Don’t Get Sick Unless You’re German

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Wie fühlt man sich als Simulant? Was ist, wenn man tatsächlich krank ist und nicht arbeiten kann? Wen es erwischt, der lernt deutsches Arbeitsrecht schätzen – und hat doch ein schlechtes Gewissen.

Der kleine Schnupfen zwischendurch hält einen kaum von der Arbeit ab – wo aber liegt die Grenze zur Arbeitsunfähigkeit?

Diese Kolumne dürfte es eigentlich nicht geben. Denn ich bin krankgeschrieben. Die hässliche Sommergrippe, treffsicher zum Urlaub in Rom ausgebrütet, hat einen Neunzigjährigen mit der Kondition eines nassen Handtuchs hinterlassen. Die Kraft reicht festzustellen: es ist, im Ernst, ein Privileg und eine Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft, für eine Absenz wegen Krankheit nicht mit Lohnausfall belegt zu werden oder gar von der Kündigung bedroht zu sein.

In den USA etwa gibt es kein Gesetz, das Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vorschriebe. Keine Arbeit, kein Geld, ganz einfach. Wer in Deutschland schlecht drauf ist, weiß zu schätzen, dass er nicht auch noch arm dran ist. All die unverschämten Webseiten mit Anleitungen (“Keine grinsenden Fotos vom Strand posten!”) zum Blaumachen, Krankfeiern, Simulieren bei Ärzten wie Arbeitgebern, ändern daran nichts.

Bei näherem Nachdenken: Überführt mich das Verfassen dieser Kolumne vom heimischen Schreibtisch aus nicht gewissermaßen als Simulanten, der durchaus arbeiten kann? Wie halten wir es in unserer digitalisierten Arbeitswelt des Telecommuting und der Skype-Konferenzen mit diesem Zwischenzustand, in dem man nicht gesund genug ist zum Pendeln und für einen Achtstundentag, aber nicht (mehr) so krank, dass man keine Hand rühren kann?

Abmahnung wegen kranken Erscheinens?

Verhält sich einer nicht verantwortungsvoll, der seine Kollegen mit dem Risiko der Ansteckung verschont und sie zugleich entlastet, indem er wenigstens einen Teil seiner Arbeit von zu Hause liefert? Oder spielt er, streng genommen, mit der Abmahnung?

Es versteht sich, dass solche Fragen einen Fliesenleger oder Stahlkocher nicht interessieren. Für uns andere, die in virtuellen Räumen arbeiten, werden sie in Zukunft kein Luxus sein. Längst gab es Vorschläge, die Hausärzte zu entlasten, indem man Arbeitnehmern fünf statt bisher drei Krankheitstage ohne Arbeitsunfähigkeitsattest zubilligt.

Die Leute könnten gut selbst einschätzen, ob sie fähig seien zu arbeiten oder nicht, sagen die Befürworter; es werde eher weniger Missbrauch geben als mehr. Die Arbeitgeber waren dagegen, einig mit dem zuständigen Bundesministerium, das im Januar die Dreitageregelung “angezeigt, sinnvoll und nützlich” nannte. In demselben Monat, in dem Barack Obama im Kongress einen Gesetzentwurf einbringen ließ, wonach Betriebe mit mehr als 15 Angestellten für 30 Stunden Arbeit eine bezahlte Krankheitsstunde anrechnen sollen.

Höchstens sieben Fehltage im Jahr wären zu entgelten; das Gesetz gilt bei den Republikanern als sozialistischer Aberwitz, es scheint nicht die geringste Chance auf eine Mehrheit zu haben. Wahrlich: Es ist elend und nirgendwo ein Grund zu feiern, krank zu werden. Doch wenn es einen schon erwischt, dann bitte in einem zivilisierten Land wie Deutschland.

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