Landslide with Limited Consequences

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Der Aufschrei der Amerikaner ist laut und deutlich: So kann es in Washington nicht weitergehen. Doch dort wird sich vorerst wenig ändern. Kommentar von Andreas Rüesch

Mit einem flammenden Aufruf, die Spaltungen in der amerikanischen Gesellschaft zu überwinden, hat vor ziemlich genau einem Jahrzehnt ein bis dahin unbekannter Politiker aus Chicago Furore gemacht. Die Rede am Parteitag der amerikanischen Demokraten im Sommer 2004 verwandelte den Mann mit dem kuriosen Namen Barack Obama schlagartig in eine nationale Berühmtheit. Obama wandte sich gegen die Tendenz, stets das Trennende in den Vordergrund zu stellen und das Land in «rote» (republikanische) und «blaue» (demokratische) Staaten einzuteilen. «Es gibt nicht ein linkes Amerika und ein konservatives Amerika, es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika.» Zehn Jahre später ist klar, dass die Vision eines Landes, in dem alle am selben Strick ziehen, nur eine schöne Illusion war. Der mit harten Bandagen geführte Kampf um die Macht im Kongress hat ein Schlaglicht auf die scharfen Gegensätze zwischen den Parteien und ihren Ideen geworfen. Doch das ist normal und Ausdruck jeder lebendigen Demokratie.

Vertiefte Spaltung

Normal ist auch, dass das Pendel der Politik irgendwann in die Gegenrichtung ausschlägt. Besetzt eine Partei mehr als vier Jahre lang das Weisse Haus, wächst in der amerikanischen Öffentlichkeit regelmässig der Überdruss. Allerdings ist die Ohrfeige bei den diesjährigen Zwischenwahlen überaus heftig ausgefallen: Die Demokraten verlieren acht oder neun Sitze im Senat und damit die Mehrheit in der kleinen Kongresskammer. Die Republikaner haben zudem ihre Machtstellung im Repräsentantenhaus ausgebaut und in den Gliedstaaten wichtige Gouverneurssitze verteidigt, um die epische Schlachten geführt worden waren. Die von Obama seinerzeit beklagte Teilung in «rot» und «blau» ist in einem gewissen Sinne noch markanter geworden: Wie die Abwahl von voraussichtlich drei Senatoren im Süden des Landes zeigt, wird es für die Demokraten immer schwieriger, in diesen republikanischen Hochburgen wenigstens noch einen Teil des politischen Terrains zu besetzen. Auch der Mittlere Westen ist wieder deutlich «röter» geworden; viele Erfolge, die die Demokraten dort zu Beginn der Ära Obama erzielt hatten, sind nun auf einen Schlag ausradiert worden.

Der Sieg der Republikaner ist insgesamt noch deutlicher ausgefallen, als die meisten Experten angenommen hatten, und kommt einem politischen Erdrutsch gleich. Die Ursachen sind vielschichtig, haben jedoch einen gemeinsamen Nenner: Obama. Obwohl sein Name nirgends auf einem Wahlzettel stand, drehten sich die Kampagnen hauptsächlich um ihn. Seine Gegner verstanden es, die Wahlen in ein Referendum über den ungeliebten Präsidenten umzufunktionieren. Seit seiner Wiederwahl vor zwei Jahren nagen politische Erfolglosigkeit und der nur zaghafte Wiederaufschwung der Wirtschaft an seiner Popularität. Sein Verhalten in aussenpolitischen Krisen, etwa gegenüber der Terrorgruppe Islamischer Staat, aber auch die Pannenserie bei der Einführung des neuen Krankenkassensystems oder die chaotische Reaktion auf die Ebola-Fälle in den USA prägten das Bild von einem Präsidenten, der wenig vorausschauend handelt und die Regierungsgeschäfte nicht im Griff hat. Obama wurde dadurch zu einer gewaltigen Hypothek für die Kandidaten seiner Partei, die sich vergeblich von ihm zu distanzieren versuchten.

Unüberhörbar haben die Wähler am Dienstag nach einem Wechsel gerufen. Doch vorerst wird nichts dergleichen geschehen. Die Machtübernahme der Republikaner im Senat beendet die Lähmung in Washington nicht, sondern verlagert sie nur auf eine neue Ebene: Wurden kontroverse republikanische Gesetzesvorstösse bisher im Senat abgeblockt, so werden sie künftig spätestens auf dem Pult des Präsidenten per Veto gestoppt werden. Offen ist, welche Seite sich in dieser Situation taktisch geschickter verhalten wird. Im Wahlkampf hatten die Republikaner ein einfaches Spiel, sie brauchten nur auf Obama einzudreschen. Wie sie ihre neu gefundene Macht nutzen würden, verrieten sie nicht. Nun könnten sie versuchen, populäre Vorstösse aufzugleisen und die Demokraten dann als Verhinderer zu brandmarken. Erheblich ist allerdings auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei im Überschwang ihres Sieges extreme Forderungen aufstellt und einen Teil der gewonnenen Protestwähler damit gleich wieder abstösst.

Schwindende Macht des Präsidenten

Die taktischen Winkelzüge der Parteien werden schon bald von einem neuen Faktor überlagert werden – dem Rennen um die Nachfolge Obamas, das auf beiden Seiten in den nächsten Monaten an Fahrt gewinnen wird. Für die demokratischen Anwärter ist nach dem Debakel vom Dienstag klar, dass der Amtsinhaber für sie eher Ballast als ein Trumpf sein wird. Besonders für Hillary Clinton, die vier Jahre lang der Administration Obama angehört hatte, wird dies eine heikle Gratwanderung bedeuten. Vorsorglich hat sie sich jedoch bereits in mehreren Fragen vom Präsidenten distanziert und sich als Aussenpolitikerin dargestellt, die im Irak und in Syrien überzeugender gehandelt hätte.

Obama bleibt damit der zentrale Bezugspunkt der amerikanischen Politik, für Freund und Feind. Politisch verbraucht und als Sündenbock missbraucht, werden ihm die Fäden in Washington jedoch zunehmend entgleiten. Handlungsfreiheit behält er am ehesten in der Aussenpolitik, wo Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus und im Atomstreit mit Iran noch immer in Reichweite liegen. Aber nach all den innenpolitischen Rückschlägen wird es ihm wohl auch persönlich immer schwerer fallen, seiner eigenen Botschaft von einst zu vertrauen: zu hoffen und nicht in Zynismus zu verfallen.

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