Die Qual der Vergangenheitsbewältigung
Seit Jahren ist bekannt, dass die amerikanischen Geheimdienste nach der Ausrufung des «Kriegs gegen den Terror» inakzeptable, unmenschliche Methoden anwandten und auf vielfältige Weise gegen das Folterverbot verstiessen. Die vom zuständigen Ausschuss des Senats veröffentlichte Zusammenfassung eines Untersuchungsberichts ergänzt jedoch dieses Bild und ist ein Zeichen dafür, dass sich die USA, wenn auch widerwillig und keineswegs mit überzeugender Konsequenz, dem Prozess der Vergangenheitsbewältigung stellen wollen.
Die CIA als Sündenbock
Die gute Nachricht ist, dass die Kommission bei ihrer Untersuchung nicht auf weitere, bisher völlig unbekannte dunkle Zonen gestossen ist. Es scheint vielmehr, dass das amerikanische System der «checks and balances» zwar nicht gut, aber doch einigermassen funktioniert hat: Was der Bericht darlegt, sickerte in den Grundzügen schon ab 2003 an die Öffentlichkeit durch. Ein Wendepunkt war der Missbrauchsskandal von Abu Ghraib von 2004, der Amerika bewusstmachte, dass selbst im Krieg der Zweck nicht jegliches Mittel heiligt. Auch wenn die Behörden noch jahrelang die Missbräuche zu vertuschen suchten, regten sich intern doch genügend Zweifel, um eine Gegenbewegung in Gang zu setzen. Die schlimmsten Methoden, darunter das berüchtigte Waterboarding, wurden nach 2003 nicht mehr angewendet.
Der Untersuchungsbericht stellt dennoch eine erschütternde Lektüre dar. Die Palette der Grausamkeiten in den CIA-Kerkern war grösser als bisher bekannt. Es gab mehr Häftlinge – 119 statt 97 –, als der Geheimdienst zugegeben hatte. Zudem geriet eine erschreckend hohe Zahl, mehr als jeder fünfte, irrtümlich in die Mühlen der «schwarzen Stätten». Die Kommission fand auch keinen Beleg für die Behauptung, dass die Verhöre einen Schatz an Erkenntnissen zutage gefördert hätten. Es bestätigte sich ferner, dass die CIA völlig unvorbereitet in die Affäre schlitterte, als sie sich plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert sah, Terrorgefangene zu vernehmen. Groteskerweise bezahlte sie der Firma von zwei Psychologen 80 Millionen Dollar zur Entwicklung von Verhörmethoden, die vielfach selbst dem Geheimdienst zu brutal erschienen.
Die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse stellt ein reinigendes Gewitter dar, aber noch lange nicht den Schlusspunkt der Debatte. An dem Bericht haftet ein Makel: Allzu offensichtlich sind die Bemühungen, die CIA zum alleinigen Sündenbock zu machen. Zum Ausdruck kommt darin das Eigeninteresse des Kongresses, der sich ein Versagen bei der Wahrnehmung seiner Aufsichtspflicht vorwerfen lassen muss. Die Senatoren verteidigen sich mit dem Hinweis auf die Desinformation durch die CIA. Aber eine wirklich unabhängige Untersuchung wäre auch den Indizien nachgegangen, dass der Kongress den Geheimdiensten mit Absicht nicht genauer auf die Finger schaute und zu einem politischen Klima beitrug, in dem es bei den Anti-Terror-Methoden keine Tabus mehr geben sollte. Politisches Kalkül verrät auch die Tendenz, die damalige Staatsspitze weisszuwaschen. Präsident Bush soll erst vier Jahre nach Beginn des umstrittenen Verhörprogramms über dessen Details informiert worden sein. Aber es ist die Aufgabe einer politischen Führung, Geheimdienste klaren Regeln zu unterwerfen und keine Grauzonen zuzulassen.
Die falsche Debatte
Wie ungenügend der Skandal bewältigt ist, lässt sich noch an einem anderen Phänomen ablesen: Seit der Veröffentlichung dominiert erneut der alte Streit darüber, ob Foltermethoden etwas nützen oder nicht. Doch diese Debatte ist unerheblich. Beweisen lässt sich ohnehin weder die eine noch die andere Sicht mit letzter Gewissheit. Das entscheidende Argument lautet nicht, dass Foltermethoden unzuverlässige Ergebnisse liefern. Entscheidend ist, dass Folter zutiefst unmoralisch ist. Es geht nicht an, dass ein demokratischer Staat im Namen seiner Bürger Grausamkeiten verübt, die deren Abscheu hervorrufen würden. Versucht ein Staat dies im Geheimen dennoch, so hat dies eine korrumpierende Wirkung, angefangen beim Verhörpersonal, das vom Staat zu illegalem, unmenschlichem Verhalten gezwungen wird, und bis hinauf zu den politischen Verantwortlichen, die sich mit der Verstrickung in ein Lügengewebe selber diskreditieren. Folter ist mit gutem Grund geächtet, auch in den USA, und dieses Verbot galt schon lange vor «9/11».
Der Verstoss dagegen stellt ein dunkles Kapitel in der Geschichte eines Landes dar, das ein Leuchtturm der Menschenrechte sein möchte. Seine Aufarbeitung bedeutet eine Qual, deren Zweck aber letztlich darin liegt, denselben Fehler nicht zweimal zu machen. Noch erhalten die Apologeten der CIA, die deren Verhalten beschönigen oder gar als Vorbild für die Zukunft hinstellen möchten, ungebührend viel Aufmerksamkeit. Aber der Senatsbericht ist ein Mittel, wenn auch kein perfektes, um ihnen nach und nach den Boden zu entziehen.
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