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Operation Öffentlichkeit

Von MICHAEL SCHULZE VON GLASSER

Porträt Brendon Bryant hat enthüllt, dass Deutschland für den tödlichen Drohnenkrieg der USA eine wichtige Basis ist

Mit 21 Jahren kam Brendan Bryant als Drohnen-Pilot zur Armee. Als er ging, wurde er für 1.626 tödliche Abschüsse belobigt. Heute kämpft er mit Worten gegen die Einsätze

In einem Wüstengebiet im US-Bundesstaat Nevada sitzt Brandon Bryant in einem kleinen Container. Computer surren, der Raum wird nur von dem Licht der Monitore erhellt. Die Bilder darauf zeigen eine karge, braune Landschaft. Einige Personen, die an einem Lehmhaus stehen, sind zu sehen. Bryant schaltet auf Infrarotsicht. Nun sind die Menschen nur noch weiße Silhouetten. Mit seinem Joystick richtet er einen Laser auf die ihm unbekannten Personen. Ein Mann hinter Bryant gibt einen Countdown „Drei– Zwei–Eins– Rakete starten“. Der junge Soldat hält weiter auf sein Ziel. Nach wenigen Sekunden blitzt es im Monitor hell auf – eine Explosion. Die Menschen, die gerade noch zu sehen waren, sind verschwunden. Airman First Class Brandon Bryant hat in seinen fünf Jahren als Sensor-Operator einer „MQ-1B Predator“-Drohne Hunderte solcher Einsätze geflogen. Als er die US-Air Force 2011 verließ, bekam er ein Zertifikat, auf dem seine Erfolge aufgelistet waren: 6.000 Flugstunden – und 1.626 im Kampf getötete Feinde.

Eigentlich wollte die Air Force den Drohnen-Operator weiter behalten. Sie versprach ihm 109.000 US-Dollar allein als Bonus-Zahlung. Doch Bryant wollte nicht mehr. Er konnte nicht mehr. In den Einsätzen hatte er Schreckliches gesehen: Zerfetzte Körper von Menschen, die er selbst nicht eindeutig als Feinde identifizieren konnte; Kinder, die kurz vor dem Einschlag einer schon abgefeuerten Rakete aus dem Haus traten und in einem Feuerball verschwanden. Bryant war bei seinem ersten Einsatz gerade mal 21 Jahre alt, heute leidet er am posttraumatischen Belastungssyndrom.

Wo sich andere Drohnen-Piloten nach Dienstende schweigend zurückziehen, hat Bryant seine Stimme erhoben. Seit 2012 kritisiert er den US-Drohnenkrieg öffentlich. In zahlreichen Interviews machte er bekannt, dass bei dieser Kriegsführung der Tod von Zivilisten immer wieder bewusst in Kauf genommen werde. Die psychische Belastung der Drohnen-Mannschaften ist enorm: So musste Bryant schon an seinem ersten Arbeitstag auf seinem Monitor hilflos mit ansehen, wie ein von ihm aus der Luft begleiteter US-Konvoi im Irak auf eine Sprengfalle fuhr – wegen einer Störung der Kommunikation konnte er die Einheit nicht mehr warnen. Zwei US-Soldaten starben. Der Drohnen-Operator merkte, wie ihn das Töten von Menschen immer mehr abstumpfen ließ.

Für einige ist Bryant wegen seiner öffentlichen Kritik am geheimen US-Drohnenkrieg ein Verräter. Für andere ist er ein Held. Am Freitag wird er in Karlsruhe mit dem „Whistleblowerpreis 2015“ der deutschen Sektion der „Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen“ und der „Vereinigung deutscher Wissenschaftler“ (VDW) ausgezeichnet. Die Friedensorganisationen wollen damit auf die von Bryant enthüllte Rolle Deutschlands im US-Drohnenkrieg aufmerksam machen.

Die US-Air-Base Ramstein in Rheinland-Pfalz spielt als Relaisstation und Air and Space Operations Center eine zentrale Rolle: 650 US-Soldaten sind dort für die Bildauswertung und Zielfindung tätig. Bryant machte bekannt, wie von deutschen Geheimdiensten an US-Stellen weitergegebene Mobiltelefon-Daten zur Ortung von Drohnen-Angriffszielen verwendet werden. Die dadurch erfolgten gezielten Tötungen sind laut Friedensaktivisten völkerrechtswidrig – und die Bundesregierung wisse darüber Bescheid.

Auch wenn die US-Administration Brandon Bryants Informationen bislang in keinem einzigen Fall als unzutreffend zurückgewiesen hat, waren sie für den ehemaligen Drohnen-Operator folgenschwer: Seit seinen ersten öffentlichen Äußerungen ist er zur Zielscheibe für Drohnen- und Kriegs-Befürworter geworden. In sozialen Netzwerken wandten sich Leute gegen ihn, sogar Todesdrohungen hat er erhalten. Seine Lebensumstände sind schlecht, er lebt heute unter einfachsten Bedingungen in der Nähe seiner Heimatstadt Missoula im US-Staat Montana. Dem Ausstieg aus der Armee und den Enthüllungen folgte soziale Ausgrenzung. Immerhin wurde er bislang strafrechtlich vom US-Militär nicht verfolgt.

Dabei wollte Bryant eigentlich nur helfen, Leben zu retten und das Land zu schützen. Teil seines Jobs war es auch, US-Soldaten vor Hinterhalten und dem sicheren Tod im Einsatzgebiet zu schützen. Bryant war eine Zeit lang sogar selbst im Irak stationiert, um von dort Drohnen zu steuern und das Special Operations Command, in dem alle US-Militär-Spezialeinheiten vereint sind, bei der Suche nach Top-Terroristen zu unterstützen.

Das Gefühl, jemandem zu helfen oder etwas Notwendiges zu tun, stellte sich dennoch nicht ein. Bryant plagten stattdessen Gewissensbisse. Er hatte Menschen getötet. Seine Arbeit war unmenschlich. Mit anderen Veteranen betreibt er daher heute das Projekt Red Hand, das sich der Aufklärung und Forderung nach mehr Transparenz im US-Krieg verschrieben hat. Seite an Seite kämpft er nun mit Glenn Greenwald, dem britischen Vertrauten des Whistleblowers Edward Snowden. Chelsea Manning, die über die Enthüllungsplattform Wikileaks amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan enthüllte, ist eines seiner Vorbilder.

Seine eigenen Enthüllungen sind in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt. Zumindest in Deutschland dürfte sich das mit dem „Whistleblowerpreis“ ändern, ebenso mit seinen Aussagen vor dem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss diese Woche. Erste Proteste wegen des Drohnenkriegs vor der US-Air Base Ramstein gab es erst vor wenigen Wochen. Doch selbst wenn die USA ihren Drohnenkrieg nach öffentlichem Druck beenden würden, wird Bryant weiter mit der Last der von ihm getöteten Menschen leben müssen.

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