How Ghettos Grow

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Die Rassentrennung in den USA sieht zwar heute anders aus als früher. Aber sie ist längst nicht verschwunden, meint unser Autor. Das ist das Ergebnis einer über Jahrzehnte betriebenen Politik der Segregation.

Was wollen Sie denn von mir, Officer?‘, fragte ich. ,Ich will, dass Sie mitkommen.‘ ,Bin ich festgenommen?‘ ,Nein, keineswegs, Mr. Rawlins.‘ Als er mich Mister nannte, wusste ich, dass das Los Angeles Police Departement wieder mal meine Dienste brauchte. Von Zeit zu Zeit schickte die Polizei einen ihrer wenigen schwarzen Beamten zu mir, um mich darum zu bitten, Orte aufzusuchen, an die sie sich nicht hintrauten“ – allen voran ins schwarze Ghetto. Dort lässt Krimiautor Walter Mosley seinen schwarzen Detektiv Easy Rawlins in den 50er und 60er Jahren ermitteln und ganz beiläufig den normalen Rassismus der Zeit vor und während der Bürgerrechtsbewegung erfahren.

Das Erschütternde an den aktuellen Ereignissen in Ferguson ist: Sie lassen einen erheblich daran zweifeln, dass sich in den USA die Lage der Schwarzen in den vergangenen 50 Jahren so verbessert hat, wie es Martin Luther King einst erhofft hatte – obwohl immerhin die Rassentrennung aufgehoben und der offiziellen Diskriminierung ein Ende gemacht wurde.

Wer sich die Verteilung von Armut und Reichtum betrachtet, die Zahl der Opfer von Polizeigewalt, die Benachteiligungen in Ausbildung, Beruf und bei der Wohnungswahl, muss infrage stellen, dass die Bürgerrechtsbewegung ihre Ziele erreicht hat. Natürlich ist die Diskriminierung heute nicht mehr so offensichtlich. Ku-Klux-Klan-Horden lynchen keine Schwarzen mehr, sondern werden etwa von Quentin Tarantino in seinem Django-Film vergnüglich verspottet. Doch subtilere Mechanismen, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte, sind bis heute wirksam.

Sehr anschaulich illustriert das eine Anhörung vor der Kommission für Bürgerrechte aus dem Jahr 1970, in der Adel Allen, ein erfolgreicher Ingenieur schwarzer Hautfarbe, seinen Umzug in eine weiße Gegend von St. Louis schildert. Kaum war er eingezogen, sah er überall in den Gärten der Umgebung Schilder „Zu verkaufen“ – acht Jahre später wohnten in der Gegend 30 schwarze Hauseigentümer und nur noch zwei weiße. Kurz nach seinem Einzug nahmen auch plötzlich die Polizeikontrollen in dem Viertel zu: „Ich wusste nicht, ob sie mich beschützen oder jemanden vor mir schützen wollten.“

Doch das war längst nicht alles. Nun setzte ein Prozess ein, den Soziologen in vielen Vierteln amerikanischer Städte beobachtet haben, in denen mit der Zeit mehr Schwarze als Weiße leben. „Anfangs wird der Abfall noch regelmäßig von der Müllabfuhr abgeholt und die Straßenbeleuchtung funktioniert einwandfrei“, berichtete Allen. „Heute haben wir die schlechteste Beleuchtung der Stadt, Leute aus anderen Gegenden stellen ihre alten Autos hier ab, die sie nicht mehr fahren, und lassen sie verrotten. Wir beobachten, wie ein Ghetto entsteht – und das, obwohl die Gebäude besser instand gehalten werden als früher von ihren weißen Eigentümern.“ Zudem wurden Schulen schlechter finanziert, die Kriminalität stieg an.

Ferguson ist ein signifikantes Beispiel für eine solche Entwicklung. 1970 betrug der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung in dem damals prosperierenden Ort ein Prozent, 1990 waren es bereits 25, im Jahr 2000 53 und heute sind es fast 70 Prozent. Die weiße Mittelschicht flieht im Gegenzug in nicht gemischte Gebiete. Integrierte Wohngegenden mit Schwarzen und Weißen findet man nur in der Übergangsphase des Bevölkerungsaustausches, glaubt der Sozialwissenschaftler Richard Rothstein, der dieses Phänomen erforscht.

Ghettoisierung aufbrechen

Rothstein verweist zudem darauf, dass die Stadtplanungspolitik früherer Jahrzehnte bis heute wesentlich zur Segregation beiträgt. Denn sie hat – teils illegal – die Wohnviertel so organisiert, dass Weiße unter sich bleiben. So wurden keine hässlichen, luftverpestenden Industrien angesiedelt – die Immobilien konnten nicht an Wert verlieren, anders als in schwarzen Wohngegenden, die einfach als Industrie- oder Gewerbezonen ausgewiesen wurden. Zahlreiche Kommunen in den USA sind so verfahren und haben damit dazu beigetragen, dass noch heute Schwarze unter erheblich schlechteren Bedingungen leben.

Die Diskriminierungen sind vielfältig. Das vorurteilsbeladene Verhalten der Polizei in Ferguson und vielen anderen Städten ist nur ein Bereich, in dem Präsident Barack Obama, aber auch die Bundesstaaten und Kommunen ansetzen müssten, um endlich die Gleichberechtigung der Schwarzen zu erreichen. Besonders wichtig wäre es jedoch, die Ghettoisierung aufzubrechen und die gesellschaftliche Integration von Minderheiten – denn das gilt ja heute längst nicht nur für Afroamerikaner – in Stadtplanung, Bildung und Arbeitsmarkt zu verbessern. Denn das eigentliche Problem in der Gesellschaft ist die Segregation. Wenn sie nicht überwunden wird, werden noch viele schwarze Jugendliche wie Michael Brown sinnlos sterben.

Detektiv Easy Rawlins zieht am Ende des Romans in eine nette Mittelschichtsiedlung und wäre für immer ein glücklicher Mensch, „könnte der Tod keinem einzigen Menschen in der Welt mehr irgendetwas anhaben“.

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