Rampage as Ritual

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Amoklauf als Ritual

von Sacha Batthyany

03.10.2015

Kerzen vor der Schule, gelbe Absperrbänder und ein ohmächtiger Präsident: Die USA reagieren auf Massaker mit den immer gleichen Gesten. Und immer wieder werden die gleichen nebensächlichen Fragen diskutiert.

Die Fakten sind – so hart das in dieser Nüchternheit klingt – schnell erzählt, wenn nicht gar unwichtig: Ein junger Mann, 26-jährig, hat im Umpqua Community College in der US-amerikanischen Kleinstadt Rosenburg, Oregon, zehn Menschen getötet und mehrere verletzt. Er trug gemäß Polizei zwei Pistolen und ein Sturmgewehr bei sich und soll seine späteren Opfer, bevor er auf sie schoss, gefragt haben, ob sie Christen seien. “Bald werdet ihr Gott sehen”, soll er noch gesagt haben.

Offenbar haben Amokschützen das Gefühl, ihren Opfern noch was mit auf den Weg geben zu müssen, bevor sie ihre narzisstische Tat verüben. Als der bleiche Dylan Roof vor wenigen Wochen in Charleston eine Gruppe schwarzer Kirchengänger massakrierte, soll er ihnen gesagt haben: “Ihr vergewaltigt unsere Frauen und übernehmt das Land.”

Amokläufe sind in den USA zu einem Ritual geworden, mit einer sich wiederholenden Dramaturgie, mit ähnlichen Akteuren, Zeremonien und Bildern: Die Teekerzen vor den Schulen, die Fahne auf Halbmast, gelbe Absperrbänder vor den Kastenwagen der Fernsehstationen.

Für die Schützen, übrigens alles Männer, gibt es eine Schublade voller Attribute aus Psychologieratgebern: verwirrt, schüchtern und Internet-süchtig. Es gibt die “grief counselors”, die Trauerbegleiter, die in die Kleinstädte ausschwärmen, gestern nach Rosenburg, zuvor nach Newtown oder Blacksburg, um sich um die Familien zu kümmern, die trotz Sprachlosigkeit von gepuderten Fernsehmoderatorinnen vor die Kameras gezerrt werden.

Journalisten zeigen sich zu Beginn jedes Schulmassakers erst zurückhaltend. Sobald sich die erste Aufmerksamkeitsspanne aber legt, laden sie nach, graben in den Höhlen der sozialen Medien nach Likes und Tweets, suchen nach Motiven und debattieren jedes Mal darüber, ob man die Schützen beim Namen nennen soll oder nicht.

Man würde sie dann glorifizieren, heißt es. Man würde sie zu Menschen machen, lautet das unsinnige Argument. Denn: Was sonst sollen sie sein? Auch am Freitag weigerte sich Sheriff John Hanlin, den Namen preiszugeben, und er ermutigte alle, es ihm gleich zu tun. Als ob das irgendeine Rolle spielte. Und das Motiv des Schützen – kommt es darauf an?

Obama wird immer grauer

Gerade die Figur dieses Sheriffs zeigt den ganzen Irrsinn. Dem Weißen Haus soll er 2013 einen Brief geschrieben haben, in dem er Obama kritisierte, weil dieser die Waffengesetze verschärfen wollte. Henlin gehört zu jener Mehrheit Amerikaner, die davon überzeugt sind, dass es noch mehr Waffen braucht, um die Sicherheit zu erhöhen. Auf der Webseite der National Rifle Association (NRA) wimmelt es von Studien, die die sinkende Gewaltstatistik der letzten Jahre damit erklären, dass immer mehr Menschen Waffen bei sich trügen.

Obama – auch das gehört zum Ritual – stellt sich nach jedem Amoklauf vor die Mikrofone, hält die gleiche, resignierte Rede und wird dabei immer grauer. Er betet für die Angehörigen und weist darauf hin, dass er die Waffengesetze ändern wollte, aber am Kongress scheiterte.

Womit er nichts anderes sagen will, als das: Es wäre für ein solch zivilisiertes Land wie Amerika kein Problem, Schulmassaker zu verhindern. Doch die Mehrheit der amerikanischen Politiker will das nicht, der Bevölkerung ist es egal – sonst gäbe es mehr Protest -, und die Karawane der Fernsehstationen zieht weiter, bis sich in einem Monat in irgendeiner gottverdammten Kleinstadt dieses Land alle wieder treffen.

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