Groundbreaking Trans-Atlantic Free Trade Agreements

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Wegweisender transatlantischer Freihandel

Anfang Februar wollen sich die Handelsdiplomaten der EU und der USA in Brüssel zum achten Mal in Folge einfinden, um über ein transatlantisches Bündnis (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) zu verhandeln. Bei diesem Treffen sollen auch die höchst umstrittenen Regeln zum Investorenschutz auf der Agenda stehen. Dabei geht es um ein Schiedsgericht, an das sich ausländische Investoren wenden können, um Schadenersatz einzufordern, wenn sie sich vom Gastland ungerecht behandelt fühlen. Einige europäische Politiker sehen in dem Schutz eine Untergrabung der Ländersouveränität und wollen einen solchen Schutz gar nicht erst in einem Freihandelsabkommen (FHA) vorsehen, obwohl er bereits in vielen internationalen Verträgen, bei der EU etwa in demjenigen mit Singapur, etabliert ist. Die Gegner fürchten, dass Konzerne dadurch unliebsame Gesetze etwa im Umweltschutz zu Fall bringen könnten. Die Amerikaner betonen hingegen die Rechtssicherheit, die der Schutz bietet, und fordern ihn völlig zu Recht als normalen Standard vehement ein. Er soll Investitionen erleichtern, indem er Firmen die Angst vor staatlicher Willkür und Enteignung nimmt.

Hohe Effizienzgewinne für Unternehmen

Auch der Nahrungsmittelsektor spaltet die Gemüter. Den Europäern sind sämtliche genveränderten amerikanischen Lebensmittel suspekt. Zudem fürchten sie sich vor mit Chlor desinfizierten Hühnchen oder mit Wachstumshormonen versetztem Rind- und Schweinefleisch aus den USA. Aber auch die Amerikaner haben viele Vorbehalte, zum Beispiel immer noch gegen BSE-Fleisch aus Europa. Gestritten wird überdies um die Dossiers Datensicherheit, Finanzmarktregulierung und Arbeits- sowie Umweltstandards. Hier argwöhnen vornehmlich die Europäer, dass hart erkämpfte arbeitsrechtliche Normen auf ein niedrigeres Niveau gesenkt würden.

Laut dem derzeitigen Fahrplan beabsichtigen die beiden Parteien, sich noch im laufenden Jahr auf die Eckpfeiler eines Abkommens zu einigen. Falls sie dieses Zeitfenster verstreichen lassen, fürchten Experten, dass überhaupt kein Konsens mehr erzielt wird. 2016 finden nämlich die US-Präsidentschaftswahlen statt. Handelspolitische Grossprojekte stossen bei der amerikanischen Bevölkerung in der Regel auf starken Widerstand. Deshalb müssen sich die EU und die USA eigentlich vor den Wahlen einigen, wollen sie wirklich einen transatlantischen Durchbruch schaffen. Die Verhandlungen verlaufen aber bis jetzt überaus schwierig. Erstens streben die Parteien eine Art Goldstandard an. Der inhaltliche Umfang reicht vom Lebensmittelrecht über arbeitsrechtliche Fragen bis zu umwelttechnischen Problemen. Zweitens geht es ums Prinzip. Würden die USA auf den Investorenschutz als Standardklausel im Vertrag mit der EU verzichten, schüfen sie einen Präzedenzfall. Warum sollten die Asean-Staaten in einer transpazifischen Partnerschaft mit den USA einen solchen Schutz akzeptieren, wenn dies die EU nicht tut? Drittens schwindet der Rückhalt in der Gesellschaft für das TTIP zunehmend. Der Widerstand richtet sich gegen «verdächtige», angeblich intransparente Verhandlungen, auf die diffuse Globalisierungsängste projiziert werden. Diese Woche hat die EU auf die Kritik reagiert, indem sie einige ihrer Textvorschläge veröffentlichte. Doch selbst wenn ein gesichtswahrender Konsens zustande kommt, birgt der komplexe Ratifizierungsprozess noch weitere Unsicherheiten. Wenn nur ein Land von 28 EU-Staaten Nachverhandlungen forderte, wäre das Abkommen unter Umständen auf Eis gelegt.

Auch wenn die Hürden bis zu einem TTIP gross – um nicht zu sagen übermächtig – erscheinen, sollte nicht vergessen werden, dass es insgesamt um sehr viel geht. Es entstünde die grösste Freihandelszone der Welt, die rund einen Drittel des globalen Güter- und Dienstleistungsaustausches abwickeln würde. Historisch gesehen wäre es sogar die am weitesten gehende bilaterale Vereinbarung überhaupt. In einem grosszügigen Szenario, bei dem die Parteien nicht nur Zölle, sondern auch nichttarifäre Hemmnisse abbauen, könnten Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks Waren wesentlich effizienter und schneller austauschen. So müssten sie etwa europäische Produkte nicht zuerst langwierig auf US-Standards umrüsten und umgekehrt. Dank einheitlichen Normen könnten Firmen also viel Geld sparen, das sie sonst für bürokratische Anpassungen aufbringen. Die zwei im Welthandel dominanten Regionen hätten die Chance, die Regeln des internationalen Waren- und Dienstleistungsaustausches zu ihren Gunsten festzulegen. Bei einem umfassenden TTIP sähen sich andere Länder nämlich dazu gezwungen, uniforme TTIP-Standards zu übernehmen, wenn sie auf den Märkten präsent sein wollen. Folglich würden sich die Normen wohl insgesamt stärker harmonisieren. Auf der multilateralen Ebene wird ein Abbau von nichttarifären Hemmnissen schon lange vorangetrieben. Beachtliche Fortschritte sind dabei jedoch ausgeblieben. So hatten sich die Mitglieder der Welthandelsorganisation 2013 auf Handelserleichterungen verständigt. Als es 2014 allerdings um deren konkrete Umsetzung ging, scherte Indien aus. Nur mit grösster Mühe gelang es schliesslich doch noch, das Land vom Bali-Paket zu überzeugen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass dieses nur ein winziger Teil der umfassenden Doha-Runde darstellt, die seit über einem Jahrzehnt feststeckt.

Volle Kraft voraus

Das TTIP könnte dem verkrusteten Welthandel Flügel verleihen. Laut einer Studie des Münchener Ifo-Instituts würde davon die gesamte Weltwirtschaft profitieren, erhöhte sich doch nach den Berechnungen der Wissenschafter das globale Pro-Kopf-Einkommen im Mittel um 3,3 Prozent. Gerade in der gegenwärtigen Krisenzeit wären dies dringend benötigte Wachstumsimpulse. Davon könnte auch die Schweiz profitieren, die nach Wegen suchen muss, um sich eventuell an ein TTIP anzudocken. Die Schweizer Regierung brach 2006 vornehmlich wegen Meinungsverschiedenheiten in der Agrarpolitik die FHA-Gespräche mit den USA einseitig ab. Um eine Einbindung oder andere Optionen zu prüfen, haben die Efta-Staaten (Schweiz, Norwegen, Island sowie Liechtenstein) nun den handelspolitischen Dialog mit den Amerikanern wieder intensiviert.

Aber was braucht es, dass das TTIP nicht primär als Bedrohung, sondern als die einmalige Chance, die es ist, wahrgenommen wird? In erster Linie wohl mehr Aufklärung, vor allem beim Thema Schiedsgerichte, die zu Unrecht als antidemokratisch verteufelt werden. Zudem wird das transatlantische FHA auf Nebensächlichkeiten wie Chlorhühnchen reduziert. Selbst wenn europäische Supermärkte diese anböten, hätte der Konsument ja immer noch die Wahl, diese zu kaufen oder ein anderes Produkt zu wählen. Eine transatlantische Handelsliberalisierung wäre ein eminent wichtiger Fortschritt, der die Spielregeln und die Rechtssicherheit in grossen Polen der Welt entscheidend verbessern könnte. Es ist deshalb zu hoffen, dass die EU und die USA alles daransetzen, für mehr Rückhalt in der Bevölkerung zu sorgen und sich im Sinne des «big picture» in vernünftiger Frist zu einigen.

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