Die USA sind in die perfekte Falle gelaufen
Die Folterpraxis hat die USA diskreditiert, weil sie sich vom Gegner dazu verleiten ließen, ihre eigenen Moralstandards über Bord zu werfen. Aber Grundrechte müssen auch für Feinde gelten.
Terrorismus ist Propaganda – Kommunikation mit echten Toten. Am besten vor den Augen der Öffentlichkeit. Insofern war der 11. September 2001 das perfekte Verbrechen: Erst fliegt eine Maschine in einen der Zwillingstürme des World Trade Center, dann, als alle Kameras der Welt auf den brennenden Turm gerichtet sind, folgt das zweite Flugzeug. Die Folge sind 3000 Tote – und die Rache der USA. Doch wer auf Rache sinnt, so heißt es, muss immer zwei Gräber ausheben.
Jetzt ist das zweite Grab geöffnet worden, und in ihm liegen die Beweise für das pure Grauen: eine 499 Seiten starke Essenz aus 6,3 Millionen Seiten interner CIA-Dokumente, die detailliert belegen, wie die Dienste der USA Gefangene aus dem Al-Qaida-Umfeld systematisch folterten. Die Vorgänge sind nicht neu, für brutale Verhörmethoden, genannt “enhanced interrogation” stehen die Namen der Lager Abu Ghraib und Guantánamo.
Die Bilder gequälter und gedemütigter Gefangener vor allem aus dem irakischen Gefängnis gingen um die Welt und zeigten, dass die USA in eine Falle getappt waren, die jeder terroristischen Aktion erst ihren wahren Sinn gibt: den Gegner dazu zu veranlassen, seine eigenen Moralstandards über Bord zu werfen. Bei den deutschen Terroristen der RAF hieß das: den Gegner dazu zu zwingen, sein “wahres faschistisches Gesicht zu zeigen”.
Folter wurde moralischer Testfall
Folter und Waterboarding wurden zum politischen und moralischen Testfall. General Michael Hayden, langjähriger Chef der NSA und danach CIA-Chef, erklärte dazu in einem Interview, das wir für einen ARD-Film über die “Falle 9/11” führten: “Sie haben das Recht zu sagen, ich möchte nicht, dass ihr das tut. Aber die Behauptung, das wirkt nicht, ist schlichtweg falsch. Es funktioniert. Anders hätten wir manche Informationen nicht bekommen.” Mit dieser Behauptung räumen die neuen Ermittlungen auf: Nicht die Folter führte zu Erkenntnissen, die etwa den Weg zu Bin Laden zeigten, sondern normale Ermittlungsmethoden des FBI.
Donald Rumsfeld, damals Verteidigungsminister, hatte viele aggressive Verhörmethoden für Guantánamo freigegeben, darunter das “Entkleiden, den Stress erhöhen, unter Nutzung der Ängste des Gefangenen, zum Beispiel durch den Einsatz von Hunden, physischer Kontakt, also körperlicher Druck, Einsatz von mildem, keine Verletzungen hervorrufendem physischem Kontakt, Stresspositionen wie Dauerstehen … usw.” Der Anblick war so grausam, dass ihn selbst die Agenten kaum ertragen konnten. Doch selbst ein Appell der Vernehmer beim CIA-Hauptquartier in Langley/Virginia führte zu keinem Folterstopp.
Die Täter wurden vor Gericht gestellt, die Auftraggeber nicht
Die Bilder gingen um die Welt. Jetzt waren selbst jene, die das Folterprogramm in Auftrag gegeben hatten, scheinbar entsetzt. Donald Rumsfeld damals im Interview: “Oh, das war wie ein Schlag in den Magen. Es war einfach furchtbar, die Vorstellung, dass Leute in unserer Obhut auf diese Weise behandelt wurden. Das war aus meiner Sicht unentschuldbar. Es ging um die Welt und schädigte das Ansehen der Vereinigten Staaten, des Verteidigungsministeriums.” Vor Gericht gestellt und verurteilt wurden jene, die die Grausamkeiten begangen – und fotografiert hatten. Nicht jene, die sie in Auftrag gegeben hatten.
Rumsfeld redete sich heraus: “Die meisten Leute glauben bis heute, dass auf den Fotos Verhöre zu sehen sind. Das ist absolut falsch. Diese Häftlinge sollten nicht verhört werden. Das waren Wärter, keine Verhörspezialisten, und die hätten diesen Missbrauch niemals tun dürfen. Die sind sadistisch, unverantwortlich und schrecklich mit diesen Leuten umgegangen, die wir angemessen hätten behandeln müssen.”
Ende der Legenden
Mit solchen Legenden hat der Senatsbericht nun aufgeräumt. Die Folter war geplant, von ganz oben, im Weißen Haus, im Pentagon, im CIA-Hauptquartier in Langley. Die Werte des Westens wurden per Waterboarding unter Wasser gesetzt. So wurde der Krieg in Afghanistan und Irak verloren – erst moralisch und dann auch noch militärisch.
Die mittelalterlichen Brutalitäten des “Islamischen Staates”, das Köpfen von Entführten, der Terror im Namen Allahs, werden dadurch nicht relativiert. Doch der 78-jährige Senator aus Arizona, John McCain, ein eingefleischter Falke, der selbst fünf Jahre lang als Kriegsgefangener des Vietkong Misshandlungen erdulden musste, sagte am Schluss der Debatte in Washington, Folter zerstöre das, was Amerika von seinen Feinden unterscheide: der Glaube nämlich, dass Grundrechte für alle gelten, auch für Feinde.
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