Benachteiligte reagieren mit Gewalt
Von ARND FESTERLING
Die Entscheidung im Fall Michael Brown hat niemanden überrascht – darin offenbart sich der Zynismus des Systems. Die USA werden sich nie aus der Abfolge von erwartbaren Urteilen und erwartbaren Ausschreitungen befreien, wenn sie ihre Gesellschaft nicht gerechter machen. Ein Kommentar.
Hat der Polizist Darren Wilson den 18-jährigen Michael Brown in Notwehr erschossen? Eine Antwort, die zumindest nach allgemeinem Rechtsverständnis belastbar ist, werden wir wohl nie erhalten. Denn es wird keinen Prozess geben. Das hat die sogenannte Grand Jury entschieden. Die Laienrichter haben in einer geheimen Anhörung mehrheitlich beschlossen, dass keine Anklage erhoben wird. Dass kein Prozess geführt wird. Dass der Fall nicht vor einem ordentlichen Gericht in öffentlicher Verhandlung zumindest soweit aufgeklärt wird, wie es in einem Rechtsstaat eben möglich ist.
Die Entscheidung hat niemanden überrascht und darin offenbart sich auch schon der ganze Zynismus dieses Systems. Die Jury war überwiegend von Weißen besetzt, die über die Schüsse eines weißen Polizisten auf einen schwarzen Jugendlichen beschließen sollte. Grand Jurys, darüber sind sich die Experten in den USA einig, schicken vergleichsweise selten, man könnte auch sagen: ungern, weiße Polizisten vor Gericht. Die Laienrichter der Grand Jurys stehen immer unter dem Eindruck ihrer sozialen Herkunft und ihrer Sicht der Welt. Zuzeiten vernebelt das den klaren Blick auf die Dinge. Diese Meinung teilen viele Menschen auch in den USA, sie ist nicht erst unter dem Eindruck des Urteils von Ferguson entstanden. Deswegen hat gut die Hälfte der US-Bundesstaaten das System längst abgeschafft. Überdies genügen geheime Anhörungen keinen halbwegs ernsten rechtsstaatlichen Ansprüchen, auch wenn deren Protokolle im nachhinein veröffentlicht werden.
In Ferguson selbst brachen unmittelbar nach der Entscheidung Krawalle aus, es wurde geschossen, Geschäfte wurden geplündert, Häuser angezündet. In vielen andern Städten protestierten Menschen, blockierten Straßen. So traurig es ist, dass die Proteste so schnell sehr gewalttätig wurden, auch das kann niemanden wirklich überraschen.
Die USA werden sich niemals aus dieser fast zwangsläufigen Abfolge von erwartbaren Urteilen und erwartbaren Ausschreitungen befreien können, solange sie keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen, ihre Gesellschaft gerechter zu machen. Der Mehrheit der Bürger fehlt ganz offensichtlich der Wille, versteckten und offenen Rassismus zu bekämpfen und zu einem sozialen Ausgleich innerhalb einer doch so reichen Gesellschaft zu kommen. Die Beispiele sind Legion, ob wir von Krankenversicherungen sprechen oder Schulbildung – ganz aktuell zeigt dies der Streit um den rechtlichen Status illegaler Immigranten. Und so blicken wir heute auf das, was irgendwann zwangsläufig Alltag in einer gespaltenen Gesellschaft werden wird: Die Benachteiligten reagieren mit offener Gewalt auf ihre Benachteiligung.
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