Growing Old in the Midst of the Youth Craze

<--

Alt werden inmitten des Jugendwahns

Kaum ein Land feiert die Jugend so sehr wie die USA. Dass Millionen Ältere ohne staatliche Hilfe kaum überleben können, wird nur langsam als Problem begriffen.VON THORSTEN SCHRÖDER, NEW YORK

Carmen Rosado möchte nicht sitzen. Die Knie machen ihr an diesem Morgen zu schaffen. “Das ist der Preis des Alters”, sagt sie mit puertorikanischem Akzent und tiefer Stimme. Rosado steht im Foyer eines großen Backsteinbaus und drückt ihren Gehstock in den Linoleumboden, auf den schales Krankenhauslicht fällt. Wohnlich sieht es in dem Raum nicht aus, ein paar Stühle gibt es, ansonsten ist es kahl. Der Blick fällt durch die Glasscheibe auf ein bisschen Grün am Straßenrand. Der Bau im Brooklyner Stadtteil Crown Heights strahlt die schmucklose Anonymität der Großstadt aus. Dennoch ist Rosado dankbar, hier sein zu können.

Seit zwölf Jahren lebt sie mit ihrem Mann in einer der Einzimmerwohnungen der Senioreneinrichtung. Zuvor hatten sie über einer Bäckerei gewohnt. Die ständige Abluft habe sie krank gemacht, sagt Rosado. Das Ehepaar stellte zahlreiche Anträge auf Sozialwohnungen für Senioren und landete auf Wartelistenplatz 1.900. Es grenze an ein Wunder, dass einen Zuschlag erhielten, sagt Rosado, allerdings erst fast zehn Jahre später. “Diese Einrichtung war die erste und einzige, die wir bekamen.” Ihr Mann sei skeptisch gewesen, aber sie habe ihm gesagt: “Woanders werden wir nicht unterkommen.” Rosado ist 67 Jahre alt. Als Kleinkind war sie mit ihrer Familie von Puerto Rico nach New York gezogen, später arbeitete sie als Haushaltshilfe. Außer ihrem Mann, der 79 Jahre alt ist, hat sie niemanden mehr.

Die USA machen es ihren Alten nicht leicht. Kaum ein Land feiert die Jugend so sehr wie das Land der Traumfabrik. Filmindustrie und Werbung verkaufen vor allem Jugend und Schönheit. “Die Mehrheit der Amerikaner hält Altern noch immer für etwas Negatives”, sagt Jacquelyn James vom Boston College Center on Aging & Work.

Das zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Mehr als die Hälfte aller Arbeitslosen über 50 ist länger als sechs Monate ohne Job. Und wer arbeitet, muss sich oft mit schlechteren Stellen zufrieden geben, Teilzeit arbeiten oder zu schlechteren Konditionen als früher. Erfahrung ist auf dem US-Arbeitsmarkt wenig wert.

Dabei ist es höchste Zeit, dass das Land sich an das Altern gewöhnt. Bis 2050 wird sich die Zahl der Amerikaner, die älter als 65 Jahre alt sind, im Vergleich zu 2012 fast verdoppeln. Die Baby-Boomer-Generation kommt in die Jahre und in den Sozialsystemen macht sich die Last der alternden Gesellschaft schon bemerkbar. Doch statt vorzubeugen, gab es Budgetkürzungen aus Washington. Die Programme für Lebensmittelmarken und die Grundversorgung durch Medicare und Medicaid sind in den vergangenen Jahren gekürzt worden, vor allem auf Druck der Republikaner im Kongress.

Mehr als die Hälfte aller Amerikaner über 55 Jahre hat zudem keine Ersparnisse für die Zeit nach dem Arbeitsleben. Das ergab ein Bericht des US-Rechungshofes. Rentenpläne über den Arbeitgeber gibt es selten. Die überwiegende Mehrheit der Rentner könne den Lebensstandard nicht halten, heißt es vom Center for Retirement Research in Boston. Eine Folge sei, dass die Amerikaner länger arbeiten müssten als noch vor wenigen Jahren, sagt Ökonomin Katharine Abraham vom Maryland Population Research Center. Dabei liegt das Durchschnittsrentenalter heute schon bei 66 Jahren.

Lebensmittelmarken und zwölf Jahre Wartezeit

Auch bei Rosado ist es am Monatsende knapp. Zwischen 750 und 800 Dollar hat sie im Monat zur Verfügung, hinzu kommen Lebensmittelmarken für Einkäufe. Sie erhält, wie rund 50 Millionen Amerikaner über 65, staatliche Unterstützung. Es sei nicht leicht, damit auszukommen, sagt sie. Das steuerfinanzierte Medicare-Programm übernimmt die Hälfte der Arztkosten, für den Rest muss sie entweder weitere Anträge stellen selbst zahlen. Viele Bewohner der Senioreneinrichtung gehen regelmäßig zu Suppenküchen, weil sie es sich nicht leisten können, Lebensmittel einzukaufen.

Dabei haben die Rosados und ihre Nachbarn Glück. Sie müssen hier weniger als 200 Dollar Miete zahlen, den Rest trägt die Stadt. Auf dem freien Markt würden sie schnell das Fünffache zahlen. Folglich übersteigt die Nachfrage die Kapazitäten. Es gibt Menschen, die sich bereits 2003 für einen Platz beworben haben und immer noch warten, sagt Shebana Fakira. Sie ist Sozialarbeiterin und seit acht Jahren in der Einrichtung. Sie unterstützt die Senioren bei Anträgen, organisiert Fahr- und Pflegedienste. Wer hier nicht unterkommt, sagt sie, dem bleibe nur die Familie. “Wir sind lästig”, sagt Rosado.

Trommeln der älteren Generation nicht mehr zu überhören

Trotz allem scheint sich mit Blick auf die Alten langsam etwas zu verändern Der Film The Best Exotic Marigold Hotel über eine Gruppe von Senioren, die sich in einem Hotel in Indien niederlässt, spielte 2012 fast 50 Millionen Dollar ein wird dieses Jahr fortgesetzt. Die Luxusmarken Céline und Yves Saint Laurent sorgten in den vergangenen Wochen für Aufsehen, als sie die inzwischen 80-Jährige Autorin Joan Didion und die 71-jährige Folk-Sängerin Joni Mitchell für ihre Anzeigenkampagnen posieren ließen. Stars wie Meryl Streep und Susan Sarandon sind, obgleich jenseits der 60, immer noch gefragt.

Alter werde auch in der amerikanischen Gesellschaft wieder geschätzt, sagt angesichts dieser Beispiele Marc Freedman, Gründer von Encore, einer Organisation, die Menschen jenseits der Fünfzig bei der Planung ihrer beruflichen Zukunft hilft. Dass selbst Firmen wie Google inzwischen das Alter erforschen und Ex-Unternehmer und ehemalige Präsidenten lange nach der Karriere öffentlich aktiv bleiben, sorge für einen ständigen drum beat der älteren Generation – für ein unüberhörbares Trommeln im Hintergrund.

Möglicherweise wird es langfristig auch in der Politik gehört. Immerhin hat mit Washington vor wenigen Tagen ein weiterer Bundesstaat ein Programm gestartet, das mehr Unternehmen dazu bringen soll, für ihre Mitarbeiter in Rentenprogramme einzuzahlen. Damit, so die Hoffnung, sollen die Kürzungen aus Washington zumindest etwas aufgefangen werden.

About this publication