America, You’ve Got It Better

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Amerika, du hast es besser – eine Gegenrede zur Lage der Nation

von Karl Gaulhofer

21.01.2015

Die Amerikaner galoppieren uns wirtschaftlich davon. Was können wir von ihnen lernen? Von ihren Rezepten wenig, von ihrem Optimismus viel.

Ach, Amerika! Jenseits des Atlantiks regiert eine lahme Ente als Präsident. Obamas Reden zur Lage der Nation sind rhetorische Feuerwerke, die umso schneller verglühen, desto heller sie leuchten. Kongress und Senat blockieren ihn, das Land ist in zwei Lager zerrissen. Die Staatsschulden sind höher als die Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres. Und dann: Diese obszöne Kluft zwischen Superreichen und dem Rest! Straßen voller Schlaglöcher. Und Schulen, die nur dafür sorgen, dass künftig aus keinem einzigen Tellerwäscher mehr ein Millionär wird.

Das scheint unsere Amerika-Hasser zu trösten. Und sie können Trost gebrauchen. Denn wieder einmal ziehen die USA Europa wirtschaftlich davon. Während sich über die Eurozone der lähmende Mehltau einer „säkularen Stagnation“ legt, wächst Amerika so schnell wie schon lange nicht mehr. Mehr Beschäftigung, weniger Arbeitslose: Es läuft wieder bestens bei Onkel Sam. Das billige Öl befeuert die Konsumfreude der Bürger und die Investitionslust der Unternehmen. Die Industrie holt ihre Produktionen aus Asien zurück. Technologische Fixsterne wie Apple, Google und Facebook leuchten heller denn je. Die Wall Street, eben noch Epizentrum einer globalen Finanzkrise, hat ihr Fundament mit Kapital verstärkt und macht längst wieder glänzende Geschäfte.

An all dem war Obama, der heute so entzaubert und zerzaust wirkt, nicht unbeteiligt. Seine Regierung sorgte mit ihrem beherzten Zugriff in der Krise dafür, dass Finanzsektor und Autoindustrie rasch wieder auf eigenen Füßen standen. Der Staat gab auch die Marschrichtung für den Frackingboom vor. Durch die neue Fördermethode florieren strukturschwache Präriestaaten und fallen die Ölpreise. Nur wollen wir Europäer vielem nicht folgen. Mit Gift Gas aus dem Gestein pressen, mit Daten der Bürger Geschäfte machen, schon wieder auf Finanzjongleure setzen – das erscheint uns alles wenig nachhaltig, und vielleicht haben wir damit ja recht.

Gewiss falsch aber wäre, die Amerikaner dort nachzuahmen, wo jeder Vergleich in die Irre führt: bei der Fiskal- und Geldpolitik. Die sich auftürmenden US-Staatsschulden waren nicht die Saat für den Konjunkturaufschwung, sondern die Folge von aus dem Ruder gelaufenen Ausgaben – für Arbeitslose, ein zu teures Gesundheitssystem und ein hypertrophes Militär. Und die gigantischen Anleihekaufprogramme, mit denen die Fed zum größten Gläubiger der öffentlichen Hand wurde? Sie sind in der Eurozone zumindest noch heikler. Denn sie könnten in Krisenländern gezielt fiskalpolitisch wirken, Preissignale massiv verzerren und damit nötige Reformen viel kräftiger bremsen. Aus gutem Grund stützen die USA einzelne marode Bundesstaaten nicht mit Zentralbankgeld.

Also können wir nur tatenlos zusehen, wie uns die Amerikaner überholen? Auch wir haben unsere Projekte, und sie sind sogar nachhaltiger. Wie die grüne Energiewende. Oder Pakte der EU-Staaten, die geschickt genutzt einen segensreichen Wettstreit zwischen den Volkswirtschaften entfachen könnten. Allein: Wir glauben nicht daran. Verzagt und halbherzig kapitulieren wir beim ersten Hindernis. Die Amerikaner aber fallen hin – und stehen sofort wieder auf, möglichst aus eigener Kraft. Das hält sie flexibel, innovativ und selbstständig. Egal, ob ihnen der Hurricane das Dach vom schlampig gezimmerten Haus reißt, ob sie pleitegehen oder gemeinsam der Welt eine Finanzkrise bescheren: Sie lernen daraus schnell das Allernötigste und blicken wieder frohgemut nach vorn.

Wir Europäer aber schauen ängstlich zurück, auf ein bequemes Gestern und lieb gewonnene Besitzstände. Denn billige Treibstoffe, niedrige Zinsen und mehr als genug Geld der Notenbank hätten wir auch. Aber wir investieren nicht, weil die „unsichere Lage“ uns hemmt – also: weil wir Angst vor der Zukunft haben. Womit wir sie bereits verspielen. „Amerika, du hast es besser“, seufzte schon Goethe und lieferte die noch heute gültige Erklärung nach: „Dich stört nicht im Innern, zu lebendiger Zeit, unnützes Erinnern und vergeblicher Streit.“ Die Amerikaner bauen viel Mist, und er dient ihnen sogleich als Dünger. Bei uns aber regiert der Pessimist, auf dem nichts gedeiht.

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