Wie amerikanische Gerichte schwindelnde Lehrer bestrafen
Durch einen Gesetzesverstoß der Lehrerschaft machte eine öffentliche Schule in Atlanta einen großen Sprung nach vorn. Die US-Justiz reagierte drakonisch.
Kurt Scholz (Die Presse)
Ein Schulleiter ist in Wien von seinem Amt dispensiert worden, so brüllen es die Gazetten. Kein „Gott Kupfer“, kein Tyrann sei er gewesen, im Gegenteil. Als Grund für die Abberufung wird gesagt, er habe Schüler begünstigt und bei Notenvergaben ein Auge zugedrückt. Da aber ungesetzliche Veränderungen von Noten den Verdacht einer Dokumentenfälschung nahelegen, müsse die Schulbehörde die Staatsanwaltschaft informieren.
Wenn die Berichte so stimmen, sind sie aus mehreren Gründen interessant. Erstens, weil einem Schulleiter nicht „schwarze Pädagogik“ vorgeworfen wird, sondern die Begünstigung von Schülern. Zweitens zeigt es, wohin eine Fixierung der Schule auf Tests und Noten führen kann. In den USA gibt es dazu gerade ein aktuelles Lehrstück. In Atlanta, Georgia, hat ein Prozess gegen ein Lehrerteam bundesweite Schlagzeilen gemacht. Fotos von Lehrerinnen und Lehrern, die in Handschellen dem Gericht vorgeführt werden und mehrjährige Haftstrafen antreten, sind für die US-Öffentlichkeit neu.
Was haben diese Pädagoginnen und Pädagogen verbrochen? Sie arbeiteten in öffentlichen Schulen der Stadt. In Zuwanderervierteln, wo mehr als 70 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze leben und viele Väter und Mütter kaum alphabetisiert sind. Dort sollten die Schülerinnen und Schüler bei standardisierten Tests dieselbe Punkteanzahl erreichen wie die behüteten Kinder in den üppig ausgestatteten Villenvierteln der Stadt.
Wenig überraschend schnitten sie schlechter ab. Nur ein Viertel der armen Kinder erreichte die Leistungen der weißen Oberschichtkids. Die Lehrer der öffentlichen Schulen fühlten sich im Stich gelassen. Da überdies ihre Vertragsverlängerung von den Testergebnissen der Schülerinnen und Schüler abhängt, haben die Pädagogen etwas Ungesetzliches getan.
Sie gruppierten die Kinder so, dass bessere den schwächeren beim Ausfüllen der Testbögen helfen konnten. Sie öffneten die Kuverts mit den zentralen Fragestellungen und bereiteten ihre Klassen gezielt auf die Prüfung vor. Und sie verbesserten die ausgefüllten Schülerarbeiten mit denselben Schreibgeräten, welche die Kinder benützt hatten. Als Ergebnis dieses Betrugs machte die Schule im nationsweiten Ranking einen Sprung nach oben. Die Eltern begannen, stolz auf die Schule ihrer Kinder zu sein, und die Lehrerschaft wurde plötzlich ermutigt.
Ein klarer Gesetzesverstoß hatte die Motivation aller verbessert. Hier wäre es nun klüger gewesen, die Manipulationen einzustellen. Ein weiterer Betrug wäre auch nicht mehr nötig gewesen. In Untersuchungen hatte man nämlich herausgefunden, dass sich durch die verbesserte Schulatmosphäre die Leistungen der Kinder tatsächlich gesteigert hatten. Leider setzte man jedoch das Spiel fort, so lang, bis eine Lokalzeitung den Schwindel aufdeckte.
Die US-Justiz reagierte drakonisch. Die Lehrerinnen und Lehrer kamen in Handschellen vor das Gericht. Ende April stand das Urteil fest: Elf von zwölf Angeklagten, Lehrerinnen und Lehrer, Testkoordinatoren und Administratoren, wurden verurteilt. Der Strafrahmen betrug bis zu 20 Jahre Haft, davon drei unbedingt.
In der Zwischenzeit stellte die Schulbehörde fest, dass den Kindern durch das Vergehen der Lehrer kein Schaden entstanden wäre. Zur selben Zeit melden große Zeitungen, dass nicht nur in Atlanta, Georgia, sondern vermutlich in 37 weiteren US-Bundesstaaten die Ergebnisse zentraler Test von Lehrern „verbessert“ worden seien.
Die Conclusio ist einfach: Betrug bleibt Betrug, egal ob beim Handel, beim Sport oder in der Schule. Nachdenklich machen sollte uns aber das, was seit den 1970er-Jahren als Campbell’s Law bekannt ist: dass jede Evaluation, von der Strafe abhängt, Menschen früher oder später korrumpiert und damit die Qualitätskontrolle selbst wertlos macht. Oder: Je länger man der Illusion anhängt, allein durch strafbewehrtes Kontrollieren die Leistungen der Schulen anzuheben, desto größer wird die Ernüchterung sein.
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