Guns for Puerto Rico (Part 1)

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Waffen für Puerto Rico

Ginge es nach der National Rifle Association, gäbe es in der karibischen US-Kolonie längst mehr Pistolen und Gewehre. Wenn dadurch die dortige Verbrechensrate gesenkt würde, so die Erwartung, erhielte die Waffenlobby im Mutterland wieder Auftrieb

Von Jürgen Heiser

Für die NRA kann es gar nicht (früh) genug Handfeuerwaffen geben

Für die NRA kann es gar nicht (früh) genug Handfeuerwaffen geben. (Auf der jährlichen Messe der Organisation in Houston im Mai 2013)

Foto: Adrees Latif / Reuters

Nach einem aktuellen Filmbericht der US-Medienplattform Vice News, die vorwiegend Themen aus dem Bereich Politik, Verbrechen und Verbrechensbekämpfung aufgreift, soll es einen neuen Spitzenreiter unter jenen Länder geben, die durch eine hohe Zahl von Tötungsdelikten auffallen: Puerto Rico. Die auch in Europa eher als touristisches »Tropenparadies« bekannte Karibikinsel ist seit 1898 unter permanenter Verletzung des Völkerrechts Kolonie der USA.

Bleibt die Frage, warum die weltweit in 34 Ländern, darunter auch in der BRD vertretenen Vice News 1 das Eiland mit ihrem am 7. Januar 2015 veröffentlichten Filmbericht »Das Waffenproblem von Puerto Rico« quasi zur »Mordinsel« erklären und was das mit der US-Waffenlobby zu tun hat. (jW)

Der Sicherheitsapparat und die Waffenlobby der USA stehen seit einiger Zeit im Brennpunkt einer Debatte über strengere Restriktionen des polizeilichen Waffengebrauchs und über eine schärfere gesetzliche Kontrolle des privaten Waffenbesitzes. Die Erschießung des 18jährigen Afroamerikaners Michael Brown im August vorigen Jahres in Ferguson, Missouri, und sich häufende ähnliche Fälle rassistischer Polizeigewalt stellen die US-Regierung – und besonders ihren afroamerikanischen Präsidenten – gegenüber der in- und ausländischen Öffentlichkeit vor ein heikles Legitimationsproblem.

Aber Militarisierung und Brutalisierung der Polizei sind nur die eine Seite bewaffneter Gewalt in den Vereinigten Staaten. Auch der völlig unkontrollierte Privatbesitz an Waffen fordert viele Opfer. Stärker als je zuvor will deshalb seit 2012 eine wachsende Mehrheit von US-Bürgern den Waffenerwerb gesetzlich einschränken lassen. Grund dafür waren Fälle wie der des privaten Nachbarschaftswächters George Zimmerman, der den unbewaffneten schwarzen Teenager Trayvon Martin erschoss, weil der Jugendliche ihm »verdächtig« vorkam.

Nach dem Amoklauf in der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown, Connecticut, bei dem der 20jährige Adam Lanza im Dezember 2012 außer seiner Mutter 20 Kinder und sechs Angestellte der Schule und schließlich sich selbst umbrachte, kippte bei der Mehrheit der US-Bevölkerung die Stimmung vollends zu Ungunsten der US-Waffenlobby. Der 20jährige Lanza war mit zwei Pistolen und einem halbautomatischen Sturmgewehr bewaffnet, die legal erworben und auf den Namen seiner Mutter registriert waren. »Wie jung müssen die Opfer sein und wie viele Kinder müssen sterben, bevor wir die Verbreitung von Waffen in unserem Land und das Töten von Unschuldigen stoppen?« fragte die Präsidentin des US-Kinderschutzbundes in einem Kommentar der Huffington Post. In seiner Talkshow »Piers Morgan Tonight« wetterte der aus England stammende CNN-Moderator am 19. Dezember 2012 gegen Larry Pratt, den Vorsitzenden der Vereinigung »Gun Owners of America«, den er unmittelbar nach dem Sandy-Hook-Massaker zu den Waffengesetzen in den USA befragte: »Ich habe es satt, ständig zu hören, die beste Antwort auf solche Massaker seien mehr Waffen.« Die gut vernetzte Waffenlobby richtete zwei Tage später als Reaktion auf Morgans Plädoyer für die Verschärfung der Waffengesetze eine Petition ans Weiße Haus, in der die sofortige Abschiebung des »Ausländers« Morgan gefordert wurde.

Schießeisen für alle

Führend in der Propaganda zur ungehinderten Verbreitung jedweder Art von Schusswaffen ist die »National Rifle Association« (NRA). Das Motto der von der Waffenindustrie und von konservativen bis rechten Kreisen hofierten und finanzierten Lobbyorganisation lautet »Stand and Fight!« (»Halte stand und kämpfe!«). Jährliche Millionenspenden haben die 1871 gegründete NRA in den letzten Jahrzehnten zu einer der mächtigsten Interessengruppen der USA gemacht. Sie beeinflusst politische Wahlen durch die finanzielle Unterstützung ihr genehmer Kandidaten und schaltet dazu Werbespots oder lanciert in massenwirksamen TV-Medien vorgeblich »redaktionelle« Beiträge, die in Wahrheit aus ihrer eigenen Giftküche stammen. Sie sieht sich als Wahrerin der Verfassung, weil sie sich auf den 1791 verabschiedeten zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung beruft, der es jeder US-Regierung ausdrücklich verbietet, das Recht auf Besitz und Tragen von Waffen einzuschränken. In der Konsequenz gibt es in den USA heute nach Erhebungen von gunpolicy.org 270 Millionen Schusswaffen in Privathänden, das sind rund 85 pro 100 Einwohner.

Durch privaten Waffengebrauch erleiden jedes Jahr rund 100.000 US-Bürger Schussverletzungen, mehr als 30.000 werden getötet. Laut Spiegel online kamen in den USA seit 1979 mehr Kinder durch Schusswaffen um als US-Soldaten im Vietnamkrieg. Wie das US-Magazin Mother Jones nach dem Amoklauf in der Sandy-Hook-Grundschule analysierte, gab es in 30 US-Bundesstaaten von 1982 bis 2012 mindestens 62 Massaker, 32 davon seit 2006 und davon allein sieben im Jahr 2012 mit 151 Todesopfern. In 49 Fällen wurden die Taten mit legal erworbenen und in nur 12 mit illegal besorgten Waffen ausgeführt. In einem Fall war die Herkunft unbekannt. USA Today zitierte am 18. Dezember 2012 Untersuchungen des britischen Kriminologen Peter Squires von der University of Brighton, wonach die USA nicht nur »weltweit führend sind im Waffenbesitz«, sondern durch »ihre individualistische Kultur auch das größere Risiko eines Massakers mit Schusswaffen« aufwiesen.

Nach dem Amoklauf in der Schule griff US-Präsident Barack Obama die Stimmung in der Bevölkerung auf und erklärte sichtlich erschüttert vor der Presse: »Wir haben in den vergangenen Jahren zu viele dieser Tragödien durchgemacht.« Nun müsse mit Blick auf die Waffenkontrolle gehandelt werden, »ohne Rücksicht auf Parteipolitik«. Schon diese vorsichtigen Worte waren der Waffenlobby zuviel. Nach Ablauf einer Schamfrist von einer Woche startete die NRA eine Medienkampagne, die Obama als Symbolfigur der Verschärfung der Waffengesetze zum Intimfeind erklärte. Der Vorwurf: Der Präsident lasse seine eigenen Kinder durch bewaffnete Sicherheitsbeamte schützen, er wolle aber das Land entwaffnen und die Wachdienste an Schulen unbewaffnet lassen und gebe somit die Kinder von Normalbürgern »zum Abschuss frei«.

2013 forderte die NRA mehrmals massiv die weitere Lockerung und Beseitigung der ohnehin nur laxen Gesetze, verlangte vor allem die Aufhebung von Waffenverboten in Schulen, Universitäten, Kinos und Krankenhäusern, um »gesetzestreuen US-Bürgern« dort »direkte Selbstverteidigung gegen Gewalttäter« zu ermöglichen. NRA-Vizepräsident Wayne LaPierre trat pausenlos als umjubelter Redner auf Veranstaltungen der Republikanischen Partei und auf Waffenmessen auf, um für die Aufrüstung der privaten Sicherheitsdienste an Schulen und die Erlaubnis für Lehrer zu werben, im Unterricht Schusswaffen zu tragen. NRA-Motto: »Das einzige Mittel gegen einen bösen Menschen mit einer Waffe ist ein guter Mensch mit einer Waffe.«

Auf gesetzlicher Ebene blieb die NRA erfolgreich. Die Initiativen zum Verbot von halbautomatischen Waffen und zur Begrenzung von Munitionsmagazinen kamen im US-Kongress gar nicht erst zur Abstimmung. Auch ein parteiübergreifender Gesetzentwurf zur Einführung einer Überprüfung privater Waffenkäufer wurde im US-Senat am 18. April 2013 mit einer Sperrminorität von 46 Nein- gegen 54 Jastimmen abgelehnt. Nach einem Bericht des Internetblogs Talking Points Memo vom 11. April 2013 hatte die NRA Senatoren beider Parteien angedroht, sie bei anstehenden Wiederwahlen öffentlich zu demontieren, falls sie dem Entwurf zustimmten. Außerdem teilte die NRA großzügig Spenden an gut die Hälfte der Kongressabgeordneten aus, drohte anderen mit Entzug des bisherigen Geldflusses und finanzierte nach einem Bericht des Guardian vom 19. April 2013 verdeckt mehrere Anzeigenkampagnen gegen die Gesetzesinitiativen zur Waffenkontrolle. Schon Anfang Mai 2013 konnte die NRA auf ihrer Jahreshauptversammlung im texanischen Houston das Scheitern aller Versuche, die Gesetze zu verschärfen, als großen Sieg feiern.

Trotz dieses Erfolges blieb der NRA als populärer Lobbyistin der US-Waffenindustrie das Problem, dass die ständige Berichterstattung über Gewaltakte mit Schusswaffen die Bevölkerung weiter gegen uneingeschränkte Waffenverkäufe aufbringt. Ein Argument ihrer Gegner versetzt die NRA besonders in Rage: Schärfere Gesetze würden zu weniger privatem Waffenbesitz führen und so zu einem Rückgang von Gewaltakten. Die Frontkämpfer der NRA fragten sich also, wie könnte man US-Bürgern das Gegenteil beweisen, dass nämlich auch dort, wo es schärfere Gesetze gibt, Verbrechen und Gewaltakte trotzdem zunehmen?

Hier kommt nun Puerto Rico ins Spiel. Denn in diesem »frei assoziierten Staat«, wie das von Washington 1898 in Besitz genommene »Territorium« genannt wird, herrscht im Vergleich zu allen US-Bundesstaaten das strikteste Waffengesetz. Hier braucht viel Zeit, Geld, Leumundbürgen und einen vor einem Richter darzulegenden triftigen Grund zum Erwerb einer Waffe, wer meint, nicht mehr ohne sein zu können. Diese unter der Oberhoheit der USA eingeführte strenge Reglementierung des privaten Waffenbesitzes dient keinem Selbstzweck, sondern hat vor allem damit zu tun, dass es auf der Insel in den vergangenen 116 Jahren immer wieder Versuche gab, die Unabhängigkeit von den USA »by any means necessary« zu erlangen, also auch bewaffnet. Da wollten die Yankees einer allgemeinen Volksbewaffnung nicht auch noch rechtlich den Weg ebnen.

Puerto Rico wird im öffentlichen Bewusstsein der USA als einer ihrer Bundesstaaten angesehen, wenn auch als einer, der von Armut und Arbeitslosigkeit geplagt ist, und dessen Einwohner zwar formal seit 1917 US-Staatsbürger sind und im Militär dienen, aber weder den Präsidenten wählen noch sonst über politische oder rechtliche Belange der USA abstimmen dürfen. Weil der Druck der Vereinten Nationen und der progressiven Länder Lateinamerikas wächst, den überkommenen Kolonialstatus der Insel zu beenden, hatte US-Präsident Barack Obama bei seinem letzten Besuch der Insel im Jahr 2012 erklärt, seine Regierung strebe an, Puerto Rico zum 51. US-Bundesstaat zu machen.

Die »National Rifle Association« nahm diesen Schritt vorweg und gründete 2013 ihr »Chapter 51« in Puerto Rico und behandelt die Insel seitdem so, als sei sie bereits ein Bundesstaat. Gerade die sehr strengen Waffengesetze Puerto Ricos »haben die NRA darin bestärkt, für ihr verfassungsmäßiges Recht einzustehen und die Insel mit mehr Schusswaffen zu versorgen«, zitierte Vice News die Entscheidung der Waffenlobbyisten. Verglichen mit den Zahlen des Vorjahres hätten sich 2014 durch das Wirken der NRA trotz strikterer Waffengesetze »die Anträge auf die Erlaubnis zum Tragen einer Waffe verdoppelt, der Waffenbesitz verdreifacht und die Schießstandlizenzen sogar vervierfacht«. Die in San Juan erscheinende El Nuevo Día meldete am 3. August 2014, die Polizei führe den Anstieg auf »die Angst zurück, Opfer von Verbrechen zu werden«.

Und genau hier hakt die NRA ein und sagt: Seht her Leute, trotz all der Erschwernisse, die sein strenges Waffengesetz mit sich bringt, hat Puerto Rico seit Jahren ein wachsendes Problem mit Verbrechen, Drogen und Gewalttaten! Bis Ende 2011 ließ sich dieses Argument sogar durch offizielle Statistiken belegen. CBS News berichtete damals über die sprunghafte Zunahme von illegalem Waffenbesitz und damit verbundenen Verbrechen. »Über Puerto Rico ist eine Flut von Geld und Drogen hereingebrochen«, zitierte die Onlineausgabe der Zeitung Pedro Janer, einen für die Karibikabteilung der US-»Drug Enforcement Administration« (DEA) arbeitenden Spezialagenten 2. Seit 2007 sei die Rate der Tötungsdelikte ständig angestiegen. Etwa 75 Prozent hätten mit Drogen zu tun. Javier Peña, ebenfalls DEA-Spezialagent, erklärte auf CBS News, seine Karibikabteilung sei zwar weiterhin vor allem hinter den großen Organisationen des Drogenhandels aus der Dominikanischen Republik und Kolumbien her, er habe seine Teams jedoch angewiesen, »mehr auf die gewalttätigen Drogengangs in Puerto Rico zu achten«.

Die australische Herald Sun meldete im vergangenen Jahr rückblickend, 2011 habe Puerto Rico mit 1.136 Opfern »das blutigste Jahr in der jüngeren Geschichte« erlebt. Für 2013 bestätigte die Sun einen Rückgang der Tötungsdelikte um 12,1 Prozent gegenüber 1.004 Opfern des Jahres 2012.

Auch die in New York erscheinende Latin Post hatte in dieser Frage Positives zu berichten. Am 7. November 2014 titelte das Blatt: »Puerto Rico: Mordrate gesunken; 2014 könnte mit der niedrigsten Zahl von Tötungsdelikten in 15 Jahren enden.« Das habe ein Bericht von Polizeichef José Caldero offenbart, der eine Fortsetzung dieses Abwärtstrends prognostiziert habe. Die Latin Post zitierte dazu eine Statistik der Weltbank, die Puerto Rico für 2012 mit 27 Morden pro 100.000 Einwohner »auf Platz 14 im weltweiten Ranking« einordnete, also weit hinter Spitzenreitern wie Honduras (90 pro 100.000), El Salvador (41), Guatemala (40), Jamaica (39), Kolumbien (31) und die Bahamas (30)

Perfektes Experimentierfeld

Einen etwas anderen, doch entscheidenden Dreh erhält diese Entwicklung in dem von Kaj Larsen für Vice News gedrehten Film »Das Waffenproblem von Puerto Rico«, den der US-Reporter mit den Worten einleitet: »Wir sind hier in Puerto Rico, das die strengsten Waffengesetze der Nation hat (also der USA; jW). Gleichzeitig hat es die weltweit höchste Mordrate durch Schusswaffen.« Dieses Paradoxon, so Larsen, mache die Insel in den USA aktuell zum »Ground Zero der Debatte über die gesetzliche Waffenkontrolle«. Vor dem akustischen Hintergrund aus karibischer Musik und dem für die USA typischen Sirenengeheul von Streifenwagen und zu reißerischen Bildern mit schwarzen Gangmitgliedern, die von vermummten Spezialeinheiten der Polizei verhaftet werden, erklärt Larsen, 2011 habe die Mordrate in Puerto Rico mit »mehr als 1.100« Opfern in einem Jahr »ihr Allzeithoch« erreicht. Im darauffolgenden Jahr 2012 habe Puerto Ricos »Mordrate durch Schusswaffen die von Sierra Leone, Guatemala und Honduras bei weitem überstiegen«.

Die wachsende Zahl der Verbrechen sei bedingt durch die Einfuhr illegaler Schusswaffen, fährt Larsen fort. Die Polizei versuche, den illegalen Waffen- und Drogenhandel einzudämmen. Die Gewalt in Puerto Rico habe aber zu einem »Wettrüsten zwischen Verbrechern, Bürgern und Polizei« geführt, behauptet der Reporter. »Man darf nicht alle Verantwortung auf die Polizei schieben, weil sie uns nicht wirklich helfen kann«, lässt er Wanda Torres sagen, die er als Verbrechensopfer und Mitglied einer NRA-Frauengruppe vorstellt. Ein Ritt mit schnellen Filmschnitten durch das angeblich von Waffen, Drogen und Verbrechen bestimmte Inselleben soll den Ausspruch eines Gangmitglieds illustrieren: »Auge um Auge ist das Gesetz der Straße.« Larsen war nach eigener Aussage »eingebettet« in Einsätze eines puertoricanischen SWAT-Teams 3, ließ sich eines Nachts von »Straßengangstern« ihre gehorteten Waffen zeigen und traf Waffenbefürworter, um herauszufinden, »ob das 51. und damit neueste Vorhaben der NRA Früchte trägt«. Reporter Larsen, der sich für Vice News vor allem in die Kriegsgebiete der USA und die Welt von Verbrechen und Korruption begibt, scheint prädestiniert für einen solchen Bericht. Er war Stipendiat des »Jebsen Center for Counter-Terrorism Studies« an der Tufts University in Massachussetts, diente fünf Jahre bei den Navy-SEALS-Spezialkräften der US-Kriegsmarine, und ist tätig für die US-Kriegsveteranenorganisation »The Mission Continues« – »Die Mission geht weiter«.

Angesichts der zitierten Daten über rückläufige Zahlen von tödlichen Gewaltdelikten stellt sich die Frage, aus welchem Grund Larsen in seinem Bericht für Vice News zu einer entgegengesetzten Einschätzung kommt. Die Masche ist simpel: Wenn der Reporter mit Blick auf Puerto Rico von der »weltweit höchsten Mordrate durch Schusswaffen« spricht, bezieht er sich nicht auf die tatsächlichen Zahlen von Mordopfern, sondern nur auf den Anteil, den Schusswaffen daran haben. Das kann auf der Website nachgelesen werden: »Mit 91 Prozent hat Puerto Rico den weltweit höchsten Prozentsatz an Tötungsdelikten, bei denen Schusswaffen eine Rolle gespielt haben.« Völlig aus der Luft gegriffen ist hingegen die Behauptung, 2012 habe »die Mordrate des Inselstaates die von Sierra Leone, Guatemala und Honduras bei weitem überstiegen«. Die Statistiken belegen das nicht.

Den Absichten hinter dem Filmbericht von Vice News kommt man auf die Spur, wenn man der weiteren Argumentation folgt. Die Polizei tue zwar alles, um die illegale Einfuhr von Waffen zu stoppen, betont Larsen. Sie bekomme aber das Problem des relativ offenen Personen- und Warenverkehrs zwischen Puerto Rico und den USA nicht in den Griff, weil es keine Zoll- und Grenzkontrollen gibt. »Gegen Waffengewalt und Verbrechen« könne die Polizei wenig ausrichten, die Flut sämtlicher Waffentypen habe »eine alarmierende Rate« erreicht.

Als »Antwort auf den Zusammenhang von strengen Waffengesetzen und Verbrechen«, erklärt der Reporter wie ein Waffenlobbyist aus dem Off, habe die NRA eine Möglichkeit gesehen, »ihre ungeheure Erfahrung einzubringen und Einfluss auszuüben bei dem Versuch, die Waffengesetzgebung in Puerto Rico zu reformieren«. Die NRA könne jetzt »ihre Ansicht vertreten, warum die Bewaffnung möglichst vieler Puertoricaner helfen könnte, die Gewalt auf der Insel einzudämmen«. Deshalb sei Puerto Rico, das »in einer Flut von Gangs, Waffen und Drogen untergeht«, das perfekte Experimentierfeld. Wenn es möglich wäre zu zeigen, so Larsen, dass die Lockerung der Waffenkontrolle an diesem Ort, »wo es die meisten mit Waffen verübten Tötungsdelikte auf der Erde gibt«, eine Senkung der Verbrechensrate bewirken würde, »dann wäre das ein gewichtiges Argument für die Debatte um Waffenkontrolle in den USA«.

Dem hält der puertoricanische Senator Jorge Suárez Cáceres entgegen, er sei davon überzeugt, »dass die NRA die Debatte über die Waffengesetze in Puerto Rico als Trojanisches Pferd benutzen will«, um die Waffengesetze in den USA weiter aufzuweichen. »Wenn die hier etwas durchsetzen können, dann können sie das auch in den USA, weil unsere Gesetze strenger sind.« Deshalb sei Vorsicht geboten«, mahnt der Senator, »weil Puerto Rico zum Modell werden soll für andere Staaten«.

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