The Death Penalty in the USA: At the End

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Todesstrafe in den USA

Am Ende

Die Todesstrafen-Gegner in Amerika werden immer zahlreicher. Ob der Boston-Attentäter jemals hingerichtet wird, ist daher ungewiss.

Von Nicolas Richter, Washington

Die Bewohner Bostons sind stolz darauf, dass sie der Todesstrafe ein Ende bereitet haben. Es passt nicht zur liberalen Einstellung dieser Stadt, Menschen hinzurichten. In den Kolonialzeiten gehörte der Staat Massachusetts zwar zu den ersten, die Straftäter hängten. Im Jahr 1984 aber wurde die Todesstrafe für verfassungswidrig erklärt, und die große Mehrheit hier im Nordosten der Vereinigten Staaten hat sie nie vermisst.

Diese Überzeugung ist so gefestigt, dass auch der Terror sie nicht erschüttert hat. Als die mutmaßlichen Terroristen Tamerlan und Dschochar Zarnajew am 15. April 2013 ihre Bomben an der Bostoner Marathonstrecke zündeten, stand die Stadt zwar unter Schock, aber sie sehnte sich nicht nach Rache. Der jüngsten Umfrage zufolge wünschen nur 15 Prozent der Bewohner, dass der Angeklagte Dschochar Zarnajew hingerichtet wird, obwohl er im Prozess keinerlei Reue gezeigt hat.

Für die Jury in Boston wurden nur Bürger ausgewählt, die Hinrichtungen nicht ablehnen

Das Todesurteil gegen Zarnajew, 21, am vergangenen Freitag verhängt von einer zwölfköpfigen Jury, verbreitet deswegen Unbehagen. Etliche Bürger erklären, es sei unvereinbar mit dem Geist dieser Stadt, einen so jungen Menschen hinzurichten. Möglich ist das Urteil nur deshalb, weil der Terrorprozess nicht dem örtlichen Recht unterlag, sondern dem Bundesrecht, das die Todesstrafe für zulässig erklärt.

Aber der Fall Zarnajew ist aus mehreren Gründen irreführend. Etliche Indizien deuten darauf hin, dass die Todesstrafe in Amerika langsam vor sich hin stirbt. Es werden immer weniger Todesurteile verhängt und vollstreckt: Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Todesurteile um zwei Drittel gesunken und die Zahl der Hinrichtungen um die Hälfte. Zwar empfinden noch immer 56 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den Tod als angemessene Strafe für verurteilte Mörder, wie das Pew-Institut jüngst herausfand. Landesweit wünschten sogar 60 Prozent dem mutmaßlichen Attentäter Zarnajew den Tod. Aber der Trend ist eindeutig: Pew zufolge befürworteten in den Neunzigerjahren noch 78 Prozent die Hinrichtung von Mördern. Damals sprachen sich nur 18 Prozent klar dagegen aus; heute sind es 38 Prozent.

Die Jury im Fall Zarnajew war kein Abbild der Bevölkerung, weder der lokalen noch der amerikanischen: Als Geschworene kamen nämlich überhaupt nur jene Bürger infrage, die Hinrichtungen nicht schon grundsätzlich ablehnen. Das Gericht wollte damit für einen ergebnisoffenen Prozess sorgen. Das Verfahren offenbarte dann, dass die Idee einer drastischen Höchststrafe in spektakulären Fällen noch immer verfängt. Während der mutmaßliche Täter keine Reue zeigte, beschrieb ihn der Staatsanwalt als kaltblütigen Mörder, der seine Tat ideologisch gerechtfertigt hatte und sich sogar am Ausmaß der Zerstörung weidete. In einem solchen Fall mögen die Geschworenen das Gefühl haben, dass lebenslange Haft allein nicht genügt.

Aber der Todesstrafen-Experte und Rechtsprofessor Austin Sarat weist nun darauf hin, dass der Fall Zarnajew ungewöhnlich ist: Alle Faktoren, die so viele Zweifel genährt haben an der Todesstrafe, spielten im Bostoner Prozess keine Rolle. Erstens war die Beweislage so erdrückend, dass an der Täterschaft nie ein Zweifel bestand. Zweitens standen Zarnajew bewährte Verteidiger zur Seite, sodass er sich mit angemessenen Mitteln gegen die Vorwürfe wehren konnte. Drittens steht dieses Verfahren nicht unter Rassismusverdacht: Der Angeklagte gehört nicht zum Kreis der armen, oft dunkelhäutigen Männer, aus dem sonst die überwiegende Zahl der Todeskandidaten stammt.

Es ist unklar, was der Todesstrafe mehr zugesetzt hat: Ein neues Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung oder immer neue Erkenntnisse über Fehler, Ahnungslosigkeit und Inkompetenz derjenigen, die über Hinrichtungen entscheiden und sie vollstrecken. Oft wurde schlampig oder voreingenommen ermittelt und der Verdächtige nicht ordentlich verteidigt. Nicht nur in den Südstaaten der USA, wo Alabama besonders in Verruf steht: Jüngst musste sogar die US-Bundespolizei FBI einräumen, dass sie jahrzehntelang Verdächtige mit fehlerhaften Haaranalysen belastet hatte . Zwar hat sich die Forensik stark verbessert, vor allem wegen der Analyse von Erbgut. Aber noch immer lässt sich nicht jeder Täter zweifelsfrei überführen.

Die noch größere Herausforderung liegt inzwischen darin, überhaupt noch das Gift zu besorgen, um die Verurteilten zu töten. Große Pharmakonzerne weigern sich, die tödlichen Chemikalien zu liefern. Wenn Giftspritzen doch verabreicht werden, kommt es zu grausamen Szenen. So etwa im vergangenen Jahr in Oklahoma: Nachdem man dem Mörder Clayton Lockett eine unerprobte Giftmischung verabreicht hatte, kämpfte er eine Dreiviertelstunde mit dem Tod, redete, zuckte und starb schließlich an einem Herzinfarkt.

In nur 20 Bundesstaaten wurde vergangenes Jahr ein Todesurteil verhängt

Jüngst hat der Supreme Court, das oberste Gericht der USA, die Klage von drei Todeskandidaten aus Oklahoma gehört: Aus ihrer Sicht ist das gängige Betäubungsmittel bei Hinrichtungen ungeeignet, weil es nicht schnell und zuverlässig genug zur Bewusstlosigkeit führt. Der Einsatz dieser Chemikalie verstoße deswegen gegen das Verbot grausamer Strafen, das in der US-Verfassung festgelegt ist. Der linke Richter Stephen Breyer stellte die Todesstrafe bei der Anhörung grundsätzlich infrage, jedenfalls solange sich kein Mittel finde, um sie ohne Qualen zu vollstrecken. Allerdings zeigte sich die konservative Richtermehrheit unwillig, Hinrichtungen so grundsätzlich infrage zu stellen.

In den USA ist die Todesstrafe noch in 32 Staaten sowie nach Bundesrecht erlaubt. Aber dem Experten Sarat zufolge haben nur 20 dieser Staaten im vergangenen Jahr ein Todesurteil verhängt, und acht von ihnen haben seit einem Jahrzehnt niemanden mehr hingerichtet. Die US-Regierung selbst hat seit 2003 keinen Verurteilten mehr getötet, und derzeit hat sie die Vollstreckung ohnehin komplett ausgesetzt, um ihre eigenen Regeln und Verfahren zu überprüfen. Selbst wenn Schuldspruch und Strafmaß gegen Zarnajew also in der Berufungsinstanz bestehen sollten – es ist ungewiss, ob er jemals tatsächlich wegen seiner Tat hingerichtet wird.

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