Ferguson, Einwanderung und IS: Amerika ist paralysiert
Die Vereinigten Staaten haben mit mehr als dem Feuer von Ferguson und einer gescheiterten Einwanderungspolitik zu kämpfen. Doch von Washington geht kein Signal aus, dass sich Kongress und Regierung ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst wären. Eine Analyse.
26.11.2014, von Andreas Ross, Washington
In Washington war zuletzt viel von Brunnenvergiftung und Brandstiftung die Rede. Republikaner gaben dem Präsidenten mit derlei Vorwürfen vorsorglich die Schuld daran, dass die politische Blockade in die nächste Phase eintritt. Das Dekret, mit dem Barack Obama bis zu fünf Millionen illegale Einwanderer vor Abschiebung schützt, wird zur Provokation erklärt, die jede Zusammenarbeit von Kongress und Regierung vereitle. Doch die Polit-Krawallmacher sollten durchatmen und in ihr Land schauen. In Ferguson haben echte Brandstifter vorgeführt, welche Wut in ihnen steckt.
Nicht nur diese Gewalttäter misstrauen den Geschworenen, die nach monatelanger Beweisaufnahme keinen Grund für den Verdacht erkannten, der weiße Polizist Darren Wilson habe eine Straftat begangen, als er den unbewaffneten Schwarzen Michael Brown erschoss. Viele Amerikaner hatten sich da ihre Meinung längst gebildet. Den einen ist Brown Opfer eines tief verwurzelten Rassismus; den anderen ist Wilson ein Held, der auf dem Altar politischer Korrektheit geopfert zu werden drohte. Obama stellte fest, dass Rassendiskriminierung seitens Polizei und Strafjustiz ein „echtes Problem“ in Amerika sei. Der Republikaner Peter King antwortete, Obama solle den Polizisten Wilson ins Weiße Haus einladen.
Die Unversöhnlichkeit der Politiker ist einerseits die Folge auseinandertreibender Wahrnehmungen im Land. Die Reaktionen auf den Fall Ferguson verweisen ebenso wie der Unmut über einen pragmatischeren, menschlicheren Umgang mit vielen der gut elf Millionen illegalen Einwanderer darauf, dass die Rassenfrage dabei nicht die geringste Rolle spielt – womöglich gerade weil vor bald sechs Jahren ein Schwarzer ins Weiße Haus eingezogen ist. Andererseits verstärkt der politische Grabenkampf in Washington die Polarisierung in der Bevölkerung. Und so gibt es auch nach der Kongresswahl vor drei Wochen keine Entspannung. Die Gesetze des Wahlkampfs gelten fort. Abgeordnete und Senatoren ordnen ihre Überzeugungen und Einsichten den vermuteten Erfordernissen der nächsten Kampagne unter.
Der Zorn der Unbeugsamen
Wächter hochgerüsteter Interessengruppen stehen allzeit bereit, Alarm zu schlagen, sollte jemand einen Ausgleich mit dem politischen Gegner anstreben. Tea-Party-Gruppen erörtern schon, welchen aus ihrer Sicht zu nachgiebigen Republikanern sie 2016 Vorwahl-Herausforderer auf den Hals hetzen. Besonders dreist ist die Idee, Sarah Palin in Arizona gegen John McCain antreten zu lassen. Palin verdankt dem Senator ihre Berühmtheit, der sie 2008 als Vizepräsidentin mit ins Weiße Haus genommen hätte. Doch McCain zog den Zorn der Unbeugsamen auf sich, als er einen Einwanderungskompromiss zu schmieden half. Auch Obama macht sich im letzten Viertel seiner Präsidentschaft nicht von parteipolitischen Zwängen frei. Nachdem sich strauchelnde Demokraten vor der Kongresswahl Auftritte des Präsidenten und eine Einwanderungsreform verbeten hatten, reist er nun durchs Land und lässt sich für sein spätes Dekret feiern. Hillary Clinton ist auf Latino-Wähler angewiesen, und der Präsident arbeitet an seinem Nachlass.
Auf dem Grat zwischen Prinzipienfestigkeit und Kompromisslosigkeit haben viele Politiker den Tritt verloren. Manche Kombattanten im immerwährenden Lagerkampf sind von Vernichtungsfantasien getrieben. Dabei hätte der Blick in eine einzige Zeitung diese Woche genügen sollen, um dem unwürdigen Spiel Einhalt zu gebieten. Amerika hat es ja nicht nur mit dem Feuer von Ferguson und einer gescheiterten Einwanderungspolitik zu tun. Verteidigungsminister Hagel muss zurücktreten, weil der „Islamische Staat“ Obama einen Krieg aufgezwungen hat, für den das Pentagon wohl einen schneidigeren Chef braucht. Die Atomgespräche mit Iran, in denen Amerika eine geopolitische Katastrophe abzuwenden trachtet, hängen weiter am seidenen Faden. Doch von Washington geht kein Signal aus, dass sich Kongress und Regierung ihrer gemeinsamen Verantwortung – und potentiellen Stärke – bewusst wären.
Ein Präsident in Fesseln
Viele Kongressmitglieder wollen Obamas Iran-Unterhändlern Fesseln anlegen oder Knüppel vor die Beine werfen, anstatt gemeinsam den Druck auf Teheran zu erhöhen. Sie gönnen dem Oberbefehlshaber keinen Erfolg – und stärken so die iranische Gegenseite. Wenn sie bald einen Nachfolger Hagels zu bestätigen haben, werden viele Republikaner der Regierung wieder das Syrien-Dilemma vorhalten, als böten sich im Nahen Osten einfache Antworten an, als hätte es George W. Bushs Fehler nie gegeben. Anstatt ihre Fraktionsführer aufzufordern, endlich eine gesetzliche Einwanderungsreform zur Abstimmung zu stellen, beschimpfen Republikaner den Präsidenten als Despoten.
Den Brandstiftern von Ferguson hielt Obama entgegen: „Nichts von Bedeutung, nichts von Nutzen entsteht aus destruktiven Taten. Ich habe nie einen Entwurf für ein Bürgerrechtsgesetz, ein Krankenversicherungsgesetz oder ein Einwanderungsgesetz daraus hervorgehen sehen, dass jemand ein Auto angezündet hat. Sie kamen zustande, weil die Menschen zur Wahl gingen.“ Schöne Sätze! Doch Washington scheint entschlossen, das Gegenteil zu beweisen.
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