Das Dilemma der blinden Hühner
Erneut wird in Deutschland über die Ausspähungen der Geheimdienste diskutiert. Doch statt über Fehler und Schuldzuweisungen zu debattieren, sollten alle Beteiligten sehen, wie wichtig die Geheimdienstinformationen der USA sind, auch wenn die manchmal übers Ziel hinausschießen. Ein Leitartikel von Matthias Koch.
Wieder einmal wird in Deutschland engagiert über die Geheimdienste diskutiert: im Parlament, in Talkshows, an der Theke. Und wieder einmal verläuft die Debatte nach einem sattsam bekannten Prinzip: Keiner weiß etwas genaues – aber jeder weiß es besser.
Wetten werden angenommen. Muss BND-Präsident Schindler gehen? Kanzleramtschef Altmaier? Innenminister de Maizière? Jeden könnte es treffen. „Das Kanzleramt, seit zehn Jahren von der CDU geführt, trägt die Verantwortung dafür, dass sich der deutsche Geheimdienst ordentlich verhält“, trommelt SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi.
Doch die Probleme übersteigen parteipolitische Trennlinien. Was war vor elf Jahren? Da hieß der Kanzleramtsminister noch Steinmeier. Der Sozialdemokrat, bis heute ein Regierender von hohem Rang, hatte den Austausch von Datenströmen zwischen BND und NSA auf ein in der Geschichte nie dagewesenes Maß gesteigert. Das damalige Zusammenrücken hatte Gründe. Europa und die USA sahen sich durch islamistischen Terror herausgefordert wie nie.
Die Einhaltung bisheriger Grenzen und Regeln – was dürfen Geheimdienste im Inland, was im Ausland? – galt als altes Denken. Als Beispiel der damaligen neuen Töne hallt die grimmige Drohung von Innenminister Otto Schily an die Adresse der Islamisten nach: „Wer den Tod liebt, kann ihn haben.“ Haben die Deutschen damals einen Teil der Kontrolle verloren über das, was in der undurchsichtigen Welt der geheimen Dienste geschieht?
Die Amerikaner jedenfalls malten immer wieder über den Rand. Mit gigantischen Netzen fingen sie alles auf, was sie kriegen konnten. Ob es um Terror ging, war nicht so wichtig. Sie hörten sogar das Mobiltelefon der Kanzlerin ab. Angela Merkel kann darüber im Nachhinein froh sein: Es dämpft jetzt in Paris und Wien die Aufregung über Berlin wegen eines angeblichen deutsch-amerikanischen Zusammenspiels bei Ausspähungen in Frankreich und Österreich.
Eigentlich müssten die Amerikaner jetzt energisch gebremst werden. Und eigentlich wäre eine neuartige Zusammenarbeit der Parlamente in Washington und Berlin bei einer gemeinsamen Kontrolle der Geheimdienste das Gebot der Stunde. Doch die Deutschen werden in den USA als Kritiker ungern gehört. Sie sind, das ist Berlins Problem, der Supermacht sogar zu Dank verpflichtet. Denn Deutschlands Dienste sehen und hören ohne Hilfe der USA zu wenig.
Im Jahr 2007 schob die NSA den blinden deutschen Hühnern mal wieder ein Korn zu – und wies auf die islamistische Sauerlandgruppe hin, die schon Sprengstoff anrührte für einen Massenmord am Frankfurter Flughafen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verhängte in dem Fall Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren.
Die NSA kann in Deutschland Leben retten. Allein dieser Umstand wird auch in Zukunft immer wieder zu Lautlosigkeit beitragen im Umgang der höchsten deutschen Sicherheitskreise mit den USA. Zur einstigen Sauerlandgruppe übrigens, so hörte man, sollen auch die soeben in Hessen verhafteten Wasserstoffperoxid-Käufer von Oberursel Kontakt gehabt haben. Nachrichten wie diese dämpfen auch die mitunter allzu lauten Töne in Talkshows und an den Theken. Nicht nur die Dienste, wir alle leben mit einem Dilemma.
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