Kuba und USA nähern sich an Fidel Castros letzte Schlacht
18. Dezember 2014, 13:15 Uhr
Nach mehr als 50 Jahren Feindschaft wagen die USA und Kuba einen Neuanfang. Die Annäherung der Länder bedeutet auch einen Sieg für Revolutionär Fidel Castro – und gleichzeitig seine größte Niederlage. Von Joachim Rienhardt
Als der Revolutionär Fidel Castro – mit seinen Kampfgefährten aus den kubanischen Bergen herabgestiegen – vor fast genau 56 Jahren den Diktator Fulgencio Batista aus dem Land trieb, ahnte kaum jemand, wie grundlegend das die Beziehung Kubas zu den USA und mithin der Weltpolitik verändern würde.
Die gestrige Ankündigung des US-Präsidenten Barack Obama, seine Kuba-Politik zu ändern, hat ähnliches Potential für Veränderung wie jener 1. Januar 1959 – dem Tag, an dem Diktator Batista flüchtete und die kubanische Revolution siegte. Zumindest was die Beziehung der beiden Staaten anbelangt. Der 17. Dezember 2014 wird in die Geschichte eingehen und für alle Ewigkeit ein historisches Datum markieren: Das Ende des kalten Krieges zwischen den USA und Kuba.
Obamas Erkenntnis, dass die US-amerikanische Embargo-Politik auch nach über einem halben Jahrhundert erbärmlich in dem Ansinnen scheiterte, das Regime der Castros zu stürzen, war selbst in Washington nicht neu. Dass man die Politik trotzdem nicht änderte, lag längst nicht nur an der einflussreichen Anti-Castro-Lobby, sondern schlicht daran, dass Kuba für die USA zuletzt eine eher untergeordnete Rolle spielte. Nun aber handelt Obama, weil er erkannt hat, dass er sich mit dem Politikwechsel in den Geschichtsbüchern verewigen wird.
Inhaftierte Spione waren Helden in Kuba
Die geheimen Gespräche begannen bereits kurz nach seiner Wiederwahl vor knapp zwei Jahren. Die Kubaner mussten nicht lange an den Verhandlungstisch gebeten werden. Sie leiden unter dem Embargo, dessen Abschaffung seit 1990 von der UN-Generalvollversammlung gefordert wird, jedes Jahr aufs Neue, einstimmig, abgelehnt nur von Israel und dem Inselstaat Palau. Die US-Amerikaner kehren das gerne unter den Tisch. Genauso wie den Umstand, dass der Austausch der Gefangenen bei diesem Deal von zentraler Bedeutung war.
Für die Kubaner war die Freilassung von drei der fünf in US-Haft verbliebenen Spione Grundbedingung. Ihre Inhaftierung war das letzte große Hindernis für normale Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Denn die drei Kubaner waren für Kuba weit mehr als bloße Spitzel. Sie sind Helden des Vaterlandes. Der Kampf um ihre Freiheit war die letzte große Schlacht von Fidel Castro. Ihre Freilassung ein großer Sieg für ihn. Sein letzter vermutlich. Und gleichzeitig vielleicht seine größte Niederlage.
Fidel Castro wurde ausgetrickst
Man kann Castros Kampf um seine Elite-Soldaten nur zu gut verstehen. Er hat sie Mitte der 90er Jahre in die militante Anti-Castro-Szene in Florida eingeschleust. Damals, als gewaltbereite Exilkubaner mit Duldung der USA von Florida aus versuchten, die Castros zu stürzen. Mit Flugblättern, die sie bei illegalen Überflügen aus Cessnas abwarfen. Mit permanenter Provokation durch Verletzung des kubanischen Luftraums. Und auch mit der Inszenierung von zum Teil tödlichen Attentaten in Havanna, Einschleusung und Bezahlung der Terroristen inklusive.
Der von Fidel Castro persönlich befehligte Gegenangriff lässt handelsübliche Agententhriller als einschläfernde Bettlektüre erscheinen. Die “Operation Spinne” seiner Top-Spione dauerte Jahre. Aber sie war erfolgreich, lieferte Namen von Auftrag- und von Geldgebern, genauso wie die Namen jener, die die schmutzigste Arbeit verrichteten. In Ermangelung diplomatischer Beziehung reiste in Castros Auftrag Nobelpreisträger Gabriel García Márquez nach Washington. Und am Ende waren die höchsten US-amerikanischen Geheimdienstler in Havanna, um containerweise Belastungsmaterial gegen mutmaßliche Terroristen in Empfang zu nehmen.
Fidel Castro erwartete Gerechtigkeit und Rechtstaatlichkeit, blauäugig. Er erfuhr das Gegenteil. Das alte Schlitzohr wurde ausgetrickst. Auch deswegen ist sein Zorn auf die USA in dieser Causa und die Bedeutung, die sie für ihn und sein Land hat, bestens nachvollziehbar. Der Kampf für ihre Freilassung war von Anfang an seine höchstpersönliche Angelegenheit.
Unrechtmäßige Prozesse gegen Agenten
Denn anstatt die Terroristen mit US-Pass strafrechtlich zu verfolgen, geschweige denn zu belangen, bestrafte der Nachbarstaat die kubanischen Agenten, die sich freilich nur als Verteidiger des Friedens und der Freiheit ihres Landes sehen. Die Prozesse gegen sie, da sind sich westliche Juristen einig, halten rechtsstaatlichen Normen nicht stand. Die Urteile, zum Teil mehrfach lebenslänglich, ebenso wenig. Die Haftbedingungen in mitunter langer Isolation desgleichen. Manche hatten über Jahre hinweg keinen Kontakt zu ihren Familien.
Solange die Kriege in Afghanistan, Irak und Syrien Amerikas Politik bestimmten und Kuba nur eine untergeordnete Rolle spielte, blieb der juristische Kampf der Kubaner für ihre Leute zum Scheitern verurteilt. Erst mit der Verhaftung des amerikanischen IT-Spezialisten Alan Gross, der Kubas Dissidenten offenbar mit Abhörgeräten und Spionageanlagen ausrüsten wollte, gelangte ein Faustpfand in die Hände der Kubaner. Lange war es wertlos.
Obama erkennt historische Chance
Für die Freiheit eines als Entwicklungshelfer getarnten mutmaßlichen Agenten geht ein amerikanischer Präsident nicht in die Knie. Deswegen macht er sich nicht vor den Kubanern klein. Zustimmung zum Austausch von Spitzeln? Nie und nimmer. Das macht der glücklose und schwächelnde Obama nur, weil er nun die historische Chance erkennt, sich trotz aller Umfragetiefs in der US-Geschichte zu verewigen. Hehre Motive und Vernunft muss man ihm nicht unbedingt zubilligen. Der Zeitpunkt ist für Obama ideal, um einzulenken. Der Einfluss der Anti-Castro-Lobby in Washington schwindet. Selbst viele Exilkubaner sind inzwischen für eine Aussöhnung, die Mehrheit aller US-Amerikaner ohnehin.
Nur mit Anti-Kuba-Propaganda gewinnt man selbst in Florida keine Wahlen mehr. Gleichzeitig wächst der Druck der US-Wirtschaft, die Geschäfte mit Kuba machen will. Obama witterte seine einzigartige Chance. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Schon ist die Rede von einer Aufhebung des Embargos. Die Aufnahme diplomatischer Beziehung nach mehr als 50 Jahren Feindschaft steht an. Selbst ein Besuch von Barak Obama in Havanna zu Zeiten seiner Präsidentschaft ist sehr wahrscheinlich geworden.
Hasta luego, tropischer Sozialismus!
Man sieht ihn schon vor sich, beim Staatsempfang auf dem Flughafen in Havanna. An seiner “Ich-bin-ein-Berliner”-Metapher haben seine Redenschreiber sicher lange gefeilt. “Wir sind alle Amerikaner”. Obama, doch noch der strahlende Sieger. Mit ziemlicher Sicherheit wird dann auch noch einmal Fidel Castro höchst persönlich fit gepäppelt für einen Händedruck mit dem Kollegen aus dem kapitalistischen Norden. Das wird Obama Punkte bringen in Lateinamerika.
Doch auch Fidel Castro wird sich als Sieger fühlen. Sieger in seiner letzten großen Schlacht. Trotz allem wird dieser Sieg für ihn wohl auch die größte Niederlage bedeuten. Die Übernahme Kubas durch den US-Kapitalismus wird nun mit Turbolader fortgesetzt. Hasta luego, tropischer Sozialismus. Welcome America.
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