Infektionen in Amerika
Die Masern rücken näher
Ausgerechnet im kalifornischen „Disneyland“ nahm eine Masernepidemie ihren Ausgang. Die Behörden melden, dass viele Infizierte sich bewusst nie hatten impfen lassen. Auch in Berlin treten Fälle auf. Bringen die Infektionsserien die Wende in der Impfdebatte?
04.02.2015, von CHRISTINA HUCKLENBROICH
Masernausbrüche konnten in den vergangenen Jahren stets klar umrissenen Orten zugeordnet werden: einem Internat in Pennsylvania, einer Waldorfschule im Rhein-Erft-Kreis, einem Studentenwohnheim in Freiburg oder auch – wie im Herbst vergangenen Jahres – einer Hundeausstellung in Slowenien. Wer mit diesen Orten und Einrichtungen keine Berührung hatte, wähnte sich oft in – zumindest relativer – Sicherheit. Die Maserninfektionen allerdings, die derzeit in den Vereinigten Staaten um sich greifen, wecken erstmals in aller Deutlichkeit ein allgemeines Verständnis dafür, dass Masern keine Grenzen respektieren, weder die Mauern einer Schule noch die Eingangstür eines Kindercafés.
Mehr als achtzig Fälle in vierzehn Bundesstaaten zählen die Amerikaner seit Anfang des Jahres. Assoziiert ist die Ansteckungsserie ausgerechnet mit zwei kalifornischen Disneyland-Freizeitparks, mit jenen Orten, an denen Tausende ihre Ferien verbringen, Einheimische genauso wie Touristen. Daneben traten auch Fälle auf, die sich nicht in einen Zusammenhang mit den Herden in Kalifornien bringen ließen. Dementsprechend ist eine hitzige und von Angst geprägte öffentliche Debatte in den Vereinigten Staaten entbrannt. In einzelnen Orten wurden Ungeimpfte bereits aufgefordert, bei Symptomen zu Hause zu bleiben.
Auch Berlin ist betroffen
Noch beschränkt sich die neue Debatte über Impfskepsis nur auf die Vereinigten Staaten – obwohl es auch in Berlin aktuell Masernfälle gibt. Offenbar habe eine Epidemie, die im Februar 2014 in Bosnien und Herzegowina begann, jetzt die deutsche Hauptstadt erreicht, heißt es im „Deutschen Ärzteblatt“. Bisher wurden 375 Erkrankungen gemeldet, „davon allein 82 Fälle in der 4. Woche 2015“. Zunächst sollen vor allem Asylsuchende betroffen gewesen sein. Mittlerweile träten die Fälle jedoch überwiegend in der übrigen Berliner Bevölkerung auf, teilte das Robert-Koch-Institut mit.
In den Vereinigten Staaten ist durch die Epidemie einiges ins Rollen geraten. Denn vielen Menschen ist nun eins klar geworden: Mit jenen ominösen „Masernpartys“, die offenbar kaum mehr als eine „Urban Legend“ sind, hat diese rasche Verbreitung nichts mehr zu tun. Ob es je Partys gab, auf denen impfkritische Eltern ihren Kindern eine „natürliche“ Ansteckung ermöglichen wollten, ist ungeklärt. Was es allerdings in Amerika ebenso wie in Deutschland gibt, ist eine tiefsitzende Impfskepsis. In einer Pressekonferenz erklärten die kalifornischen Gesundheitsbehörden, dass 82 Prozent der im „Golden State“ an der Westküste infizierten Menschen ungeimpft waren. „Sechs waren zu jung für die Impfung, und der Rest war mit Absicht nicht geimpft worden“, heißt es aktuell im „British Medical Journal“ (doi: 10.1136/bmj.h436). Die Infizierten in Kalifornien sollen zwischen sieben Monaten und siebzig Jahre alt gewesen sein.
Das macht die eigentlich verheerende Wirkung des Ausbruchs deutlich: Zwar können sich auch Schulkinder nicht selbständig für oder gegen eine Impfung entscheiden, sondern ihre Eltern übernehmen diese Verantwortung für sie. Aber den Allerjüngsten hätten selbst impfwillige Eltern kaum genützt: Die erste Impfung gegen Masern kann erst im Alter von elf Monaten erfolgen, vollständig ist der Impfschutz dann mit der zweiten Impfung, die man bis zum zweiten Geburtstag vornimmt. Und gerade die Genesung der im Babyalter Infizierten ist bisweilen trügerisch. Durch eine chronische Gehirnentzündung, Spätfolge der Infektion, können sie dann Jahre später doch noch sterben. Dass diese medizinischen Details jetzt in Amerika durch die akute Gefährdung so viel Öffentlichkeit erfahren, mag langfristig vielleicht mehr an der Impfskepsis ändern als Aufklärungskampagnen.
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