Nichts gelernt
Die Vogelgrippe ist kein neues Phänomen. Dennoch wurden aus der bisherigen Erfahrung kaum Konsequenzen gezogen. Es wird immer nur reagiert.
In Amerika gibt es eine Bauernregel: Don’t put all your eggs in one basket! Leg nicht all deine Eier in den gleichen Korb! Es ist eine dieser Weisheiten, die Manager gern zitieren, wenn sie über Risiken sprechen. Wenn sie erklären, warum nicht alle Rohstoffe vom gleichen Zulieferer stammen oder alle Ersparnisse in Lehman-Aktien stecken dürfen. Doch die Amerikaner verstoßen nahezu wortwörtlich gegen ihr eigenes Sprichwort: Fast all ihre Eier kommen aus dem gleichen Korb. Und das Geflügel auch.
Vor allem im Mittleren Westen gibt es riesige Eierfabriken, deren Dimensionen man sich im dicht besiedelten Deutschland kaum vorstellen kann. Mehr als fünf Millionen Legehennen leben in einzelnen Betrieben. Ähnlich eng ist es in den Schlachthöfen der Chicken-Wings-Industrie und der Truthahn-Mastanlagen. Jetzt zahlt Amerika mit der Vogelgrippe die Rechnung für die Überindustrialisierung der Landwirtschaft.
Auch wer im Supermarkt nicht moralisch einkauft, will bessere Bedingungen für die Tiere
Es ist nicht ganz klar, wie sich die Vogelgrippe so schnell verbreiten kann. Wildvögel schleppen sie offenbar von Hof zu Hof. Sicher ist aber, dass sie Großbetriebe eher trifft und dort verheerendere Konsequenzen hat. Kleinere, private Hühnerhalter sind bisher seltener von dem Virus betroffen. Obwohl die Großunternehmen strengen Hygiene-Richtlinien unterliegen, haben sie mehr Arbeiter, Geräte und Ventilatoren, die Viren in die quasi sterilen Ställe schleppen. Wenn die Herde mehr Platz hat, stecken sich die Tiere nicht so leicht gegenseitig an. Wenn sie draußen lebt, kann die Sonne die Grippeviren abtöten. Und selbst wenn Vögel krank werden, sterben 20 statt fünf Millionen.
Alle Tiere eines Betriebs müssen notgeschlachtet werden, wenn eines infiziert ist. Die Center Fresh Group in Iowa hat nur in zwei von 26 Stallanlagen kranke Vögel gefunden, muss aber trotzdem alle 5,5 Millionen Hühner töten. Die Geflügelindustrie hat übrigens einen Euphemismus gefunden, mit dem sie die Massenerstickungen mit Kohlendioxid bezeichnet: Entvölkerung. Die Kosten trägt der Steuerzahler, der die Spezialreinigung und Tierkörperbeseitigung bezahlt.
Die Vogelgrippe ist kein neues Phänomen. Vor allem in Asien hat sie gewütet, es haben sich Menschen angesteckt. Millionen Tiere wurden notgeschlachtet. Gelernt wurde nichts daraus. 2005 forderten die Vereinten Nationen, dass Regierungen, lokale Behörden und internationale Organisationen mehr gegen Fabrikfarmen tun, die ideale Bedingungen für die Verbreitung und Mutation von Viren böten. “Wir verschwenden wichtige Zeit, wenn wir mit dem Finger auf Wildvögel zeigen, während wir uns eigentlich mit den Wurzeln der Epidemie beschäftigen sollten”, sagte einer der Spezial-Tierärzte der Uno-Taskforce, William Karesh. Schuld seien eindeutig “Landwirtschaftsmethoden, die riesige Mengen Tiere in kleine Räume drängen”.
Die USA, die nach eigenen Angaben die strengsten Aufsichtsprogramme für die Vogelgrippe haben, reagieren nur auf Erkrankungen und tun nicht genug, um ihnen vorzubeugen – mit einer teilweisen Deindustrialisierung der Landwirtschaft. Dieses “teilweise” ist wichtig, denn natürlich kann die Weltbevölkerung nicht mit Hühnern im Hinterhof ernährt werden. Eine industrielle Landwirtschaft und Supermärkte sind nötig, die Lebensmittel zu bezahlbaren Preisen verkaufen. Welche Standards an sie gelegt werden, liegt an den Verbrauchern – auch in Europa.
Der Verbraucher hat weniger Macht, als Idealisten denken. Man kann darauf achten, keine Eier aus Käfighaltung zu kaufen und Biofleisch zu essen. Aber vor allem in den USA ist das von einer Massenbewegung weit entfernt. Vielleicht ist es an der Zeit, nicht mehr so viel von dem einzelnen Menschen zu erwarten. Ein Großteil der Industrie-Eier geht sowieso nicht direkt an den Verbraucher, sondern wird zu Flüssigei verrührt und verschwindet in Lebensmitteln, in dem man es nicht vermutet, zum Beispiel in Eiscreme.
Kalifornien hat gerade die Vorschriften zur Hühnerhaltung geändert. Wenn neun oder mehr Hühner in einem Käfig leben, steht jedem Einzelnen jetzt eine Fläche von knapp 750 Quadratzentimetern zu – weniger als die Fläche einer Langspiel-Schallplatte. Standard in der amerikanischen Eierindustrie sind nur 432 Quadratzentimeter. Hinter der Gesetzesänderung, gegen die die Eierindustrie protestierte, steckt eine Volksabstimmung. Es ist ein guter Anfang, der zeigt, dass die Menschen bessere Bedingungen für Vieh wollen, selbst wenn sie im Supermarkt nicht supermoralisch einkaufen. Käfige müssen größer werden und die Viehbestände kleiner. Und dazu sind Gesetze nötig, die dafür sorgen, dass nicht mehr alle Eier im gleichen Korb liegen.
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