Worthwhile Risks

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Lohnende Risiken

Der Atomdeal mit dem Iran hilft dabei, eine instabile Region sicherer zu machen, und eröffnet politisch wie wirtschaftlich Optionen, die bisher nicht möglich waren. Der Leitartikel.

Da sage noch einer, Diplomatie erreiche zu wenig, die Vereinten Nationen gar nichts. Das Gegenteil ist der Fall. Denn der Atomdeal mit dem Iran ist schlicht historisch. Er hilft dabei eine instabile Region sicherer zu machen und eröffnet politisch wie wirtschaftlich Optionen, die bisher nicht möglich waren. Allerdings darf die Freude über die Vereinbarung nicht den Blick trüben für die Gefahren, die erst durch die Vereinbarung entstehen könnten. Auch in der Politik ist es manchmal wie beim Wandern. Erklimmt man einen Hügel, werden weitere sichtbar.

Der vertraglich vereinbarte Verzicht Teherans auf den Bau von Atombomben, ist das Beste an dem Abkommen. Zum einen gibt es keine zusätzlichen nuklearen Waffen im Nahen und Mittleren Osten, einer Region, die nicht gerade arm ist an Waffen. Außerdem wird kein weiterer Staat animiert, selbst diese Massenvernichtungswaffe besitzen zu wollen. Ein möglicher Rüstungswettlauf wird gestoppt, bevor er überhaupt begonnen hat.

Im Gegenzug baut der US-geführte Westen die Wirtschaftssanktionen schrittweise ab. Die Mullahs können die Ökonomie des Landes nach und nach modernisieren. Das Leben der Iraner dürfte leichter werden, wenn sie wieder oder erstmals Güter bekommen, die derzeit Mangelware sind. Und Handelsnationen wie Deutschland können einen lukrativen Markt mit rund 80 Millionen Menschen beliefern. Zu hoffen bleibt, dass sich die Option Wandel durch Handel auch realisiert.

Nicht ganz so einfach ist es mit dem politischen Vorteilen. Es wird sich zeigen, ob die fortschrittlichen Kräfte Irans das Abkommen nutzen können, um (menschenrechtliche) Freiräume in dem Land zu vergrößern oder ob konservative Kräfte sich mit dem Hinweis durchsetzen, Präsident Ruhani habe zu schlecht verhandelt und damit indirekt iranische Ziele verraten. So könnte das Mullah-Regime weitere Repressionen rechtfertigen.

Noch weniger lässt sich über die Hoffnung sagen, wonach ein aus der Isolation entlassener Iran auch tatsächlich befriedend in die Konflikte der Region eingreift. Westliche Diplomaten arbeiten jedenfalls darauf hin, dass Teheran seinen Einfluss auf Syrien nutzt und mithilft, den dortigen Bürgerkrieg zu beenden. Ähnliches gilt für den Konflikt im Jemen. Gestützt wird diese Hoffnung durch erste punktuelle Kooperationen zwischen dem Westen und Iran. So bekämpft beispielsweise die iranische Luftwaffe mit der US-geführten Allianz im Irak die Terrormiliz Islamischer Staat. Teheran hat obendrein in den vergangenen Jahren seinen Einfluss im Nachbarland Afghanistan genutzt und dort dauerhaft mäßigend eingewirkt.

Kann auch sein, dass der mächtige iranische Mullah Ali Khamenei den Verhandlungen lediglich zugestimmt hat, um die lästigen Handelssanktionen loszuwerden, um dann mit neuer Kraft das alte Ziel weiterzuverfolgen: Iran soll eine Regionalmacht werden. In diesem Szenario würde er trotz des Atomdeals nicht mit dem Westen gemeinsam in der Region agieren, sondern einzig und allein iranische Interessen verfolgen.

Bei all dieser berechtigten Skepsis darf nicht vergessen werden, dass erst die Atom-Vereinbarung den Weg frei macht für innenpolitischen wie friedenspolitischen Fortschritt. All die Jahrzehnte der Sanktionen haben jedenfalls nicht wirklich geholfen, diesen erstrebenswerten Zielen näher zu kommen. So gesehen könnte Wandel durch Annäherung ähnlich wie einst in der Entspannungspolitik mit der Sowjetunion die erfolgreichere Strategie sein. Ein Strategiewechsel war ohnehin längst überfällig.

Mögliche Erfolge stellen sich aber nicht von alleine ein. Die USA und die EU-Staaten müssen sich weiter im Nahen und Mittleren Osten engagieren. Es gilt, das gegenseitige Misstrauen zwischen Iran einerseits und Israel, Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten andererseits weiter abzubauen. Ohne oder gegen diese Staaten wird es in der Region keinen nachhaltigen Fortschritt geben. Vor allem ist eine Entspannung im Verhältnis zwischen den beiden Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien bitter notwendig. Deren Auseinandersetzung befördert oder ermöglicht einige Konflikte in der Region. Teheran unterstützt in Syrien das Assad-Regime, Riad und die anderen Golfstaaten die Rebellen-Milizen. Auch im Jemen könnten die beiden Kontrahenten den Bürgerkrieg wenn nicht beenden, dann doch befrieden. Bleibt es, wie es ist, wird es nur schlimmer.

US-Präsident Obama hat ebenfalls noch viel Arbeit vor sich. Er muss den Atomdeal im eigenen Land noch gegen die US-Republikaner und die Israel-Lobby durchsetzen. Das wird ihm nur gelingen, wenn er verdeutlichen kann, dass Israel nicht der Verlierer der Vereinbarung sein wird. Außerdem muss er die eigene Bevölkerung umstimmen. Denn seit dem Sturz des Schahs 1979 und der Geiselhaft von 52 US-Diplomaten standen sich die USA und Iran in bitterer Feindschaft gegenüber. Das wird nicht leicht. Das Ziel lohnt aber den Einsatz.

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