How Putin, Obama and Co. Learned To Love the Bomb Again

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Warum Putin, Obama & Co. wieder gelernt haben, die Bombe zu lieben

Von Christian Ultsch

21.03.2015

Der Traum von einer atomwaffenfreien Welt ist vor allem deshalb geplatzt, weil die USA, Russland und China nicht mit gutem Beispiel vorangegangen sind.

Zum ersten Jahrestag der Krim-Annexion fand Wladimir Putin offene Worte. Es sei damals ja nicht klar gewesen, wie die Welt auf die Übernahme der Halbinsel reagieren werde, vertraute der russische Präsident den Hagiografen einer Fernsehjubeldoku an. Aber gegebenenfalls, so Putin, wäre er bereit gewesen, die russischen Atomstreitkräfte in Gefechtbereitschaft zu setzen. Das ist auch noch im Nachhinein gut zu wissen: Im Kreml sitzt ein Herrscher, der skrupellos genug ist, Nuklearwaffen scharf zu machen, um seine Interessen durchzusetzen.

An diese neue Härte der Auseinandersetzung wird die westliche Welt sich erst wieder gewöhnen müssen – und auch an den Gedanken, dass die Gefahr von Atomkriegen, so unvorstellbar sie uns auch erscheinen mögen, vielleicht gar nicht so weit hergeholt ist. Bis zu 17.000Atomsprengköpfen lagern in Bunkern rund um die Welt. Genug, um die Menschheit mehrmals auszurotten. Overkill nennt sich diese Überkapazität des Grauens. Im Kalten Krieg war der Begriff noch in aller Munde. Damals war die Angst vor einem Atomkrieg so nah, dass sie sich in der Populärkultur niederschlug, in Filmen („Dr.Seltsam“ oder „Day After“) und auch in Songs („Cruise Missiles“ von Fischer Z).

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 glitten atomare Horrorszenarien aus dem kollektiven Bewusstsein. Die Welt schien sicherer. Doch das erweist sich zunehmend als Trugschluss: Denn die überschaubaren Regeln des Ost-West-Konflikts, als einander zwei Supermächte gegenübergestanden sind, haben sich aufgelöst. Zu den fünf UN-Vetomächten sind neue Atomstaaten hinzugekommen: Indien, Pakistan, Nordkorea und davor schon Israel. Und mit jedem Ankömmling im Nuklearklub erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die verheerenden Waffen weitergegeben werden und eines Tages sogar Terrorgruppen in die Hände fallen. Längst haben die USA Notfallpläne, um pakistanische Atomstützpunkte zu besetzen, falls Taliban Islamabad einnehmen sollten. Niemand weiß, wie sich Nordkoreas Regime verhielte, wenn es mit dem Rücken zur Wand stünde. Zündet es dann zum Abschied noch eine Bombe? Möglicherweise pflegen Nordkoreas Diktatoren ihre irre Aura bewusst, damit ihnen das Äußerste zugetraut wird. Die Nuklearwaffen dürften sie trotz aller Sanktionen aus rationalen Erwägungen horten – als Versicherung gegen eine Militärintervention. Die Kim-Dynastie fühlt sich wohl durch die Erfahrung anderer bestätigt. Die Gaddafis wären noch in Libyen an der Macht, wenn sie sich ihr Atomprogramm nicht hätten abverhandeln lassen. Und die Krim gehörte heute vermutlich noch zu Kiew, wenn die Ukraine ihre Atomwaffen 1994 nicht aufgegeben hätte, damals im Budapester Memorandum, in dem sich Russland vertraglich band, die Grenzen der unterzeichnenden Ex-Sowjetrepubliken zu achten.

Die Sicherheit, die Atomwaffen bieten, ist freilich relativ. Nur weil seit Nagasaki keine Bombe mehr außerhalb eines Testgeländes detoniert ist, heißt das nicht, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Die Menschheit schrammte seit 1945 mehrmals haarscharf an der Katastrophe vorbei: 1962 in der Kuba-Krise oder auch 1983, als der sowjetische Oberst Petrow einen vom Überwachungssystem gemeldeten US-Raketenangriff als Fehlalarm erkannte.

1968 hat die Welt sich auf ein vernünftiges Regelwerk geeinigt, um die Nukleargefahr einzudämmen. Im Atomwaffensperrvertrag verpflichteten sich mittlerweile 190 Staaten, dass außer den fünf UN-Vetomächten niemand die Bombe haben darf. Indien, Pakistan und Israel traten nie bei, Nordkorea 2003 aus. Der Deal lief so: Die Weitergabe von Kernwaffen wurde verboten; die Habenichtse gelobten, keine Bombe anzuschaffen; die Atommächte versprachen abzurüsten. Vom letzten Teil der Vereinbarung wollten die Großen nie viel wissen. Und momentan haben die USA, Russland und China Milliardenprogramme laufen, um ihr Arsenal neu zu bestücken.

Vom Traum einer atomwaffenfreien Welt, den Obama 2009 in Prag gepredigt hat, sind wir weit entfernt. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich zur Abwechslung auch die Großen an Regeln hielten und nicht zu einer internationalen (Un-)Ordnung zurückkehrten, in der lediglich das Recht des Stärkeren gilt.

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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