Please Don’t Shoot

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Bitte nicht schießen

Von Konrad Ege

17.12.2014

Vor ihrem Football-Match am letzten Novembersonntag kamen fünf Spieler der St. Louis Rams mit erhobenen „Bitte nicht schießen“-Händen auf den Rasen. Der gewaltsame Tod von Michael Brown in Ferguson, einem Vorort von St. Louis, erzwingt eine unbequeme Debatte über das Zusammenleben von Schwarz und Weiß. Sie kommt nicht an der Realität vorbei, dass viele Weiße und Schwarze in krass unterschiedlichen Welten leben.

Empörte Bürger blockieren Straßen und Einkaufszentren – zumeist junge Afroamerikaner, die wütend sind über die Entscheidung, den weißen Polizisten Darren Wilson nicht vor Gericht zu bringen. Der hatte am 9. August in Ferguson (Missouri) den unbewaffneten und schwarzen 18-jährigen Michael Brown erschossen. Immer wieder bringen Demonstranten die Hoffnung zum Ausdruck, dass sich diesmal etwas ändern werde, dass die Bewegung nicht so verebbt wie viele Kampagnen zuvor. Es erscheint unerhört, dass es keinen öffentlichen Prozess geben wird und der Schütze im Fernsehinterview versichert, er habe ein reines Gewissen. Al Sharpton, Chef des Bürgerverbandes National Action Network, predigt: „Michael, man wird sich deines Namens erinnern, weil du das Handeln der Polizei in diesem Land verändert hast.“

Junge Afroamerikaner leben gefährlich. Vergangenen Monat erschoss ein Polizist in Cleveland den zwölfjährigen Tamir Rice. Der schwarze Junge war mit einer echt erscheinenden Spielzeugwaffe gesehen worden. In New York erschoss ein Beamter den 28-jährigen Schwarzen Akai Gurley in einem schlecht beleuchteten Treppenhaus. Gurley war unbewaffnet.Das Enthüllungsportal propublica.org hat errechnet, für schwarze Jugendliche ist das Risiko, von einem Polizisten erschossen zu werden, 21 Mal so hoch wie für weiße.

Bei einer Erhebung des Pew Research Center gaben 80 Prozent der Afroamerikaner und nur 37 Prozent der Weißen an, Browns gewaltsamer Tod stelle Fragen über die Rassenbeziehungen in den USA. Die meisten schwarzen Schusswaffenopfer würden von anderen Schwarzen erschossen, so Rudy Giuliani, Ex-Bürgermeister von New York. Polizisten kämen nicht so oft in schwarze Viertel, meinte der Republikaner bei einer TV-Debatte an einen schwarzen Soziologen gewandt, „wenn ihr euch nicht selbst erschießen würdet“.

Kings Vermächtnis

Zeugenaussagen, die zu der Geschworenenentscheidung führten, stehen inzwischen im Internet, etwa bei stlpublicradio.org, der Webseite eines Rundfunksenders in St. Louis. Jeder kann sich ihm genehme Zitate aussuchen: Da heißt es, die Todesschüsse seien im Sinne des Gesetzes rechtmäßig gewesen, Brown habe Wilson bedroht. Oder: Der Beamte habe auf einen gefügigen Teenager geschossen.

In den USA kann ein guter Staatsanwalt selbst gegen ein Schinkensandwich Anklage erheben lassen, lautet ein Sprichwort. Soll heißen: Ein Staatsanwalt hat so viel Einfluss auf Geschworene, dass die hinter verschlossenen Türen tagenden Laiengremien zumeist für eine Anklageerhebung stimmen, wenn die Staatsanwaltschaft das so will. Dabei geht es nicht um Schuld und Unschuld, sondern allein um die Frage, ob hinreichender Verdacht besteht, um einen Prozess zu eröffnen. Robert McCulloch, der Staatsanwalt in Ferguson, gilt als einer, dessen Herz auf Seiten der Polizei schlägt. Der Anwalt von Browns Eltern, Benjamin Crump, prophezeite schon Wochen vor der Entscheidung: Unter McCulloch werde es zu keiner Anklage kommen.

Wenn es um Polizeibrutalität geht, ist das Gesetz keine neutrale Institution. Nur ganz selten werden polizeiliche Todesschützen angeklagt. Ein tödlicher Schuss lässt sich stets damit rechtfertigen, der Beamte habe sich bedroht gefühlt. Ähnliches gilt auch im Schusswaffenrecht: George Zimmerman, der den afroamerikanischen Teenager Trayvon Martin erschossen hatte, durfte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Er hatte sich bedroht gefühlt. Für die Demonstranten in Ferguson haben Beschwichtigungen aus dem Weißen Haus, man sei eine Nation von Recht und Gesetz, mehr als einen schalen Beigeschmack.

Vor allem, wenn sie angereichert werden mit Vorhaltungen, man müsse konstruktiv diskutieren (McCulloch) und es gebe keine Entschuldigung, Eigentum zu zerstören (Obama). Bürgerrechtsführer Martin Luther King hatte sich 1968, kurz vor seiner Ermordung, anders geäußert zu schweren Ausschreitungen in US-Städten im Jahr 1967, bei denen mehr als 80 Menschen starben. Es reiche nicht, „Unruhen zu verurteilen. Es wäre moralisch verantwortungslos, sollte ich das tun, ohne zugleich die Intoleranz in unserer Gesellschaft zu verurteilen“. Präsident Lyndon Johnson berief 1967 wegen der Ausschreitungen eine Kommission. „Unsere Nation spaltet sich in zwei Gesellschaften, eine schwarz, die andere weiß – getrennt und ungleich“, so deren Urteil.

Rosine in der Sonne

Man habe seither große Fortschritte gemacht, betont Obama, doch hat das Konzept „Rasse“ weiter viel mit Macht zu tun. Und da ist die weiße Bevölkerung im Vorteil; das zeigen Daten über Armut, Arbeitslosigkeit, Bildung – und Polizeibrutalität. Was passiert, wenn ein Traum immer wieder aufgeschoben wird? Die Frage stellte der afroamerikanische Dichter Langston Hughes vor mehr als sechs Jahrzehnten in seinem Monumentalwerk Montage of a Dream Deferred: „Vertrocknet der Traum, wie eine Rosine in der Sonne? Oder eitert er wie eine Wunde? Oder explodiert er?“

Obama hat zu Wochenbeginn ein 263-Millionen Dollar-Programm angekündigt, unter anderem für Minikameras am Körper von Polizisten. Eine neue Kommission soll an Reformen der Polizeipraxis arbeiten, geführt wird sie von Charles Ramsey, oberster Polizist in Philadelphia. Als Polizeichef von Washington hatte Ramsey im April 2000 mehr als 600 Globalisierungsgegner festnehmen lassen. Die Stadt wurde verklagt wegen illegaler Festnahmen und Polizeibrutalität. Die Klage endete mit einem Vergleich; Washington zahlte den Festgenommenen 13,7 Millionen Dollar.

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