Pope, Castro and Obama Suddenly in Same Boat

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Der Papst, Castro und Obama plötzlich in einem Boot

Papst, Marxist und US-Präsident: Die Besuche von Franziskus in Kuba und im Weißen Haus und Raúl Castros Auftritt in den Vereinigten Staaten verdeutlichen die Schnittlinien gemeinsamer Interessen.

Mitunter verengt sich die Zeitgeschichte zu einem Nadelöhr, durch das Protagonisten drängen, die auf den ersten Blick allenfalls die Zeit miteinander zu verbinden scheint. Da wären ein Kommunist, der über die Rückkehr in die katholische Kirche nachdenkt; ein kapitalismuskritischer Papst, der aktuell der von diesem Kommunisten regierten Karibikinsel eine umjubelte Visite abstattet; und der Präsident der einzigen Weltsupermacht, der am Mittwoch den weiterreisenden Papst im Weißen Haus empfangen und am nächsten Montag wenige Stunden vor dem marxistischen Amtskollegen und wenige Tage nach dem Heiligen Vater in New York vor den Vereinten Nationen sprechen wird.

Doch Papst Franziskus, Raúl Castro und Barack Obama haben mehr als zufällige Berührungspunkte. Der Vatikan vermittelte im Hintergrund, als sich hochrangige Emissäre aus Washington und Havanna im Juni 2013 erstmals in Kanada trafen, um nach über 50 Jahren Eiszeit eine Normalisierung der Beziehungen vorzubereiten.

Das war möglich, weil sich im offiziell atheistischen Kuba die Bevölkerungsmehrheit weiterhin als katholisch begreift. In den USA sind gut 20 Prozent der Menschen katholisch. Sie stellen die größte Kirche, während die Protestanten in zahlreiche Einzelkonfessionen aufgesplittert sind. Franziskus genießt vor allem bei jungen US-Katholiken eine gewaltige Popularität, die allenfalls im konservativen Kirchenflügel etwas gedämpft ist. Dort stößt man sich weniger daran, dass der Papst “ungezügelten Kapitalismus als Dünger für den Teufel” bezeichnete.

Castro vor der Uno

Aber es irritiert, dass er Themen wie Empfängnisverhütung und Abtreibung tendenziell in den Hintergrund rückt. Man darf gespannt sein, in welcher Wechselwirkung Franziskus bei seiner Rede vor beiden Kammern des Kongresses Demokraten auf der einen und Republikanern auf der anderen Seite Anlass zum enthemmten Klatschen und zum peinlichen Schweigen geben wird.

Im März 2014 empfing der Papst den sozialreformerischen Obama im Vatikan. Bereits im Dezember 2013 war es bei den Trauerfeierlichkeiten für Nelson Mandela zum Händedruck zwischen Obama und Castro gekommen. Im Oktober 2014 diente der Vatikan Diplomaten beider Staaten als konspirativer Treff, um Details für die kürzlich vollzogene Wiedereröffnung der Botschaften auszuhandeln.

Zur bevorstehenden UN-Generalversammlung in New York wird Raúl Castro erstmals seit 1959 wieder den Boden der USA betreten. 1962 scheiterte der Versuch, sowjetische Raketen auf Kuba zu stationieren. Im gleichen Jahr begann Washingtons Embargopolitik. Für Obama stellt die schrittweise Annäherung an Havanna einen seiner raren außenpolitischen Erfolge dar.

Daneben darf der Atom-Kompromiss mit dem Iran auf seiner Habenseite verbucht werden. Viel mehr führt seine internationale Agenda nicht auf. Während der Iran-Deal in der US-Bevölkerung umstritten ist, bewertet eine klare Mehrheit die Normalisierung der Beziehungen zu Havanna positiv.

Obamas Erfolge

In Kuba selbst wird die Entwicklung ohnehin bejubelt. Der 84-jährige Raúl Castro, der durch die Schaffung privatwirtschaftlicher Kleinstnischen den Sinkflug der Nationalökonomie nicht stoppen konnte, muss derzeit die faktische Pleite seines letzten Sponsors konstatieren. Das nur auf Erdöl fokussierte Venezuela taumelt unter dem massiven Preisverfall. Für Castro, den Staatschef mit dem wie aus der Zeit gefallenen Titel des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei, ist Washington der letzte Strohhalm.

Zweifellos braucht Castro den US-Präsidenten weitaus dringlicher als dies umgekehrt der Fall ist; aber der amerikanische Präsident wird angesichts des brutalen Chaos in Syrien und im Irak und der Konfrontation mit Russland ebenfalls dankbar sein, dass immerhin Kuba sein Versprechen vom “Change we can believe in”, vom Vertrauen in die Machbarkeit des Wandels zu bestätigen scheint.

Franziskus forderte am Samstag in Havanna “religiöse Freiräume”. Ähnliche Appelle richteten auch schon Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ans Regime. Dass diesmal die Hoffnung auf echte Umbrüche größer ist und lauter formuliert wird, ist auf die leeren Kassen des Regimes zurückzuführen.

Privataudienz beim Papst

Im Mai sagte Castro nach einer Privataudienz bei Franziskus, wenn sich der Papst “weiterhin so äußert, werde ich früher oder später wieder zu beten beginnen und zurückkehren in die Katholische Kirche”. Der 84-jährige Veteran der Weltrevolution wird der letzte Kommunist sein, der in Havanna herrscht. Der neue Papst hingegen bescherte dem Vatikan und der katholischen Kirche einen “Obama-Moment”.

Jorge Mario Bergoglios Etikettierung als erster nichteuropäischer Papst ist zwar mindestens so oberflächlich wie die des Präsidenten mit weißer Mutter und afrikanischem Vater als “ersten Schwarzen im Weißen Haus”. Denn schon der Heilige Petrus, der erste Papst, stammt aus dem israelischen Galiläa. Ihm folgten bis ins achte Jahrhundert neun weitere Heilige Väter, die in Palästina, in Libyen, anderen Teilen Nordafrikas, der Türkei oder (gleich vier von ihnen) in Syrien geboren wurden.

Dennoch personifizierte die Wahl des ersten Papstes aus der Dritten Welt einen revolutionären Umbruch. Der argentinische Jesuit war noch nie in seinem Leben in den USA. Wir wissen nicht, ob er das Land mag, das der Freiheit weiterhin den Vorzug gibt statt sozialer Sicherheit. Aber die Vereinigten Staaten und ganz Panamerika gewinnen für den Vatikan zunehmend an Bedeutung. 40 Prozent der Katholiken weltweit leben in Zentral- und Südamerika.

Katholischer Schwerpunkt Amerika

Die USA stellen, nach Brasilien und Mexiko, mit über 68 Millionen Katholiken global die drittstärkste Gemeinde, und die hispanische Zuwanderung lässt sie gar wachsen. Sie ist auch Rom treuer, weil sich die Immigranten mehr am Wort der Schrift orientieren als an den gesellschaftspolitischen Reformen der demokratischen Kennedy-Katholiken. Europa schrumpft derweil, und die aktuell dorthin strömenden Menschen sind mehrheitlich keine Christen, sondern Muslime.

Der Kompass des Vatikans wird in Zukunft stärker auf den amerikanischen Doppelkontinent weisen. So sitzen mit Franziskus, Obama und Castro drei Männer in einem Boot. Die Konstellation, die den reformfreudigen Papst, einen zur Wende gezwungen Kommunisten und den Präsidenten der letzten Supermacht zusammenführt, wirkt eher schicksalhaft denn zufällig.

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