Failure in Panama

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Scheitern in Panama

Beim Amerika-Gipfel in Panama ist es zwar zum historischen Handschlag zwischen Raúl Castro und Barack Obama gekommen. Doch viele wichtige Fragen zur Entwicklung Lateinamerikas sind offen geblieben. Die Parallelen zum einstigen Fiasko Simon Bolivars sind grotesk.

Simón Bolívar, der große Befreier der Völker Südamerikas vom Joch der europäischen Herrschaft, wollte sein wie George Washington. Der hatte nicht nur Nordamerika vom Joch der britischen Kolonialherrschaft befreit, sondern den Grundstein für die Vereinigten Staaten von (Nord-)Amerika legen helfen. Um seinen Traum von einer Liga der Brudernationen in Südamerika zu verwirklichen, berief Bolívar im Juni 1826 einen Kongress in Panama ein.

Der „libertador“ wusste, dass der riesige südamerikanische Halbkontinent nicht zu einem einzigen Staat würde zusammenwachsen können. Dazu war die Landmasse von der tropischen Karibik über die Anden bis zu den Eiswüsten von Feuerland zu riesig, waren die indigenen Völker und die Nachfahren der europäischen Kolonisten zu unterschiedlich. Aber Bolívar war überzeugt, dass die einst Beherrschten und Geteilten nur gemeinsam würden gedeihen können – und der Kongress in Panama sollte das besiegeln.

Treibstoff für Nationalismus

Doch wie mit fast allen Vorhaben im Herbst seines Lebens scheiterte Bolívar auch jetzt. Panama wurde zu einem Desaster. Der Kongress hatte schon mit dem Streit darüber begonnen, ob auch die Vereinigten Staaten eingeladen werden sollten. Bolívar war dagegen. Er misstraute dem Koloss aus dem Norden, der schon bald nach seiner Unabhängigkeit weit über das Maß einer vertrauenswürdigen Brudernation hinausgewachsen war.

Die historischen Parallelen zwischen Bolívars Fiasko vor 189 Jahren in Panama und dem Amerika-Gipfel vom Wochenende an gleicher Stelle sind geradezu grotesk. Bis heute liefert die obsessive Angst vor dem „Imperium“ Vereinigte Staaten den politischen Treibstoff für linken und rechten Nationalismus und Populismus in Lateinamerika – wobei Washington mit seinen politischen und militärischen Interventionen seit den Tagen der Monroe-Doktrin von 1823 diese Angst nach Kräften befeuert hat.

Reichtum mit Rauschgift

Ganz gewiss auch sind die Nationen und Völker Lateinamerikas um eine bessere Zukunft betrogen worden, weil sie schwer am Erbe der Ausbeutung durch die Kolonialherren sowie der Unterdrückung der schwarzen Sklaven und der indigenen Völker zu tragen hatten. Außerdem wurden sie in den Weltkriegen und auch während des Kalten Krieges als Stellvertreter der europäischen Mächte und der Supermächte Sowjetunion und Vereinigte Staaten missbraucht. Und schließlich hat die Nachfrage nach Rauschgift in den reichen Ländern des Nordens den Verbrecherkartellen in Mittel- und Südamerika gigantischen Reichtum beschert, mit dem sie die ohnedies fragilen rechtsstaatlichen Strukturen weiter ausgehöhlt haben.

Der Gipfel von Panama mag als Hochamt der Annäherung zwischen Washington und Havanna in Erinnerung bleiben, die von Barack Obama und Raúl Castro aus unterschiedlichen Motiven seit Jahren vorangetrieben wurde: Der eine will vor dem Ende seiner Amtszeit ein dürres außen- und sicherheitspolitisches Vermächtnis retten, dem anderen geht es um das nackte Überleben seines maroden Regimes.

Die unrühmliche historische Bedeutung des Wochenendes besteht aber darin, dass es Rückschritt oder allenfalls Stagnation in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas markiert. Das Prinzip der Nichteinmischung, dem sich auch Obama gegenüber dem kommunistischen Regime aus Kuba faktisch verschrieben hat, triumphiert wieder über das zuletzt sogar von den Vereinten Nationen anerkannte „Recht auf Einmischung“ zwecks Achtung der universalen Menschen- und Bürgerrechte. Wer in Lateinamerika Bürgerprotest und unliebsame Presse unterdrücken will, muss nur den antiamerikanischen Reflex bedienen, um nicht wegen antidemokratischer Umtriebe kritisiert zu werden.

Nach dem Ende des Preis-Booms bei Rohstoffen und Nahrungsmitteln, dem viele Länder das robuste Wachstum während des vergangenen Jahrzehnts maßgeblich zu verdanken haben, sind die Erfolge bei der Bekämpfung der Armut in vielen Ländern der Region wieder akut gefährdet. Investitionsschwäche, Inflation und Rezession von Brasilien bis Venezuela werden zuerst die sozial Schwachen treffen. Diese zahlen auch den Preis – nämlich hohe Verbraucherpreise – für die protektionistische „Kleinstaaterei“, die zumal von den linken Regierungen Lateinamerikas unvermindert betrieben wird.

Von Freihandel, neben der Demokratie einst Grundpfeiler der panamerikanischen Bewegung, war in Panama so gut wie nicht mehr die Rede. Während aber die Länder der größten und potentesten Freihandelszone der Welt – Mexiko, die Vereinigten Staaten und Kanada – ein kräftiges Wachstum aufweisen, geht in vielen Ländern Lateinamerikas das Gespenst der Stagnation um.

Überfällige Reformen im Bildungs- und Gesundheitswesen, notwendige Investitionen in die Infrastruktur, auch Verbesserungen im Verwaltungs-, Regierungs- und Rechtswesen blieben während der „fetten Jahre“ des Rohstoff-Booms vielerorts weit hinter dem Anstieg des privaten Konsums zurück. Im weltweiten Wettbewerb drohen viele Länder Lateinamerikas weiter zurückzufallen; zumal jene, die habituell das „Imperium“ Vereinigte Staaten für fast alle Missstände verantwortlich machen.

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