Konrad Ege
Ausgabe 2015 | 15.05.2015 | 06:00
Krieg gegen alles
USA Um schwere soziale Konflikte im Griff zu behalten, wird viel Geld in die Polizei gesteckt. Es zeigt sich immer mehr – das ist der falsche Weg
Krieg gegen alles
Es wäre so schön einfach, könnte man rassistische Polizisten verantwortlich machen für den Tod des 25-jährigen Afroamerikaners Freddie Gray in Baltimore oder für die vielen vergleichbaren Übergriffe in den USA. Im Einzelfall mag das zwar durchaus zutreffen; doch letztendlich sind die Beamten nur das ausführende Organ eines Systems, das seine Unterschicht kontrollieren will.
Es drängt sich die Frage auf, ob das soeben bekannt gewordene sagenhafte Gesamtjahreseinkommen von zwölf Milliarden Dollar der 25 größten Hedge-Fonds-Manager im Jahr 2014 etwas zu tun hat mit der katastrophalen sozialen Lage vieler Menschen. Egal, wo sie leben, ob in den Slums von Baltimore, Detroit oder sonst wo. Die Armutsrate ist heute höher als vor Barack Obamas Amtsantritt Anfang 2009, für die schwarze Community ist sie dreimal so hoch wie für die weiße. Wirtschaftliche Macht ist ganz oben konzentriert.
Der Gedanke, dass Reichtum irgendwie verpflichtet, findet heute wenig Gehör bei den extrem Privilegierten, dem sprichwörtlichen „einen Prozent“. Präsident Obama hat in dieser Woche eine private Initiative für afroamerikanische Kinder und Jugendliche gegründet. 80 Millionen Dollar sollen bereits gesammelt worden sein, von Bankern und Konzernchefs. Überwältigend ist das nicht, blickt man auf die Hedge-Fonds-Milliardäre, wie sie der Wirtschaftsinformationsdienst institutionalinvestorsalpha.com minutiös auflistet.
Der Staat investiert in die Polizei, um soziale Konflikte in Schach zu halten. Das 620.000 Einwohner zählende Baltimore (knapp zwei Drittel davon Afroamerikaner) offenbart dabei eine besonders komplexe Geschichte. Die Wohngebiete sind getrennt in schwarz und weiß, arm und wohlhabend. Man kann davon ausgehen, dass die Beamten den Marihuana verkaufenden Teenagern im Viertel Sandtown, wo Freddie Gray herkam, häufiger Handschellen anlegen, als koksenden Studenten der nahe gelegenen Johns-Hopkins-Universität, wo die Studiengebühren bei 47.000 Dollar im Jahr liegen.
Seit im vergangenen August der unbewaffnete Afroamerikaner Michael Brown in der Kleinstadt Ferguson im Staat Missouri von Polizisten getötet und dies im ganzen Land der Ausgangspunkt für Proteste gegen Rassismus wurde, lassen sich Polizeiübergriffe nicht mehr so leicht unter den Teppich kehren. So konnte man den Tod von Freddie Gray nicht verbergen, dessen „Verbrechen“ darin bestand, dass er vor mehreren Beamten weggerannt war. Die Polizisten zerrten Gray in einen Gefangenen-Transporter, warfen ihn gefesselt auf den Boden und fuhren mit Höchstgeschwindigkeit durch die Stadt, so dass er hin- und hergeschleudert wurde. Gray wurde schwer verletzt und starb wenig später an einer Wirbelsäulenverletzung. Ein Teil der Festnahme war von einem Passanten mit einem Smartphone aufgezeichnet worden.
Die Medienlawine kam in Fahrt, Fernsehcrews drehten in Vierteln von Baltimore, denen sie sonst fernbleiben. Die TV-Stationen lieben diese Bilder von brennenden Limousinen, Demonstranten hinter Tränengaswolken, behelmten Polizisten mit Schutzschild und Schlagstock, Teenagern mit Steinen in der Hand, jungen Plünderern, die mit ihrer Beute aus einem Laden stürmen, und sei es auch nur mit einem Großpack Toilettenpapier. Die Drogerie brennt zum gefühlt zehnten Mal auf dem Bildschirm. Reporter sprechen von „sinnloser Gewalt“ und „Zerstörungswut“. Der abgefackelte Laden erschien zeitweilig wichtiger als der tote Freddie Gray.
Law and Order
Links von der Mitte und in den Qualitätsmedien verweist man durchaus auf frappierende Ungerechtigkeiten, die bei den Ausschreitungen zum Ausbruch kämen. Man müsse etwas tun. Das hört sich dann so an: „Die Konsequenzen der Untätigkeit, der Gleichgültigkeit und unzulänglicher Maßnahmen würden langfristig viel mehr kosten als Wirtschafts- und Ausbildungsprogramme.“ Das Wichtigste seien Jobs für die afroamerikanische Bevölkerung. „Die Mauern der Rassentrennung werden sonst wachsen, und die benachteiligte Bevölkerung wird sich mehr und mehr entfremden.“
Das Problem mit diesem Zitat ist nur, dass es aus dem Jahr 1965 stammt. Es ist einem staatlichen Untersuchungsbericht entnommen, der vor einem halben Jahrhundert nach den Rassenunruhen in Watts, einem Stadtteil von Los Angeles, entstand. 34 Menschen kamen damals ums Leben, 3.438 wurden festgenommen. Auslöser des Aufruhrs war die Empörung über die Festnahme eines afroamerikanischen Autofahrers. Mitte der sechziger Jahre, das war die Zeit von Präsident Lyndon B. Johnson, der die USA mit einem „Krieg gegen Armut“ verändern wollte. Dann kam Richard Nixon mit „Law and Order“, um mit seinem „Krieg gegen Drogen“ den gegen die Armut abzulösen. Das kam offenbar gut an bei der schweigenden Mehrheit rechtschaffener US-Amerikaner, die den Republikaner 1972 mit großer Mehrheit wieder wählten. Die Anti-Drogenbehörden wurden ausgebaut, Polizeibefugnisse erweitert, Strafen verschärft.
Mehr Polizei, das war zuletzt für Amerika stets ein überparteiliches Projekt, obschon Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton jüngst Kritik daran übte. Es sei „zutiefst verfehlt, wenn afroamerikanische Männer viel häufiger von der Polizei angehalten und härter bestraft werden als weiße“. Sie kann sich bei ihrem Ehemann Bill beschweren: Der hatte als Präsident 1994 ein historisches Reformgesetz unterzeichnet. Das zielte auf einen massiven Gefängnisbau, mehr als 100.000 Polizisten extra und das Prinzip „three strikes and you are out“, demzufolge Wiederholungstäter beim dritten Mal automatisch zu einer langen Haftstrafe verdonnert werden. Unter Bill Clinton (im Amt 1993 bis 2001) stieg die Zahl der Strafgefangenen sowohl der nationalen Regierung wie der Bundesstaaten um mehr als 650.000. Clintons „Hart-gegen-das-Verbrechen-Strategie“ habe die Zuchthäuser in einem Maße gefüllt wie nie zuvor in der amerikanischen Geschichte, schrieb die Autorin Michelle Alexander über Masseninternierung in Zeiten angeblicher Farbenblindheit (so der Titel ihres Buches).
Martin O’Malley, einer von Hillary Clintons Kontrahenten in der Demokratischen Partei, Ex-Gouverneur von Maryland und Ex-Bürgermeister von Baltimore, hat viel aggressive Polizeiarbeit im Gepäck. Allein im Jahr 2005 nahmen die Beamten in Baltimore 108.447 Personen fest – bei einer Bevölkerungszahl von damals gut 640.000. O’Malleys Anhänger rechtfertigen sich heute damit, dass sie behaupten, die Kriminalität sei damit reduziert worden. Außerdem habe man vor zehn Jahren das Drogenproblem eindämmen müssen.
Sie sollten doch bitteschön gewaltlos handeln, ermahnt der amerikanische Staat Demonstranten häufig und gern. Sich selbst erlaubt dieser Staat aber ein Ausmaß an Gewalt, wie das in Deutschland kaum vorstellbar ist. Das kann freilich nur funktionieren, weil Menschen, die ins Visier der Polizei geraten oder gar ins Gefängnis müssen, größtenteils aus den untersten Einkommensschichten kommen sowie überproportional den Minderheiten der Afroamerikaner und Latinos angehören. Wie die Baltimore Sun schreibt, hat das Police Department der Stadt Opfern von Polizeigewalt seit 2011 insgesamt 5,7 Millionen Dollar an Schmerzensgeld zahlen müssen. 317 Menschen hätten die Polizei verklagt.
Vor laufender Kamera
„Black Lives Matter“, versichern die Aktivisten gegen Polizeibrutalität. Schwarze Leben haben Wert. Doch ist in den Vereinigten Staaten noch nicht einmal bekannt, wie viele Menschen jährlich von der Polizei getötet werden. Es gibt keine offiziellen Daten. Zwei Webseiten – fatalencounters.org und killedbypolice.net – rechneten aus, es seien 2014 mehr als 1.000 Menschen gewesen, die in konfrontativen Situationen mit der Polizei ums Leben gekommen seien. Beide Informationsdienste werten Medienberichte und Pressestatements aus, sie urteilen nicht über einen Tathergang. Nicht immer ist die ethnische Zuordnung eines Opfers möglich. Schätzungsweise 30 Prozent sind schwarz, 50 Prozent weiß, fasste die New York Times zusammen. Wäre noch zu ergänzen: Afroamerikaner machen 13 Prozent der US-Bevölkerung aus.
In einigen Gegenden von Baltimore löste die Anklageerhebung gegen die sechs mutmaßlich an Freddie Grays Tod beteiligten Polizisten Freude aus. Doch die Beamten anzuklagen, ist das eine. Eine Verurteilung das andere. Die Verteidiger werden wohl darauf drängen, den Prozess aus Baltimore hinaus zu verlegen, wei sie so auf weniger Öffentlichkeit hoffen. Ein Urteil lässt sich ohnehin nicht vorhersagen. Der „Nachbarschaftswachmann“ George Zimmerman wurde von der Anklage freigesprochen, den afroamerikanischen Schüler Trayvon Martin am 26. Februar 2012 in Sanford (Florida) vorsätzlich erschossen zu haben. Und 1992 wurden vier Polizisten gerichtlich entlastet, die den schwarzen Taxifahrer Rodney King in Los Angeles brutal zusammengeschlagen hatten. Vor einer laufenden Kamera.
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.