Time for a Drink

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Zeit für einen Drink

Jon Stewart hat sich von der amerikanischen Nachrichtensatire „The Daily Show“ verabschiedet. Seine Narrenfreiheit machte ihn zu einem der letzten unabhängigen Journalisten – der am Ende doch konsensfähig war.

Vielleicht muss man in dieser Bar namens „Elixir“ in San Francisco stehen, um zu begreifen, was der Satiriker, Komödiant und Schauspieler Jon Stewart für das liberal gesinnte Amerika bedeutet. Gerade läuft die Debatte von zehn Präsidentschaftskandidaten der konservativen republikanischen Partei auf insgesamt vier Fernsehbildschirmen. Doch die Barbesucher haben nichts Besseres zu tun, als ihr Desinteresse zu zeigen und sich stattdessen lautstark über den gerade bewältigten Arbeitstag zu unterhalten. Sie lassen die zahlreichen republikanischen Kandidaten einfach Kandidaten sein – ob nun der Unternehmer und unbestrittene Paradiesvogel Donald Trump das Wort ergreift oder der Gouverneur von Florida, Marco Rubio, es hört sowieso keiner hin.

Doch um Punkt zwanzig Uhr an diesem Donnerstagabend ist der Alltag vergessen, es wird still in der Bar. Und wer nicht schweigen will, wird mit einem gezischten, aber umso bestimmteren „Schhh!“, darauf hingewiesen, dass jetzt endlich Ruhe zu herrschen habe.

Denn es ist der letzte Arbeitstag von Jon Stewart als Moderator der satirischen Nachrichtensendung „The Daily Show“, die Stewart seit mehr als 16 Jahren und in nahezu 2600 Folgen auf dem amerikanischen Fernsehkanal Comedy Central präsentiert hat. Die Sendung ist das Vorbild der „Heute Show“, die Oliver Welkefreitags im ZDF moderiert – es sei denn, es ist Sommerpause, wie jetzt gerade. In der Bar in San Francisco gibt es jedenfalls keine Sommerpause, und die „Daily Show“ ist auch eine etwas andere Hausnummer als ihre deutsches Nachahmerprodukt: Sie ist eine nationale Einrichtung, die wichtigste Satireshow des Landes. Alle warten nur darauf, dass die allerletzte Folge mit Stewart hinter dem Moderationstisch beginnt. Niemand hier will die famous last words des satirischen Anchorman verpassen, die besten Pointen kommen bekanntlich oft zum Schluss, und kaum einer hat mehr zu sagen als der 1962 geborene Komiker. Das Magazin „Time“ wählte ihn schon vor Jahren zu einer der einflussreichsten Personen, seine Sendung und er erhielten fast zwei Dutzend Fernsehpreise.

Die Narrenfreiheit, alles zu sagen

Jon Stewarts Erfolg ist ungebrochen, trotzdem hat der Moderator im Frühling seinen Abschied angekündigt. Es ist in der Tat das Ende einer Ära, wie manche Medien es nennen. Seit 1999 war Jon Stewart derjenige, der von montags bis donnerstags die amerikanischen Nachrichten und die handelnden Politiker einmal durch den Kakao zog – und zurück. Er hat sich so ziemlich über jeden lustig gemacht, der in der politischen Kaste Amerikas Rang und Namen hat. Zuvorderst waren das natürlich konservative Politiker, denn Stewart ist eher liberal eingestellt und brachte das mitunter deutlich zum Ausdruck. Wo Oliver Welke im ZDF die FDP oder die AfD regelmäßig als Objekt der Kritik findet, konzentriert sich Stewart auf die Partei der Republikaner. Doch obwohl ihm viele Leute nachsagten, dass er den Demokraten rund um Barack Obama zu nahestehe, nahm er auch kein Blatt vor den Mund, wenn er Vertreter dieser Partei zum Gegenstand seiner Satire machte.

Damit war Stewart vielleicht so etwas wie der letzte unabhängige Fernsehjournalist Amerikas. Andere Journalisten wurstelten vor sich hin und nahmen aus oktroyierter oder selbst auferlegter Zurückhaltung Abstand von gewissen Fragen. Stewart hingegen hatte die Narrenfreiheit, alles zu fragen, was ihm gerade so einfiel. Das schmeckte nicht jedem. In einer seiner Sendungen während dieser Woche sagte Stewart über sich, dass er sich selbst nicht vermissen würde. Das sehen seine Anhänger wie Gegner aber offensichtlich anders. In der letzten „Daily Show“ mit ihm meldeten sich per Einspielung noch einmal all jene zu Wort, die Stewart nicht geschont hatte, darunter auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und der amtierende Außenminister John Kerry. Unter denen, die Abschiedsgrüße schickten, war aber auch der republikanische Senator John McCain, den Stewart oft aufs Korn genommen hatte. Es ist ein Zeichen dafür, wie sehr dieser als liberal geltende Moderator doch so etwas wie Konsens war in den Vereinigten Staaten.

Und gerade deshalb wird er allen fehlen, ob in der Bar „Elixir“ in San Francisco oder auf dem Capitol Hill in Washington, wo die Politik der Vereinigten Staaten gemacht wird. Mag sein Nachfolger Trevor Noah, der 31 Jahre alte Sohn einer schwarzen Südafrikanerin und eines Schweizers, der nach eigenen Worten seinen scharfzüngigen Witz seiner Kindheit im Land der Apartheid verdankt, vielleicht auch alle in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen: Stewart war der anerkannte Stachel im Fleisch der amerikanischen Politik – auch wenn er mehr als einmal in seiner Show das mit „Fu“ beginnende und mit „ck“ endende amerikanische Wort für „Verdammt!“ in den Mund nahm.

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