Europe Is More Dependent on the US than China

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Europa ist abhängiger von den USA als von China

Die Europäer interessieren sich nicht mehr für die USA. Dabei ist die US-Politik für die Europäische Union viel wichtiger als die jeden anderen Landes. Einige Projekte sind nur mit ihnen möglich.

Es ist erschreckend, mit welchem Desinteresse die deutsche Öffentlichkeit die Kongresswahlen in den USA straft. Jeder noch so unwesentliche Skandal erhält mehr Aufmerksamkeit. Als wäre es für Deutschland belanglos, wer im Repräsentantenhaus und Senat das Sagen haben wird. Welcher Irrtum!

Die USA sind immer noch bei Weitem die wichtigste und größte Volkswirtschaft der Welt. Auch wenn stets behauptet wird, dass China ökonomisch alle überholt habe und an der Spitze stehe. Diese Aussage ist selbst dann falsch, wenn man sich auf die lokale Kaufkraft konzentriert, also fragt, wie viel die Chinesen mit ihrem Einkommen insgesamt kaufen können und alle Ausgaben, die innerhalb Chinas erfolgen, “gewichtet” mitzählt – unbesehen von Qualität und internationaler Attraktivität.

Bei der Rangliste des Kaufkraft bereinigten Bruttoinlandprodukts (BIP) steht 2013 China mit 16,2 Billionen in der Tat nur noch knapp hinter den USA (16,8 Billionen “internationale Dollar) und deutlich vor dem Euro-Raum (12,4 Billionen).

Riesiger Handelsüberschuss statt Defizit

Nimmt man jedoch die reale Kaufkraft auf den Weltmärkten insgesamt als Vergleichsmaßstab, rechnet also das chinesische BIP zu aktuell gültigen Wechselkursen in US-Dollar um, zeigt sich ein völlig anderes Bild. Dann stehen die USA mit ihren 16,8 Billionen US-Dollar einsam an der Spitze, weit vor dem Euro-Raum mit 12,7 Billionen US-Dollar und China mit 9,2 Billionen US-Dollar.

Die Weltwirtschaft interessiert weniger was innerhalb Chinas passiert, sondern was sich auf den Weltmärkten abspielt. Da belegt China zwar Platz eins der Exportnationen, liegt aber bei den Importen immer noch rund 400 Milliarden US-Dollar hinter den USA zurück.

Vor allem dominieren die USA den Dienstleistungshandel, dem als Wachstumstreiber im 21. Jahrhundert eine unvergleichlich gewichtigere Rolle als dem Güterhandel zukommen wird. Bei den Dienstleistungen beträgt das Handelsvolumen der USA mit etwas über einer Billion US-Dollar das Doppelte dessen, was China umsetzt.

Für die deutsche Wirtschaft ist China zweifelsfrei wichtig. Aber die USA bleiben bedeutender. Mit keinem anderen Land erzielt die deutsche Wirtschaft einen größeren Außenhandelsüberschuss. Er betrug 2013 gegenüber den USA mehr als vierzig Milliarden Euro. Gegenüber China hingegen entstand ein Außenhandelsdefizit von über sieben Milliarden Euro.

Europa bleibt abhängiger von den USA als von China

Das soll nicht heißen, dass belanglos ist, wie sich China weiterentwickelt, und ob das beeindruckende Wachstumstempo der vergangenen Jahrzehnte gehalten werden kann. Natürlich wird Südostasien alleine wegen der stark wachsenden Bevölkerung für deutsche Ex- und Importe an Bedeutung gewinnen. Aber gerade deswegen ist es einfach höchste Zeit zu erkennen, dass Deutschland von den USA stärker abhängig bleibt als von China.

Denn die USA sind nicht nur als Handelspartner für Deutschland wichtig. Sie sind für Europa als Verbündeter unverzichtbar – erstens aus politischer Sicht zur Schaffung und Sicherung von Frieden und Freiheit und zweitens im Kampf um offene Märkte und internationale Rechtssicherheit aus ökonomischer Perspektive.

Es ist die ignorante Arroganz Europas zu glauben, alleine und ohne die tatkräftige Unterstützung der USA eine stabile, westlichen Vorstellungen entsprechende Weltwirtschaftsordnung bewahren zu können. Eine, die Menschenrechte wahrt und umfassend individuelle Grund- und Freiheitsrechte – insbesondere Meinungs- und Religionsfreiheit, Eigentum und Selbstbestimmung für alle gleichermaßen garantiert. Für einen nachhaltig erfolgreichen Handel Deutschlands mit China sind sie aber auch unverzichtbar.

Fracking macht die Amerikaner unabhängiger

Deshalb ist es sehr wohl entscheidend, wem die Amerikaner die Macht im Kongress übertragen. Und die Entscheidung kann für Europa dramatischere Folgen haben, als manchem lieb sein kann.

Denn letztlich geht es um die in den Vereinigten Staaten momentan heftig debattierte Frage, wieweit die USA noch immer den Weltpolizisten im Kampf um offene Märkte spielen sollen, oder ob nicht die übrigen westlichen Staaten – vor allem Europa und damit insbesondere Deutschland – stärker in die Pflicht zu nehmen sind.

Sollten – wie erwartet – die Republikaner die Kongresswahlen gewinnen und ein allgemeiner Rechtsruck das Ergebnis sein, dann werden sich die USA weiter auf ihre eigenen staatlichen Belange konzentrieren. Sie werden nicht mehr so einfach den Europäern bei deren Problemen vor ihrer Haustür zur Hilfe eilen.

Und seit die USA dank Fracking zusehends unabhängiger werden von ausländischen Öl- und Gasfeldern, verliert der Nahe Osten für Amerika seine überragende strategische Bedeutung. Man kann sich also die Zurückhaltung in der Welt (eher) leisten.

USA und Europa haben sonst keinen engeren Partner

Europa ist stärker als die USA auf ein gutes transatlantisches Verhältnis angewiesen. Denn die politischen Konflikte eskalieren weit weg von den USA in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft – in der Ukraine, in Nordafrika, dem östlichen Mittelmeerraum und in Syrien, Irak sowie Afghanistan. Ohne die Vereinigten Staaten ist das militärisch ungenügend vorbereitete Europa zu einer reinen Zuschauerrolle degradiert und immer in der Gefahr, gegen den eigenen Willen doch in bewaffnete Konflikte verwickelt zu werden.

Nur zusammen mit den USA hat Europa eine Chance, gemeinsame westliche Interessen zu wahren in einer Zukunft, die so völlig anders sein wird als die Vergangenheit. Die aufstrebenden Volkswirtschaften oder die von religiösen Bewegungen getriebenen Regierungen werden die einseitig vom Westen aufgestellten Spielregeln für die Weltwirtschaft nicht mehr länger akzeptieren.

Sie wollen mitbestimmen und ihre Perspektiven, Werte, Vorstellungen und Interessen einbringen. In diesem vielstimmigen Chor wird Europa als Solist nicht die geringste Chance haben, sich Gehör zu verschaffen. Bestenfalls kann es gemeinsam mit den USA gelingen, ein Gegengewicht zu den bevölkerungsstarken aufstrebenden Volkswirtschaften zu bilden.

Bei allen Differenzen sind sich Europa und die USA in den wichtigen Dingen sehr nahe. Die Unterschiede bleiben viel geringer als zu jeder anderen Kultur. Beide haben weltweit keine engeren Partner, wenn es darum geht in einer neuen Weltwirtschaftsordnung die wirklich fundamentalen westlichen Überzeugungen und Werte einzubringen.

Deshalb ist es für Europa und Deutschland alles andere als beruhigend, wenn in den USA die Nicht-Interventionisten das Rennen gewinnen. Als hätte Europa nicht bereits schon so genügend Sorgen, werden dadurch neue, zusätzliche Probleme die europäischen Zukunftsaussichten massiv trüben.

Thomas Straubhaar ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg. Bis Ende August 2014 war er Direktor und Sprecher der Geschäftsführung des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Seit September 2013 ist der gebürtige Schweizer Fellow der Transatlantic Academy in Washington, D. C., wo er sich oft aufhält. Er schreibt für die “Welt” in regelmäßigen Abständen Kolumnen zu aktuellen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fragen.

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