Die Welt vor und nach Snowden
Der Whistleblower Edward Snowden hat ein breites gesellschaftliches Umdenken ausgelöst, aber kaum Reformen bewirkt.
Wer Edward Snowden ist, das muss man auch zwei Jahre nach seinen Enthüllungen nicht erklären. Der ehemalige amerikanische Geheimdienstmitarbeiter hat es geschafft, bis heute in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben – und das, obwohl er nach wie vor im Exil in Moskau festsitzt. Das unterscheidet Snowden von früheren Whistleblowern, deren Namen innerhalb dieser Zeit längst wieder aus der breiten Debatte verschwunden waren; man denke beispielsweise an Bradley Manning oder Julian Assange, die beide für Aufdeckungen der Plattform Wikileaks verantwortlich zeichneten. Der Erste sitzt eine langjährige Haftstrafe ab, der Zweite versteckt sich in der ecuadorianischen Botschaft in London vor den Strafverfolgungsbehörden.
Snowdens Enthüllungen wirken nach, weil er, erstens, mächtige Medienvertreter als Partner gewonnen hat, die nach wie vor von ihm entwendete Dokumente veröffentlichen – tröpfchenweise und öffentlichkeitswirksam. Zweitens sorgt er selbst dafür, dass er trotz seinem russischen Exil weltweit präsent bleibt. Per Videoschaltung nimmt er regelmässig an Konferenzen wie in Genf, Toronto oder Texas teil. Mit der argentinischen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner begrüsste er kürzlich gar ein Staatsoberhaupt als seinen Gast. Der Zwangsaufenthalt in Moskau behindert ihn also kaum in seiner Aufklärungsmission.
Doch was haben Snowdens Enthüllungen bisher tatsächlich zu verändern vermocht? Ausserhalb der USA fällt die Bilanz ernüchternd aus: In Deutschland war zwar der Aufschrei über die Praktiken der NSA besonders laut, doch ein anvisiertes No-Spy-Abkommen ist am Widerstand der USA gescheitert. Auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Frage, inwieweit die NSA im Land spioniert, hat bisher keine griffigen Ergebnisse geliefert. Die diplomatischen Beziehungen der USA zu Ländern wie Brasilien waren vorübergehend angeschlagen, doch sind sie nun weitgehend repariert. Das Abhören unter Freunden ist verziehen. Innerhalb der USA präsentiert sich ein gemischtes Bild: Vorschläge einer Expertengruppe zu Reformen der NSA hat Präsident Obama weitgehend ignoriert. Doch mit der USA Freedom Act wurde jüngst eine Reform verabschiedet, die die Befugnisse der Geheimdienste tatsächlich etwas einschränkt. Snowden und Obama waren sich überraschend einig in dem Urteil, dass es sich dabei um einen Durchbruch handle. Doch auch wenn nun die gesetzliche Grundlage für das massenhafte Archivieren von Daten limitiert ist, bleiben legislative Schlupflöcher, so dass die Nachrichtendienste weiterhin an grosse Mengen von Daten gelangen. Auch ändert die Reform gar nichts daran, dass die NSA die Kommunikation im Ausland abhört und archiviert.
Mit Blick auf die Politik also haben Snowdens Enthüllungen zwar ein Erdbeben ausgelöst, aber nur wenige Steine ins Rollen gebracht. Ein wirkliches Umdenken hat der heute 31-Jährige jedoch in der breiten Öffentlichkeit ausgelöst: Früher stand verschlüsselte Kommunikation im Verruf, etwas für Computerfreaks zu sein; und nur Verschwörungstheoretiker behaupteten, dass der Staat immer mithöre. Heute statten viele IT-Firmen ihre Mobilgeräte standardmässig mit Verschlüsselungstechnik aus, so stark ist die Kundennachfrage nach derartiger Software.
Dieses neue und gesunde Misstrauen im virtuellen Raum kann Snowden als sein Verdienst verbuchen. Stärker denn je seit den Terroranschlägen von 2001 reflektiert die breite Öffentlichkeit über die ausgelösten Veränderungen und steht der Zielkonflikt Privatsphäre contra Sicherheit im Diskurs. Ein derartiger gesellschaftlicher Druck könnte auch die Politik zu weiteren Reformen bewegen, so wie nun bei der USA Freedom Act erstmals geschehen. Für Snowden selbst ist der Blick zwei Jahre zurück sicher erfreulicher als der zwei Jahre nach vorne. Dann läuft sein Visum in Moskau aus – und ihm droht Ähnliches wie seinem Landsmann Manning.
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