
Dass er überhaupt noch da und in so guter Form ist, beeindruckt mich als Arzt natürlich ungemein. Der Politiker, der einst der Posterboy für schlechte Ernährung war, ist zu einem Vorbild gesunder Lebensführung geworden. Als Clinton 1992 zum 42. US-Präsidenten gewählt wurde, wurde schnell bekannt, dass Hamburger und Pommes frites seine Leibspeise waren. In seinem letzten Amtsjahr 1999 stellte der Arzt des Weissen Hauses fest, dass der Chief Executive binnen zwei Jahren 18 Pfund zugenommen hatte. Es kam, wie es kommen musste: 2004 bekam Clinton einen vierfachen Bypass, 2010 wurden zwei koronare Stents eingesetzt.
Sein Speiseplan sieht laut einer Polit-Website heute so aus: «Clintons Mahlzeiten bestehen häufig aus geröstetem Blumenkohl mit Cherrytomaten, klein gehackter roter Beete, Hummus, Zuckererbsensalat, gerösteten Nüssen, Melonen und Erdbeeren.» Seine eigene Erfahrung mit der Hinwendung zu einer gesunden Lebensführung will er mit jungen Landsleuten teilen. Die von ihm ins Leben gerufene Clinton Foundation arbeitet mit der American Heart Association in einem Programm zusammen, das in 12 000 Schulen für gesünderes Mittagessen und für mehr körperliche Aktivität bei Kindern, bei denen Fettleibigkeit fast endemisch ist, sorgen soll.
«Ich wollte es noch erleben, Grossvater zu werden», äusserte Clinton gegenüber der Seniorenvereinigung AARP. In Bills unbändigem Willen zum Überwinden seiner persönlichen Risikofaktoren steckt neben der Vorfreude auf das Enkelkind deutlich erkennbar noch ein anderer Antrieb, der bei ihm in den letzten Jahren noch einmal Energien freigesetzt hat. Der Mann, dem der Historiker Douglas Brinkley die Kombination «Ehrgeiz, Willen, Narzissmus und Talent» zuspricht, hat ein Ziel vor Augen. Clinton strebt offenbar danach, ein historisches Novum zu werden: der erste Präsident, der für vier oder gar acht Jahre ins Weisse Haus zurückkehrt und für den ein neuer Terminus geschaffen werden müsste: «First Husband» oder «First Spouse». An der Seite von Präsident Nr. 45 (oder Präsidentin Nr. 1) wäre es für den einst Skandalgebeutelten Triumph und Katharsis von epischem Ausmass.
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