Punishment for Minorities

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Strafen für Minderheiten

Von DANIEL HAUFLER

13.08.2015

US-Kommunen versuchen, sinkende Einnahmen durch hohe Geldbußen für banale Delikte auszugleichen. Arme können die aber oft nicht zahlen und wandern deshalb ins Gefängnis. Der Leitartikel.

Polizeigewalt als Ausnahmefall, so ist es immer. Ein weißer Beamter hält einen schwarzen Autofahrer in Watts, einem Vorort von Los Angeles, an, weil der betrunken sein soll. Ein zweiter Polizist kommt dazu, ebenso die Mutter des Fahrers, die in der Straße wohnt und nun ihren Sohn ausschimpft. Beide widersetzen sich der Verhaftung, werden von den Polizisten geschlagen. Der Konflikt eskaliert in tagelangen Unruhen, bei denen 34 Menschen sterben und Tausende verletzt werden. Bis heute, genau 50 Jahre später, sind die Unruhen von Watts ein Symbol für die Diskriminierung von Schwarzen in den USA.

Genauso wie die Unruhen von Ferguson. Vor einem Jahr, am 9. August 2014, wollte ein weißer Polizist einen Schwarzen verhaften – weil er auf der Straße statt auf dem Bürgersteig gelaufen ist – und der Konflikt eskalierte. Am Ende war der junge Michael Brown tot und eine Stadt tagelang im Ausnahmezustand. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, zwei Reporter kurzzeitig verhaftet, da sie angeblich die Polizei bei ihrer Arbeit behindert hätten. In dieser Woche erinnern Tausende in Ferguson an den Tod Browns und versammeln sich zu Protesten gegen Diskriminierung, die teilweise wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen.

Behörden verhängen Notstand in Ferguson

In den vergangenen zwölf Monaten sind unbewaffnete Afroamerikaner in zahlreichen Städten von Cleveland über Prairie View (Texas), Baltimore, New York, North Charleston bis nach Cincinnati Opfer von Polizeigewalt geworden. Wie viele dieser Fälle es gibt, wird in keiner Statistik systematisch erfasst. Die „Washington Post“ kommt nach umfangreichen Recherchen zu dem Schluss, dass 40 Prozent der unbewaffneten Polizeiopfer schwarz sind, obwohl Afroamerikaner nur sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen. Klar ist nur eines: Es sind keineswegs nur Ausnahmefälle. Auch wenn sich seit den Unruhen von Watts sicherlich vieles zum Besseren gewendet hat für die Schwarzen in den USA, so findet sich zumal in vielen Behörden eine geradezu institutionalisierte Form von Rassismus, die letztlich zu vielen der Todesfälle geführt hat.

Genau betrachtet stellt sich bei vielen Opfern heraus, dass sie wegen absolut geringfügiger Vergehen von der Polizei angehalten wurden: Michael Brown lief verkehrswidrig auf der Straße; Samuel DuBose in Cincinnati fehlte das vordere Nummernschild; Sandra Bland in Prairie View hatte beim Spurwechsel nicht geblinkt; Walter Scott in North Charleston war im Verzug mit seinen Alimenten. Scotts Fall veranschaulicht das Problem auf exemplarische Weise. Nach der Trennung von seiner Frau nahm er einen Billigjob an, um die Alimente zu bezahlen, geriet in Rückstand mit den Zahlungen, wofür er mit einem satten Bußgeld bestraft wurde. Bei der nächsten versäumten Zahlung landete er für einige Wochen im Gefängnis, so dass er seine Arbeit verlor und nach der Haft einen noch schlechter bezahlten Job annehmen musste. Er tat sein Bestes, aber scheiterte. Als er bei der Polizeikontrolle versuchte davonzulaufen – wenn man sein Humpeln überhaupt so nennen will –, befürchtete er offenkundig ein Bußgeld und Haft. Der Polizist erschoss ihn ohne Not von hinten.

Etliche Kommunen bestrafen geringfügige Vergehen mit außerordentlich hohen Bußen, die sich noch dazu im Laufe eines Verfahrens erheblich erhöhen. In San Diego beispielsweise kostet eine Geschwindigkeitsübertretung anfangs nur 35 Dollar. Dazu kommen allerdings etliche Gebühren – für die Überprüfung der Strafe seitens des Staates, seitens des Bezirks, Gerichts- und Verurteilungsgebühren, DNS-Überprüfung und vieles mehr. Am Ende gilt es, 235 Dollar zu zahlen. Von diesen Strafen sind keineswegs alle Bevölkerungsgruppen gleich betroffen. In San Diego stellen Afroamerikaner und Latinos nur ein Drittel der Einwohner, zahlen aber fast zwei Drittel der Geldstrafen.

Gedenken an Michael Brown in Ferguson

In Ferguson hat die Polizei 2014 über 16 000 Haftbefehle ausgestellt – bei einer Einwohnerzahl von 24 000. Sie führen in der Regel nicht zu Verurteilungen, sondern zu Zahlungen in die Stadtkasse. Und darum geht es letztlich in San Diego, Ferguson und vielen finanzschwachen Kommunen. Fergusons Polizei und Gerichte haben 2010 rund 1,4 Millionen Dollar zum Etat der Stadt beigetragen, in diesem Jahr werden es 3,1 Millionen sein – ein Drittel des Budgets.

Politisch betrachtet heißt das: Da die Steuereinnahmen seit Jahrzehnten aufgrund der neoliberalen Haltung vor allem der Republikaner, aber auch gar nicht so weniger Demokraten in den Kommunen und Staaten zurückgehen, behelfen sich die Verwaltungen damit, Geld auf anderen Wegen von den Bürgern zu holen. Vor allem – und das ist der eigentliche Skandal – von den Minderheiten, allen voran von den Schwarzen. Dabei wird in Kauf genommen, dass Betroffene für Nichtigkeiten im Gefängnis landen, und einige von ihnen sogar ums Leben kommen. Die unmittelbare Polizeigewalt ist somit Ausfluss struktureller Gewalt – und leider eher die Regel als die Ausnahme.

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