Amerikas Juden wenden sich von den Demokraten ab
Jahrzehnte lang wählten die meisten jüdischen Amerikaner die Demokraten. Doch diese Liebe ist in der Krise. Eine Herausforderung für eine mögliche Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton.
Auf kaum eine Konstante ist in der amerikanischen Politik so viel Verlass wie auf das Wahlverhalten der Juden: Die überwältigende Mehrheit von ihnen gibt zuverlässig den Demokraten ihre Stimme. Barack Obama etwa wurde 2008 von 78 Prozent der amerikanischen Juden gewählt, und bei seiner Wiederwahl 2012 holte er immerhin noch 69 Prozent ihrer Stimmen.
Der Soziologe Milton Himmelfarb hat dieses auffällig konstante Wahlverhalten mit einem Bonmot kommentiert: “Juden verdienen wie Anhänger der Episkopalkirche, wählen aber wie Puerto Ricaner.” Gemeint war, dass Juden ökonomisch längst zu den WASPS gehören (den White Anglo-Saxon Protestants), sich in der Wahlkabine aber immer noch so benehmen, als seien sie Angehörige einer unterdrückten Minderheit.
Die Liebesaffäre begann mit dem demokratischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, der in der amerikanisch-jüdischen Erinnerung als guter Pharao weiterlebt. Die Herzen der Juden flogen ihm aus zwei Gründen zu: Erstens wegen des sozialdemokratischen New Deal, der vielen Juden aus der Mittelschicht in der Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre zu Jobs verhalf (antisemitische Gegner des New Deal verhöhnten ihn deshalb als “Jew Deal”).
Zweitens, weil Roosevelt die amerikanische Nation in den Zweiten Weltkrieg führte – und schon vor dem Angriff auf Pearl Harbor den Briten mit Waffenlieferungen half, gegen Nazideutschland durchzuhalten. Wer ein literarisches Zeugnis für die Liebe der jüdischen Amerikaner zu Franklin D. Roosevelt sucht, sollte “Verschwörung gegen Amerika” von Philip Roth lesen: einen Roman, in dem der Autor sich vorstellt, in den Dreißigerjahren wäre nicht Roosevelt, sondern der Nazi-Sympathisant Charles Lindbergh ins Weiße Haus gewählt worden.
Trennung von Staat und Religion
Die Sympathie der amerikanischen Juden für die Demokraten hat bisher alle Höhen und Tiefen überlebt: den Sieg der Bürgerrechtsbewegung (an der viele Juden beteiligt waren), die Niederlage im Vietnamkrieg (den die meisten Juden von Anfang an ablehnten), die Clinton-Lewinsky-Affäre.
Ich kenne amerikanische Juden, denen die Vorstellung, republikanisch zu wählen, geradezu physische Übelkeitszustände beschert. Dafür gibt es viele Gründe: Juden sind, wie man auf Englisch sagt, “bleeding hearts” – sie träumen seit der Zeit der biblischen Propheten von einer Welt, in der es sozial gerecht zugeht. Außerdem hat die Republikanische Partei unter Ronald Reagan ein Bündnis mit den “christlichen Rechten” geschlossen, die allen Ernstes glauben, die Vereinigten Staaten seien das Land von Jesus.
Amerikas Juden wollen aber in keinem christlichen Land leben. Für sie ist das First Amendment – das eine rigorose Trennung zwischen Staat und Religion fordert – ein Lebenselixier. In einem bunten Amerika, das sich als Heimat aller Glaubensbekenntnisse und Ethnien sieht, sind Juden einfach Staatsbürger; in einem christlichen Amerika wären Juden eine an den Rand gedrückte Minderheit.
Bedrohung durch den Iran
Und Israel? Hier existierte, was die Juden betraf, eigentlich kein Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern. Für beide Parteien gehörte die Unterstützung des jüdischen Staates spätestens seit 1967 zur Staatsräson. Israel – das war schlicht ein verlässlicher, dazu auch noch demokratischer Verbündeter in einer von Mullahs, Diktatoren und Fundamentalisten geplagten Weltgegend. Gleichzeitig hat jede amerikanische Regierung seit dem Sechstagekrieg den Ausbau von israelischen Siedlungen im Westjordanland kritisiert und versucht, einen Vertragsfrieden zwischen Israelis und Palästinensern zu erreichen.
Es gab zwischendurch auch immer wieder Streit und harte Worte – etwa nach dem israelischen Angriff auf den irakischen Atomreaktor Osirak, den Ronald Reagan seinerzeit scharf verurteilte (George W. Bush hat sich im Nachhinein für diesen Luftschlag bedankt). Aber amerikanische Juden hatten nie das Gefühl, sie müssten sich zwischen ihrer Loyalität zur Demokratischen Partei und der Loyalität zu Israel entscheiden.
Bis jetzt. Seit Bibi Netanjahu seine Rede vor dem amerikanischen Kongress hielt, sind die Juden in der Demokratischen Partei tief gespalten: Manche halten zu Barack Obama – sie sind hell empört, dass der israelische Premierminister ihren Präsidenten düpiert hat, indem er quasi hinter seinem Rücken versucht hat, ein Abkommen mit dem Iran zu hintertreiben.
Andere Juden wiederum haben Angst, Obamas Abkommen mit der “Islamischen Republik” werde am Ende dazu führen, dass der Iran Atombomben baut – ein Ergebnis, das die Existenz des Staates Israel bedrohen würde. Sie sind also verunsichert und denken über Alternativen nach.
Ähnlicher Trend in Großbritannien
Gewiss, Obama sorgte dafür, dass Israel rechtzeitig mit dem “Iron Dome” ausgerüstet wurde, einem Abwehrsystem, das während des Krieges im vergangenen Jahr viele israelische Zivilisten vor den Raketen der Hamas geschützt hat. Gewiss, unter Obama haben die amerikanischen Streitkräfte demonstrativ ein großes Manöver zusammen mit der israelischen Verteidigungsarmee veranstaltet.
Andererseits sagte der Historiker Michael Oren, der bis vor zwei Jahren Israels Botschafter in Washington war und die Geschichte der amerikanisch-israelischen Beziehungen so gut kennt wie kein Zweiter: Diese Beziehungen seien heute so schlecht, wie sie es seit 1975 nicht mehr waren. Und die Ergebnisse von Meinungsumfragen lassen tief blicken. Nur noch 47 Prozent der Demokraten erklären, dass sie mit Israel sympathisieren. Unter den Republikanern finden sich deutlich mehr Sympathisanten: 83 Prozent.
Vielleicht kehren in den Vereinigten Staaten bald Verhältnisse ein, wie sie schon jetzt in Großbritannien herrschen. Auch dort waren die Juden der Labour Party einst innig verbunden – die Parteimitgliedskarte wurde praktisch gleich nach der Beschneidung überreicht. Doch seit “Zionismus” in der Labour Party ein schmutziges Wort geworden ist, seit Israel von Sozialisten als Nazi- bzw. Apartheidstaat beschimpft wird, haben viele britische Juden gründlich die Lust verloren, links zu wählen. Sie geben den Tories ihre Stimme.
Hillary Clinton wird alle Hände voll zu tun haben, wenn sie das Verhältnis von Juden und Demokraten wieder kitten will. Und ich – als Republikaner in die Wahllisten eingetragen, über die real existierende Republikanische Partei ziemlich unglücklich, im Grunde politisch heimatlos – werde bei der kommenden Präsidentschaftswahl ein interessantes Problem haben.
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