Genuine Thueringen Bratwurst: Made in Kentucky

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Thüringer aus Kentucky

von Marcus Rohwetter

8. Januar 2015

Wie viel Schutz brauchen deutsche Würste? Das ist nicht nur eine gute, sondern auch eine überaus bedeutende Frage. Aufgeworfen wurde sie von Christian Schmidt zu Wochenbeginn im Spiegel. “Wenn wir die Chancen eines freien Handels mit dem riesigen amerikanischen Markt nutzen wollen”, sagte er, “können wir nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen.”

Nun ist Schmidt nicht irgendjemand, sondern Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft und damit so etwas wie der Schutzheilige der deutschen Agrarwirte und Lebensmittelproduzenten. Die sorgen sich seit der Äußerung ihres Ministers darum, dass viele ihrer Spezialitäten ihre Privilegien verlieren könnten, wenn das derzeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten verhandelte transatlantische Freihandelskommen TTIP tatsächlich zustande kommt.

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Dann, so warnte ein hochrangiger Industrielobbyist, würden Original Thüringer Rostbratwürste bald womöglich in Kentucky produziert. Verbraucherschützer schimpften, dass es “keinen Schwarzwälder Schinken aus Texas” geben dürfte. Und auf einmal hatten die Fans von Schwäbischen Spätzle, Nürnberger Lebkuchen und Allgäuer Emmentaler ein neues Feindbild: den Landwirtschaftsminister, der sie den Amerikanern auszuliefern gedachte.

Prompt versuchte CSU-Mitglied Schmidt, seine Schutzbefohlenen zu beruhigen. “Ich will alle schutzwürdigen Würste und Käse schützen”, erklärte er auf der Website seines Ministeriums und forderte die EU-Kommission auf, “dass sie in der Verhandlung auf diese geschützten geographischen Angaben und geschützen Ursprungsbezeichnungen besteht”.

Schmidts Äußerungen klingen widersprüchlich. Wenn alles bleiben soll wie bisher, müsste man ja nichts mehr ändern. Dennoch enthalten seine Worte eine Warnung an Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Schmidt verlangte nämlich auch, “dass die europäischen Vorschriften zum Schutz regionaler Spezialitäten auch in Europa wieder ernster genommen werden”.

Und das ist eigentlich der Kern der Debatte: Es geht um Regeln – ganz allgemein. Wer von anderen deren Einhaltung verlangt, sollte sie selbst nicht ignorieren oder im eigenen Geschäftsinteresse möglichst weit auslegen.

Das kann die Lebensmittelbranche aber sehr gut, und zwar nicht nur bei Fragen der Herkunft. So haben Produzenten die Abgrenzung von Apfelschorle und Apfel-Saft-Schorle erfunden. Sie erfinden permanent vermeintliche Wunderwirkungen für neue Produkte. Sie schreiben Wörter wie “natürlich” auf jede nur mögliche Verpackung. Etwa auf die von Erfrischungsgetränken, was die Verbraucherzentrale Hessen neulich breit untersuchte. Da war auf einer Packung der Spruch “nur natürliches Aroma” und ein saftiger Apfel zu sehen. Bloß stammte das natürliche Aroma gar nicht von Äpfeln, sondern von Zellulose.

Juristisch ist so eine Irreführung nicht einmal zu beanstanden. Sie belegt allerdings, wie gut die Industrie das Spiel mit den Erwartungen der Konsumenten beherrscht. Und wie sie den Umstand ausnutzt, dass der gesunde Menschenverstand nicht immer mit den Regelungen des Lebensmittelrechts einhergeht.

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