A Plague Called ‘Fearbola’

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Eine Seuche namens “Fearbola”

Lehrer und Schüler müssen zu Hause bleiben, Kinder werden zusammengeschlagen: In den USA grassiert die Angst vor Ebola, verstärkt durch Rassismus und Ignoranz.

VON FRAUKE STEFFENS, NEW YORK

Togba Porte ist kein Mann, der sich schnell aufregt. Er leitet ein kleines Bestattungsunternehmen auf Staten Island, jenem Stadtteil von New York, der vielleicht am wenigsten großstädtisch ist. Porte kommt ursprünglich aus Liberia – nun lebt er in “Little Liberia”, wie die Straßenzüge um die Targee Street genannt werden. Doch seit einigen Wochen ist es mit seiner Ruhe vorbei.

Wegen Ebola sorgt er sich um Freunde und Verwandte in Liberia. Doch das ist nicht alles: Angst macht ihm auch die Entwicklung in den USA. Gemeinsam mit anderen hat Porte ein “Ebola Crisis Committee” gegründet. “Es gibt hier Kinder, die beschimpfen sich gegenseitig mit: ‚Du hast Ebola‘”, erzählt er.

Zwölf Menschen sind am Montagabend in die Moravian Church zum Treffen der Gruppe gekommen. Pastor Wellesley Ferguson hat seinen Gruppenraum zur Verfügung gestellt. “Vielen Schwarzen wird plötzlich anders begegnet – und deswegen ist es wichtig, dass alle gemeinsam etwas dagegen tun”, sagt er.

In der Gruppe können alle Geschichten von Diskriminierung und Panik erzählen: über Leute, die in der U-Bahn nicht mehr neben Schwarzen sitzen wollen, über Angestellte, denen ihr Chef davon abrät, nach Little Liberia zu fahren. Die Gruppe will eine Social-Media-Kampagne starten, mit dem lokalen College zusammenarbeiten, herausfinden, was man tun kann gegen Angst und Ignoranz. “Es geht nicht nur um Liberianer”, sagt Wendy de Shong-Neuhalfen. “Alles, was afrikanisch ist, wird in einen Topf geworfen. Viele Menschen unterscheiden auch gar nicht zwischen den verschiedenen Ländern in Afrika. Es ist Rassismus im Spiel, aber auch Unwissenheit.”

“Fearbola” hört nicht auf Argumente

US-Zeitungen haben für die Mischung aus Angst und Ressentiments bereits einen Namen gefunden: “Fearbola”. In Mississippi traf es einen Schuldirektor. Lee Wannik war zu einer Beerdigung nach Sambia gereist. Als er in seine kleine Heimatgemeinde Hazlehurst zurückkehrte, vertrieb ihn die Ebola-Hysterie aus seiner eigenen Schule. Denn einige Eltern hatten von seiner Reise erfahren und holten ihre Kinder sofort nach Hause.

Das Regionalfernsehen zeigte einen Massenauflauf vor der Schule. “Ich will kein Ebola haben und ich will nicht, dass mein Kind Ebola bekommt”, sagte eine Mutter einem Reporter. Dass Sambia weit entfernt ist von den Ländern mit Ebola-Fällen, überzeugte die Eltern nicht. Rektor Lee Wannik wartet nun zu Hause darauf, dass die dreiwöchige Inkubationszeit eines Virus zu Ende geht, das in Sambia bisher nicht vorkommt – und auch nicht in Mississippi. In Hazlehurst seien die Leute arm und ungebildet, spekuliert ein Reporter im Regionalfernsehen, vielleicht liege es daran.

In Maple Shade, New Jersey, sind die meisten Leute nicht arm. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen liegt bei 50.000 Dollar – die Zahl der Menschen an der Armutsgrenze ist unter dem nationalen Durchschnitt. Doch auch hier können zwei Kinder nicht mehr zur Schule gehen, weil sie aus Ruanda kommen. Dabei hat es dort bisher keinen einzigen Ebola-Fall gegeben. Das Land liegt von den meisten betroffenen Gebieten so weit entfernt wie New York von San Francisco.

Mehrmals täglich Fieber messen

Dennoch kündigte die Schulleitung an, bei den Kindern 21 Tage lang mehrmals täglich Fieber messen zu wollen. Zudem informierte sie die Eltern darüber, dass man neue Schüler aus dem afrikanischen Land erwarte. Daraufhin machten einige von ihnen so lange Druck, bis die Kinder zu Hause bleiben mussten.

Die Schulleitung weigert sich, ihr Vorgehen persönlich zu erklären – die Sekretärin verweist am Telefon auf die Homepage. Dort heißt es, die Eltern hätten die Kinder freiwillig sogar noch länger zu Hause behalten als “nötig”. Auch die betroffene Familie redet nicht mit Journalisten.

Dafür reagierte Ruanda und kündigte an, künftig alle Reisenden aus den USA am Flughafen zu untersuchen. Schließlich gab es dort im Gegensatz zu Ruanda schon Erkrankte und einen Toten. Allerdings nahm das Land diesen Schritt nach vier Tagen zurück und verbreitete Entschuldigungen über Twitter. Die Gesundheitsministerin Agnes Binagwaho habe “erst gehandelt und dann gedacht”, schrieb Präsident Paul Kagame. Wie diese Kehrtwende zustande kam, ist unbekannt.

Doch Opfer der Ebola-Hysterie können auch Menschen werden, die gar nicht im Ausland waren. Einer Lehrerin aus Strong in Maine wurde zum Verhängnis, dass sie an einer Konferenz in Dallas teilgenommen hatte. Jener texanischen Stadt also, in der der erste Patient in den USA an Ebola starb und sich zwei Krankenschwestern infizierten.

Die Lehrerin hatte keinerlei Kontakt mit den Infizierten oder dem betreffenden Krankenhaus, dennoch befindet auch sie sich auf Druck der Eltern nun für drei Wochen im Zwangsurlaub. Better safe than sorry lautet die Logik. Die Schule selbst erklärt, es gebe zwar keinen Grund anzunehmen, dass die Lehrerin sich mit Ebola infiziert habe. Aber man nehme eben die Sorgen der Eltern ernst. Die Beurlaubte kann nur hoffen, dass die Hysterie sich legt, wenn sie nach drei Wochen immer noch kein Ebola hat.

Auch Bildung schützt nicht vor Panik

Viele Kommentatoren schreiben die Ebola-Panik einer Mischung aus Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu. Die Seuche werde gleichgesetzt mit dem Anderen, hier “dem Schwarzen” – und Afrikaner würden als “krank” dem “gesunden” Westen gegenübergestellt. Eine These, die einiges für sich hat, aber sie erklärt nicht alles. In dem Fall des Schuldirektors aus Mississippi etwa waren die ängstlichen Eltern überwiegend Schwarze.

Andere meinen, die Hysterie sei vor allem das Resultat mangelnder Bildung. Michel du Cille ist Fotojournalist für die Washington Post und er hat erfahren müssen, dass auch diese Erklärung nur begrenzt taugt. Du Cille hat drei Pulitzer-Preise gewonnen, im September war er in Liberia, berichtete über die Ebola-Epidemie. Er kehrte gesund nach Hause zurück und hatte sich immer so geschützt, dass er sich keine Sorgen um seine Gesundheit machte.

Mitte Oktober, nach der möglichen Ebola-Inkubationszeit, wollte er den Studenten der Syracuse Universität im Bundesstaat New York von seinen Erfahrungen berichten. Doch die Universität lud ihn aus. Begründung: Viele Studenten machten sich Sorgen wegen Ebola.

Kein Studienplatz wegen Ebola

Genauso ging es Wade C. L. Williams, einer preisgekrönten liberianischen Journalistin, die einen Vortrag an der Universität von Georgia halten sollte. “Ich bekam einen Anruf vom Vizedekan, dass die Eltern sich Sorgen machen und man das ernst nehme. Ich war wütend. Ich hatte diesen Vortrag zwei Monate lang geplant”, sagt Williams. “Ich bin gesund, meine Kinder und mein Mann sind gesund. Es ist, als wollten die Leute nicht zur Kenntnis nehmen, dass man direkten, körperlichen Kontakt mit Infizierten haben muss, um Ebola zu bekommen.”

Hinzu kommt: Auch an Universitäten muss man nicht in Liberia gewesen sind, um zum Opfer von “Fearbola” zu werden. Das Navarro College in Texas etwa verschickte an Bewerber aus Nigeria Ablehnungsschreiben mit dem Hinweis, man nehme zur Zeit keine Studenten aus Ländern auf, in denen es bestätigte Ebola-Fälle gebe. Nigeria gilt jedoch als vorbildlich im Kampf gegen die Seuche und wurde jetzt für Ebola-frei erklärt.

Ein Twitter-Nutzer fragte daraufhin ironisch, ob man überhaupt noch US-Amerikaner zum Studium zulassen wolle, denn immerhin gebe es hier ja Ebola-Fälle. Das College entschuldigte sich halbherzig – man lege den Schwerpunkt bei den internationalen Studenten zur Zeit eben auf Bewerber aus China und Indonesien, heißt es in einer Pressemitteilung.

Angst als politische Waffe

Auch in Zusammenhang mit den anstehenden Kongresswahlen am 4. November ist “Fearbola” längst Thema geworden. Senatoren rufen nicht nur nach einem Landeverbot für Flüge aus betroffenen Ländern. Der republikanische Abgeordnete Joe Wilson ergeht sich sogar in Fantasien darüber, dass Hamas-Terroristen Ebola als biologische Waffe nutzen könnten – für ihn ein Grund mehr, die Grenze zu Mexiko endlich zu schließen.

Mit Angst lässt sich eben Politik machen. Den “Herrschenden” wird ein Versagen unterstellt, das nur durch Abschottung und eine “starke Hand” korrigiert werden könne. Noch erklärt eine Mehrheit der Amerikaner in Umfragen zwar, dass sie keine Angst hat vor einer Ansteckung mit dem Ebola-Virus. Doch es gibt viele, die ein Interesse daran haben, diese Angst zu schüren.

Und das hat nicht nur negative Auswirkungen auf die betroffenen Menschen in den USA. Noch mehr könnte diese Panik vor dem Virus den eigentlichen Opfern in Westafrika schaden. Dann nämlich, wenn durch ein Klima der Angst Menschen davon abgehalten werden, vor Ort zu helfen.

Feindseligkeiten am Flughafen

Die Krankenschwester Kaci Hickox beispielsweise schildert, dass ihr die Angestellten auf dem Flughafen in Newark in New Jersey bei ihrer Rückkehr von einem Einsatz in Sierra Leone feindselig begegneten. Solche Erlebnisse könnten andere davon abhalten, nach Westafrika zu gehen, fürchtet Hickox.

“Wann ist der richtige Zeitpunkt, um sich auf Ebola testen zu lassen”, fragen sich aufgeregte Diskutanten bei CNN auf dem großen Bildschirm in der Wartehalle der Fähre nach Staten Island. “Der Fernseher mit der ganzen Panikmache läuft in manchen Haushalten 24 Stunden am Tag”, beklagt ein Teilnehmer des Krisentreffens auf der Insel.

Während sich hier in der Kirche die Gruppe von Togba Porte trifft, wird bekannt, dass in der Bronx zwei Kinder zusammengeschlagen worden sind – von 15 Jugendlichen, die gerufen haben sollen: “Du hast Ebola!” Die Eltern der beiden Jungen kommen aus dem Senegal. Die Brüder wurden so schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus mussten. “Es geht los”, sagt eine Frau vor der Kirche. Einige nicken schweigend, niemand mag ihr widersprechen.

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