American Democrats on the Back Foot: Barack Obama’s Last Act

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US-Demokraten in der Defensive

Barack Obamas letzter Akt

«Wahlkampf führt man in Poesie, regiert wird dann in Prosa», lautet ein altes Politiker-Sprichwort aus den USA. Es passt auf kaum jemanden besser als auf Barack Obama, der mit seiner hochfliegenden Rhetorik einst Millionen von Amerikanern begeisterte, sich dann aber immer mehr im Dickicht des politischen Alltags verhedderte. Ob Poesie oder Prosa, im Drama der Ära Obama beginnt nun bald der vierte und letzte Akt. Er wird voraussichtlich einen stark angeschlagenen Präsidenten zeigen, dessen Autorität selbst bei politischen Freunden rapide schwindet, weil er kaum noch neue Akzente zu setzen vermag und seine Partei ihre Zukunft bereits ohne ihn plant.

Zum Auftakt seiner letzten beiden Jahre im Amt steht Obama eine weitere Demütigung bevor. Seine Hoffnung, den Republikanern die Kontrolle über das Repräsentantenhaus zu entreissen und damit Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, hat sich längst zerschlagen. Vielmehr zeichnet sich ab, dass die Demokraten bei den Wahlen von nächster Woche auch noch die Mehrheit im Senat verlieren werden.

Von den bedrängten demokratischen Kandidaten wird Obama wie ein Aussätziger behandelt; keiner will sich bei öffentlichen Auftritten mit ihm zeigen. «Der Präsident ist irrelevant», knurrt der demokratische Senator von Alaska, «in zwei Jahren ist er weg.» In Kentucky wirbt die Kandidatin der Partei in einem Fernsehspot mit dem Slogan «Ich bin nicht Barack Obama», bevor sie ihre Differenzen mit dem Präsidenten aufzählt und zum Schluss ihr Geschick im Tontaubenschiessen demonstriert.

Eine Ohrfeige mit Tradition

Seit Obama vor sechs Jahren ins Weisse Haus einzog, haben die Demokraten eine Machtposition um die andere verloren. Sie büssten nicht nur ihre beherrschende Rolle im Kongress ein, sondern mussten auch zusehen, wie sich die Waagschale in den Regierungen und Parlamenten der Teilstaaten zugunsten der Republikaner verschob. Wird Obama seine Partei zuletzt in schwächerem Zustand hinterlassen, als er sie einst übernommen hatte? Es wäre eine bittere Bilanz für einen Politiker, der unverhohlen auf einen herausragenden Platz in den Geschichtsbüchern aspiriert hat.

Und ist die drohende demokratische Niederlage in den Kongresswahlen gar der Vorbote dafür, dass die Republikaner bald auch wieder den Präsidenten stellen werden? An Anwärtern mangelt es im gegnerischen Lager jedenfalls nicht, selbst ein Vertreter des Bush-Clans, der 61-jährige Jeb, scheint in den Startlöchern zu stehen. Für Obama, der mit dem Anspruch angetreten war, die Politik des Landes von Grund auf zu erneuern, wäre das Comeback dieser Dynastie erst recht eine Schmach. Doch vorerst spricht nicht allzu viel für ein solches Szenario.

Weitreichende Schlüsse lassen sich aus einem allfälligen Triumph der Republikaner am 4. November ohnehin nicht ziehen. Die Grand Old Party profitiert unter anderem davon, dass bei der Teilerneuerung des Senats in diesem Jahr besonders viele Sitze in republikanischen Hochburgen zur Wahl stehen. Sie hat zudem aus früheren Fehlern gelernt und bei der Kandidatenauswahl darauf geachtet, den Einfluss der radikalen Tea-Party-Bewegung zurückzudrängen. Vor allem aber hilft den Republikanern der Überdruss, der sich im Laufe jeder langen Präsidentschaft beim Wahlvolk einstellt und sich traditionellerweise zur Mitte einer zweiten Amtszeit in einer Ohrfeige für die Präsidentenpartei entlädt.

Ausser Bill Clinton hat in den letzten 150 Jahren jeder wiedergewählte Präsident diesen «Sechs-Jahres-Juckreiz» zu spüren bekommen. Auch Obama wird keine Ausnahme sein. Nur noch vierzig Prozent der Amerikaner heissen seine Amtsführung gut; damit steht er nur unwesentlich besser da als sein Vorgänger Bush in derselben Phase der Präsidentschaft. Viele ehemalige Anhänger wenden sich von Obama ab, weil er ihre Erwartungen nicht erfüllt hat. Sie vermissen bei ihm die nötige Führungsstärke und trauen ihm nicht mehr zu, die versprochene Transformation Amerikas in eine sozialere, ökologischere und wirtschaftlich erfolgreichere Richtung zu vollbringen.

Eklatante Fehler, wie sie Bush junior mit der Besetzung des Iraks beging, kann man Obama nicht anlasten. Auch läuft die Wirtschaft besser, als der Missmut vieler Wähler vermuten lässt: Das Wachstum ist kräftig, die Arbeitslosigkeit sinkt, der Häusermarkt hat sich erholt. Zum Popularitätsverlust trägt vielmehr der Eindruck bei, dass der Chef des Weissen Hauses entscheidungsschwach ist, Mühe bei der Lenkung des Regierungsapparats bekundet und sich von den Ereignissen oft einfach treiben lässt. Als Modernisierer mit prägender Gestaltungskraft wird dieser Präsident kaum in Erinnerung bleiben. Zwar erleben die USA derzeit fundamentale Umbrüche, aber diese sind nicht primär mit dem Namen Obama verbunden.

Die Hauptrolle bei der Ankurbelung der Wirtschaft spielte die Zentralbank mit ihrem Kurs der monetären Lockerung, während der markanteste gesellschaftspolitische Durchbruch der letzten Zeit, die Zulassung der Homosexuellen-Ehe in der Mehrheit der Teilstaaten, mithilfe der Gerichte gelang. Die USA konnten in den letzten fünf Jahren die CO₂-Intensität ihrer Wirtschaft stärker reduzieren als die EU und ihre Abhängigkeit von ausländischem Erdöl auf den tiefsten Stand seit drei Jahrzehnten verringern. Aber diese Entwicklungen sind das Resultat von technologischen Revolutionen, nicht von Klima- und Energiegesetzen aus Washington.

Demokratische Trümpfe

Obamas wichtigstes innenpolitisches Vermächtnis ist weiterhin die Gesundheitsreform aus seiner ersten Amtszeit. Ihre Folgen lassen sich jedoch schlecht abschätzen, und vorerst bleibt sie unpopulär. Alle anderen grossen Vorhaben sind nach der Wiederwahl im Sande verlaufen – die Liberalisierung der Einwanderungspolitik, die Einschränkung des Waffenhandels, das geplante Klimagesetz. Nach einer republikanischen Machtübernahme im Senat wird das Weisse Haus im Kongress erst recht auf erbitterten Widerstand stossen; das Schimpfwort «lame duck»-Präsident wird dann zunehmend die Runde machen. Doch all dies bahnt den Republikanern noch keinen Weg zurück ins Weisse Haus.

Die Partei krankt noch immer an denselben Problemen, die sie 2012 den Sieg gekostet haben: Sie schneidet schlecht ab bei Frauen, Jüngeren und Minderheiten wie den Latinos, deren Wähleranteil rasch wächst. Bei der Wählermobilisierung ist sie organisatorisch den Demokraten unterlegen, und vorläufig fehlt ihr auch eine Führungsfigur, wie sie die Demokraten in der Person von Hillary Clinton besitzen. Die frühere Aussenministerin und Senatorin hat nach jetzigem Stand ausgezeichnete Karten. Ob sie ihre Chance 2016 zu nutzen weiss, ist allerdings eine andere Frage.

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