Der gute Obama
Von Konrad Ege
23.09.2015
USA Der Präsident holt aus für den Rest seiner Amtszeit. Er will Wähler zurückgewinnen, um den Demokraten auch künftig die Präsidentschaft zu sichern
Nach sechseinhalb Jahren Barack Obama im Weißen Haus erleben die USA gerade den guten Obama, auf den viele Anhänger schon seit langem hoffen. Fortschritte sind nicht allumfassend, doch real, und sie machen deutlich: Man sollte nicht ständig klagen über Alternativlosigkeit in der vom großen Geld korrumpierten Politik.
Die Beziehungen mit Kuba sind normalisiert, der letztlich kriegsvermeidende Atomdeal mit dem Iran ist ausgehandelt, wenn auch noch umkämpft im Kongress. Obama hat einen für US-Verhältnisse aggressiven Klimaplan vorgestellt. Er spricht ziemlich unverbrämt über Rassismus in der Gesellschaft, setzt sich für eine Reform des Strafvollzugs ein, verlangt von seinen Parteigängern mehr Engagement. Der gute Obama kommt spät, und er hat auch parteipolitische Motive. Der demokratische Präsident mobilisiert Stammwählerinnen und -wähler für seine mutmaßliche Nachfolgerin Hillary Clinton.
Auch das ergibt einen Sinn. Denn Beschwerden von Anhängern der Demokraten, die bei Clinton Bauchschmerzen bekommen, weil der Drohnenkrieg andauern dürfte und die Wall-Street- wie die SiliconValley-Spenderlobby deren Programm vorgeben werde, führen schnell zum Zynismus der Tatenlosigkeit und des Abwartens. Derweil ziehen republikanische Präsidentschaftsanwärter mit Güllefässern durch die Landschaft.
Der gute Obama hat zu Teilnahme aufgefordert und zu Hoffnung. Meckern reiche nicht, sagte der Präsident Anfang August bei einer Feierstunde im Weißen Haus. Seine progressiven Freunde hörten das „wohl nicht gern“: Apathie und Nicht-Wählen seien mit daran schuld, dass seit den Zwischenwahlen 2014 die Republikaner in Repräsentantenhaus und Senat die Mehrheit hätten. Nur ein Drittel der Wahlberechtigten ging 2014 zur Urne; 62 Prozent wollten hingegen abstimmen, als Obama 2008 Präsident wurde. Die Feierstunde gedachte des vor 50 Jahren beschlossenen Wahlrechtsgesetzes. Diese historische Reform hat die in den einstigen Sklaverei-Staaten im Süden praktizierte rohe Diskriminierung schwarzer Wähler außer Kraft gesetzt und den USA Demokratie gebracht.
Die oft zum Pessimismus neigenden Progressiven in den USA – oder wie auch immer die diffuse Strömung heißt, die sich für gesellschaftliche Solidarität einsetzt – müssen gelegentlich an ihre eigenen Erfolge erinnert werden. Vor 50 Jahren haben die weißen Sheriffs Aktivisten verprügelt und weiße Terrorgruppen Bürgerrechtler gelyncht, weil sie das Wahlrecht durchsetzen wollten. Unterzeichnet wurde das Gesetz am 6. August 1965 von Lyndon B. Johnson, einem demokratischen Präsidenten, der wenig später den Vietnamkrieg eskalierte. Ein Schauspiel der Widersprüche.
Gerade wurde Obama im Hörfunksender NPR gefragt, ob er in seiner ersten Amtsperiode aus „politischen Erwägungen“ kaum über das Problemfeld Rasse gesprochen habe. Nein, wehrte Obama ab, doch fühle er in seiner zweiten Amtszeit „eine große Dringlichkeit, so viel wie möglich zustande zu bringen“. Er habe auch gelernt, „viele verschiedene Anliegen zu jonglieren“. Es könne freilich durchaus sein, dass seine „Herzensangelegenheiten“ nun stärker zum Vorschein kämen. Amazing Grace sang Obama im Juni bei seiner Trauerrede in South Carolina für neun aus rassistischen Motiven ermordete schwarze Kirchgänger. Ein Gospel-Lied über unfassbare Gnade, die jedem Sünder Erlösung verspricht. Barack Obama hat dieses religiöse Glaubens- zum politischen Hoffnungsbekenntnis erweitert. Die Nation und die Menschen könnten sich zum Besseren ändern, trotz aller Lasten der Vergangenheit. Es war eine der wichtigsten Ansprachen seiner Amtszeit.
Es geht freilich nicht nur um die persönlichen Befindlichkeiten des Präsidenten. Beim Umgang mit gesellschaftlichen Brandherden hat Obama Verstärkung von Black Lives Matter. Die Aktivisten haben Rassismus, Repression und weiße Privilegien zu Themen gemacht, so wie Occupy Wall Street soziale Ungleichheit und Raffgier. Konkrete Resultate brauchen jedoch ihre Zeit. Das historische Wahlrechtsgesetz wurde über Jahrzehnte hinweg erkämpft.
Bei der Außenpolitik zeigen Obama und offenbar ein beträchtlicher Teil von Politik und Medien neuen Realismus. Als er mit Journalisten über das Iran-Abkommen sprach, gab der Präsident zu verstehen, dass es ihm darum gehe, „Amerika von seiner Kriegsschiene herunterzuholen“, zitierte ihn das Magazin New Yorker. „Ich weiß heute, wie eine militärische Aktion zu unvorhergesehenen Konsequenzen führen kann“, so Obama. Er sei „demütiger geworden. Es wäre dumm, sogar tragisch, würden wir diese Gelegenheit nicht nutzen“.
Donald Trump und Co. verstehen sich aufs PR-Geschäft. Laut reden, Ressentiments ausnutzen, viel Geld ausgeben, vermeintlich volksnah den Freund des sprichwörtlichen kleinen Mannes spielen – im Fall der Republikaner des weißen Mannes. Die Zukunft dagegen liegt bei Barack Obama, besonders beim guten Obama und der Koalition, die ihn 2008 und 2012 ins Weiße Haus gebracht hat: ethnische Minderheiten, junge Menschen, Frauen, progressive Weiße. Wenn die Demokraten ihre Leuten wirklich mobilisieren, haben die republikanischen Anwärter keine Chancen. Man muss sich den republikanischen Vorwahlkampf gar nicht antun.
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