In den USA werden die Forderungen nach Waffenlieferungen an die Ukraine lauter. Die Kanzlerin weigert sich. Droht ein transatlantischer Konflikt?
Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel heute mit Barack Obama in Washington über die brandgefährliche Ukraine-Krise spricht, wird wieder einmal von einer “Wegscheide” die Rede sein. Alle reden im Augenblick von der Gefahr, dass die Kämpfe, wenn man das Falsche tut, schnell in einen offenen Krieg münden könnten.
Doch was ist der richtige und was der falsche Weg? Soll man, wie Merkel sagt, allein auf die langsame, aber unaufhaltsame Kraft der Diplomatie setzen? Oder müsste man angesichts der russischen Halsstarrigkeit nicht auch militärische Optionen einbeziehen, zum Beispiel die Bewaffnung der ukrainischen Armee? Letzteres fordern immer mehr amerikanische Politiker.
Alle wollen, dass Putin einlenkt, aber wie bringt man ihn dazu? Darüber herrscht zwischen Europäern und Amerikanern heftiger Streit, wie man am vergangenen Wochenende auf der internationalen Münchner Sicherheitskonferenz erfahren konnte. Passt man nicht höllisch auf, könnte aus diesem transatlantischen Riss wieder ein tiefer Graben werden, so wie 2003, als sich Deutschland und Frankreich dem amerikanischen Irakkrieg verweigerten.
Freuen würde sich darüber in erster Linie Wladimir Putin. Denn schon lange lässt er nichts unversucht, um einen Keil nicht nur zwischen die Europäer zu treiben, sondern auch zwischen Europa und Amerika.
Vehement widersetzen sich Kanzlerin Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der Forderung nach Defensivwaffen für die Ukraine. Dazu würde unter anderem die Ausrüstung mit Nachtsichtgeräten gehören, außerdem moderne Radare, die frühzeitig russische Raketenwerfer aufspüren können, aber ebenso panzerbrechende Raketen, bei denen die Grenze zwischen defensiv und offensiv verschwimmt.
Kurzum: Im großen Konflikt um Krieg und Frieden steckt auch ein transatlantischer Konflikt. Merkel sagt, militärische Konflikte mit einem Gegner wie Russland ließen sich nicht militärisch lösen. Beilegen müsse und könne man diese nur am Verhandlungstisch. Dafür brauche man unendlich viel Geduld, Ausdauer, vor allem aber: Geschlossen- und Entschlossenheit der westlichen Partner und Bündnisse. Merkel erinnerte auf der Sicherheitskonferenz von München daran, dass über den Bau der Mauer 1961 auch kein Krieg geführt wurde, und dass sie als DDR-Bürgerin 28 Jahre auf ihre Freiheit habe warten müssen.
US-Politiker urteilen arrogant
Amerika folgt jedoch einer anderen Logik, hier heißt das Mantra: “All options are on the table!” Keine Maßnahme, also auch kein militärisches Mittel, dürfe von vornherein ausgeschlossen werden, denn damit zeige man sich schwach.
Zwar sagen amerikanische Politiker von rechts bis links in der Ukraine-Krise wie Merkel: Militärisch lasse sich der Konflikt nicht beilegen. Doch weil die Diplomatie bislang versagt hat, sagen sie auch: Man müsse den Druck auf Moskau entscheidend erhöhen, indem man die Ukraine bewaffne, damit sie sich selber verteidigen und Russland Schaden zufügen könne. Das Kalkül: Wenn in Russland die ersten Särge mit gefallenen russischen Soldaten einträfen, würde Putin zwangsläufig einsichtig werden.
Das klingt zwar rein theoretisch nicht unplausibel, in der realen Welt aber ist diese Rechnung hochgefährlich. Denn wer garantiert, dass Russlands Präsident tatsächlich einlenkt? Die jüngste Geschichte zeigt, dass ihn die Opfer im Tschetschenien- oder Georgienkrieg nicht sonderlich geschreckt haben. Näher liegt, dass Putin als Antwort auf Waffenlieferungen seinerseits aufrüstet und die ostukrainischen Separatisten mit modernstem Gerät ausstattet. Dass er also den Konflikt Schritt für Schritt militärisch eskaliert, bis der Westen nicht mehr mithalten kann, weil er sonst mit eigenen Truppen eingreifen müsste.
Natürlich kann niemand mit letzter Gewissheit sagen, welche Maßnahmen des Westens Putin tatsächlich beeindrucken würden. Doch die Brutalität, mit der einige amerikanische Politiker, allen voran eine Handvoll namhafter republikanischer Senatoren, die Bewaffnungsoption derzeit puschen, die Unverfrorenheit, mit der sie der Bundeskanzlerin Naivität, Dummheit und einen “großen Fehler” vorwerfen, weil sie Waffenlieferungen verweigert, kehrt leider eine schlechte Seite des unverzichtbaren amerikanischen Freundes hervor: seine bisweilen brachiale Arroganz, mit der er andere belehrt, die maßlose Überheblichkeit, mit der er meint, stets auf der richtigen Seite zu stehen.
Obama setzt noch auf strategische Geduld
Auf die Spitze trieb es in München der republikanische Senator Lindsey Graham. Er wisse nicht, ob eine Bewaffnung andere und bessere Ergebnisse zeitigen werde, gab er zu. Aber auf jeden Fall würde er sich damit persönlich besser fühlen.
Amerikas Präsident und Amerikas Außenminister halten sich aus dieser Debatte derzeit noch heraus und betonen stattdessen den Schulterschluss mit Paris und Berlin. Das werden sie auch jetzt bei Merkels Besuch im Weißen Haus gebetsmühlenartig vortragen. Und sie werden darauf verweisen, dass Obama in seiner jüngst vorgestellten Sicherheitsdoktrin – ganz in Merkels Diktion – selber auf “strategic patience” setze, auf strategische Geduld.
Wie lange aber diese Einigkeit noch währt, wird entscheidend von Merkels diplomatischen Erfolgen abhängen, von den Minsker Verhandlungen am Mittwoch. Und vor allem davon, ob Wladimir Putin nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich einlenkt. Sollte er jedoch sein altes Spiel weiterspielen, wird sich wohl auch Barack Obama dem immer lauter werdenden Ruf nach einer Bewaffnung der ukrainischen Armee nicht länger entziehen können.
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