An Association that Stops at Nothing

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Nirgendwo sonst gibt es mehr Schusswaffen pro Einwohner als in den USA. Die Macht der Waffenlobby ist so groß wie der Zynismus, mit dem sie auf Amokläufe reagiert.

Von Heike Buchter

Wer verstehen will, warum in den USA trotz der steigenden Zahl der Massaker in Schulen, Kinos und Kirchen keine schärferen Waffengesetze erlassen werden, der muss die Macht der National Rifle Association begreifen. Der Verein der Waffenbesitzer ist seit Jahrzehnten mit Abstand die einflussreichste Lobbyistengruppe in Washington. Eine Macht, die selbst Präsidenten nicht leichtfertig herausfordern. So beließ es Präsident Obama in seiner Rede nach dem letzten Anschlag auf ein Community College in Oregon vergangenen Donnertag, bei dem zehn Menschen erschossen wurden, bei einem indirekten Aufruf an Waffenbesitzer. Sie sollten sich überlegen, sagte Obama, ob “die Organisation, die sie zu vertreten vorgibt, tatsächlich ihre Meinung vertrete”. Am Freitag will er das College in Oregon persönlich besuchen.

Gemeint hat Obama die NRA und deren absolute und kompromisslose Ablehnung jeglicher Kontrolle oder Regulierung von Waffenbesitz. Der Verein behauptet von sich, die Ansichten von 4,5 Millionen Mitgliedern zu vertreten. Seine Lobbyisten haben es geschafft, so gut wie jede Einschränkung oder auch nur die systematische zentrale Erfassung von Waffenbesitz zu verhindern und bestehende Gesetze abzuschaffen. Nicht zuletzt ist es der NRA zu verdanken, dass die USA mit Abstand den höchsten Anteil von Privatleuten hat, die Schusswaffen besitzen. Mehr als 300 Millionen Schusswaffen hat das Genfer Forschungsinstitut Small Arms Survey in den Vereinigten Staaten gezählt, bis zu 97 pro 100 Einwohnern.

Auf Platz zwei befindet sich der Jemen und auf Platz drei die Schweiz. Die Studie stammt aus dem Jahr 2007, seitdem dürfte sich in den USA jedoch wenig getan haben. Die USA ist gleichzeitig führend bei der Zahl der Massenattacken mit Schusswaffengebrauch, so eine aktuelle Untersuchung der University of Alabama. Zwischen 1966 und 2012 gab es in den USA 90 solcher Angriffe, weltweit zählten die Forscher 292. Aufgenommen wurden Fälle mit vier und mehr Opfern – Bandenkriminalität und Familientötungen blieben unberücksichtigt. 31.000 Menschen sterben in den USA jährlich durch Schusswaffen, das sind entspricht 85 Menschen pro Tag.

Warum die NRA bei US-Volksvertretern in dem Ruf steht, unbesiegbar zu sein, zeigen die Vorgänge nach der Attacke in Newtown im Bundesstaat Connecticut im Dezember 2012. Damals erschoss der 20-jährige Adam Lanza 26 Menschen in der örtlichen Grundschule, darunter 20 Kinder. Nach der Tat schien es, als ob die Stimmen, die schärfere Regulierung und Aufsicht fordern, endlich Gehör finden würden. Wer dachte, angesichts von 20 Kindersärgen würde die NRA ihre Haltung ändern, sah sich jedoch schnell eines Besseren belehrt. Knapp eine Woche nach dem Massaker trat Wayne LaPierre, seit 1991 die Stimme der NRA, vor die Presse. Er warf den Medien, Hollywood und Videospieleherstellern vor, für Taten, wie die von Adam Lanza, verantwortlich zu sein. Seine Rede gipfelte in der Aussage, weil Schulen waffenfreie Zonen seien, würden sie solche Überfälle geradezu einladen. “Das einzige, was einen Bösen mit einer Waffe stoppen kann, ist ein Guter mit einer Waffe”, erklärte LaPierre. Er bot an, Freiwillige der NRA in Schulen patrouillieren zu lassen – voll bewaffnet, versteht sich.

Es folgte ein Aufschrei der Empörung. Einige Kongressabgeordnete und Senatoren brachten Gesetzesentwürfe auf den Weg, die vorschreiben sollten, dass Waffenhändler alle ihre Käufer einem Background-Check unterziehen müssen, bevor sie ihnen eine Waffe verkauften. In regulären Geschäften wird bereits geprüft, das Gesetz hätte sich lediglich auf Internetanbieter und Waffenmessen ausgedehnt. Der Verkauf an sich wäre dadurch nicht eingeschränkt worden. Eine solche Vorschrift hätte auch nicht verhindert, dass Lanza sich die Gewehre beschaffen konnte, mit denen er in Newtown um sich schoss. Sie gehörten seiner Mutter. Doch nicht einmal dieser vergleichsweise gemäßigte Vorstoß fand Gnade vor den Augen der NRA. Sie bekämpfte den Gesetzesvorschlag mit allen Mitteln und gewann. Bei der entscheidenden Abstimmung im Frühjahr 2013 kippten die Kongressabgeordneten um.

Sie mögen sich an US-Präsident Bill Clinton erinnert haben. Der musste den – auf zehn Jahre befristeten – Bann von Sturmgewehren dadurch büßen, dass seine Partei 1994 die Mehrheit im Kongress verlor. Der Bann ist 2004 ausgelaufen. Die Waffe, die die NRA zur Einschüchterung von Abgeordneten wählt, ist ein Ratingsystem. Danach benotet der Waffenverein Volksvertreter auf einer Skala, je nach dem wie vollkommen sie sich auf der NRA-Linie befinden. Wer gute Noten bekommt, darf mit einer Wahlempfehlung rechnen, die Millionen Stimmen bringen kann. Und mit großzügigen Wahlspenden. Wer die NRA herausfordert, muss im Wahlkampf mit heftigem Gegenwind rechnen.

NRA nähert sich immer stärker an die Waffenindustrie an

Dabei war die NRA nicht immer die aggressive politische Lobby, die heute Washington in Angst und Schrecken versetzt. Über hundert Jahre lang war es ein Verein, dem sich vor allem Sportschützen und Jäger anschlossen. Er war ursprünglich von Veteranen des Bürgerkriegs gegründet worden, die dafür sorgen wollten, dass Städter im industrialisierten Norden ebenfalls gute Schützen würden wie die Bevölkerung im ländlichen Süden. Die NRA half in ihrer Frühzeit sogar, Waffengesetze zu entwickeln. Doch die Unruhen während der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre und schließlich die Ermordung von John F. Kennedy und Martin Luther King führte zu einer Verschärfung der Regulierung.

Die neuen Regeln führten zu einer Radikalisierung der NRA. Die Organisation begann den 2. Verfassungszusatz, das Recht jedes Amerikaners Waffen zu tragen, als individuelles Grundrecht auszulegen und absolut einzufordern. Die Grabenkämpfe innerhalb der NRA spiegelten dabei die wachsenden Spannungen zwischen den ländlich geprägten Bundesstaaten, deren Bevölkerung sich durch die neuen Vorschriften gegängelt fühlte, und den urbanen Eliten, die für eine striktere Kontrolle eintraten. Zu den ersten Siegen der neuen, radikalisierten NRA gehörte 1986 die Wiederabschaffung der strikteren Regulierung.

In den vergangenen Jahren hat sich die NRA immer stärker an die Waffenindustrie angenähert. Unter LaPierre half die NRA der Branche eine gefährliche Bedrohung abzuwenden. Kommunen, geplagt durch steigende Waffengewalt, begannen, die Hersteller wegen Produkthaftung auf Schadensersatz zu verklagen. 2005 errang die NRA einen ihrer wichtigsten politischen Siege. Seither verhindert ein Gesetz, dass Waffenproduzenten diesbezüglich in Regress genommen werden können. Im Gegenzug zeigt sich die Branche, die inzwischen rund 15 Milliarden Dollar jährlich umsetzt, großzügig in ihrer Unterstützung der NRA. Wie viel genau die Organisation bekommt, ist schwer abzuschätzen, denn das Geld läuft über viele Kanäle – es fließen direkte Spenden oder die Hersteller schalten Anzeigen in NRA-Publikationen.

Bei manchen Produkten führen Hersteller auch einen Dollar des Verkaufspreises an die NRA ab. Zwischen 2005 und 2013 erhielt die NRA zwischen 19 und 60 Millionen Dollar von Waffen- und Munitionsproduzenten, errechnete das Violence Policy Center, ein Pro-Regulierungsinstitut. Eines der Unternehmen, das eine Million oder mehr in die Kassen der Lobbyisten gezahlt habe, so die Rechercheure des Violence Policy Center, sei dabei die Remington Outdoor Group (vormals Freedom Group) gewesen, dem Hersteller der Bushmaster Rifle. Das war eines der Gewehre, das Adam Lanza bei seiner Attacke auf die Grundschule in Newtown benutzte. Weitere Top-Spender seien Smith&Wesson, Beretta USA sowie Sturm, Ruger & Co, berichtete das Institut in einer Untersuchung aus dem Jahre 2013.

Die NRA hat mit ihrer Gegenattacke auf einen möglichen neuen Versuch, striktere Waffenkontrolle einzuführen, bereits wenige Stunden nach der Attacke auf das College in Oregon begonnen. “Mehr Menschen werden mit bloßen Händen umgebracht als mit einem Gewehr”, heißt es etwa in einem Tweet, bei der der Waffenclub eine FBI Statistik irreführend auslegt. Dieses Mal hat die NRA mit der Gegenoffensive nicht einmal gewartet, bis die Opfer beerdigt waren.

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