Auch in Amerika ächzen die alten Parteien
Die einst so glorreichen, modernen, die Welt erneuernden Republikaner sind in die Sphäre des Unseriösen abgeglitten. Der Siegeszug der Marktschreier wie Donald Trump ist kaum zu stoppen.
Über die Republikanische Partei der USA zu reden, heißt demütige Verbeugungen gegenüber der Geschichte zu machen. Die “Grand Old Party” war die Partei der Emancipation Proclamation zur Befreiung der Slaven 1863.
Die Partei der Gleichberechtigung, die 1872 mit dem 19. Verfassungszusatz das Wahlrecht für Frauen einführte. Die Partei des Umweltschutzes, der 1872 begann, als der republikanisch-kontrollierte Kongress Yellowstone zum ersten Nationalpark erklärte.
Die Partei des Visionären, als Präsident Theodore Roosevelt 1904 die Idee einer Schiffsverbindung zwischen Atlantik und Pazifik in die Hand nahm und das Panama-Kanal-Projekt durchsetzte. Die Republikaner waren 1972 unter Präsident Nixon die Partei der Öffnung Chinas für die Welt.
Sie waren, ebenfalls unter Nixon, zugleich die Partei des Salt-I-Vertrages und damit der Entspannung gegenüber der Sowjetunion. Unter Ronald Reagan und seinem Tear-down-this-wall-Appell an Gorbatschow war sie die Partei des Mauerfalls. Sie waren die Partei der deutschen Einheit, die George H.W. Bush gegen Paris und London durchsetzte.
Absurde Parolen, chaotische Grabenkämpfe
Reden wir über die Gegenwart, und mit der Demut ist sofort Schluss: Die GOP ist die Partei, unter deren Mitgliedern seit Monaten ein cleverer Immobilienunternehmer mit lauter Stimme und absurden Parolen weit vorne liegt als Präsidentschaftskandidat für 2016.
Die Partei, die durch chaotische Grabenkämpfe zwischen Konservativen und Moderaten den Sprecher des von ihr kontrollierten Repräsentantenhauses vom Hof jagte. Ein überzeugender Nachfolger für das dritthöchste Amt der USA ist schwer zu finden, weil alle Kandidaten wissen, dass ihnen das gleiche Schicksal wie John Boehner droht.
Die einst so große GOP, deren Präsidenten sich mit demokratischen Mehrheiten im Kongress und deren Kongressmehrheiten sich mit demokratischen Präsidenten verständigen konnten, ist nicht mehr prinzipienfest, sondern überzeugungsbesoffen. Ihr gilt der Kompromiss längst als Schimpfwort.
Darum wurde ihr das “Nein” zur Ideologie: Nein zu Obamacare, obwohl die GOP eine identische Gesundheitsreform in Massachusetts umsetzte. Nein zur Einwanderungsreform, obwohl das alte System zerbrochen ist. Nein zum Iran-Deal, Nein zu Background-Checks beim Waffenkauf, Nein zur Wall-Street-Reform.
Was ist konservativ, was moderat?
Die gängige Story über den Niedergang der Republikaner lautet, dass die Konservativen in der Partei das Ruder übernahmen und die Moderaten verdrängten. Doch das ist zu einfach. Konservative Strömungen gab es in der Partei immer wieder, aber sie schwemmten nicht andere Flügel weg. Die Partei erlebte ihre erste konservative Welle Anfang der 60er-Jahre, als Barry Goldwater zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde. Gegner der Bürgerrechtsbewegung bestimmten den neuen Ton, der einen irritierenden Kontrapunkt setzte gegen die ursprünglichen Ideale der Partei.
Die Unterstützung durch ein “Goldwater-Girl” namens Hillary Rodham konnte 1964 nicht verhindern, dass der konservative Senator krachend gegen Amtsinhaber Lyndon B. Johnson verlor. Das gab den Moderaten wieder Auftrieb. Richard Nixon, der später so tief fiel, war einer ihrer Erneuerer. Auf ihn wiederum folgte in den 80er-Jahren Ronald Reagan, der sich auf Goldwaters Erbe berief. Doch Reagan war ein Pragmatiker, der mit dem demokratischen Kongress zusammenarbeitete.
Haben aktuell wieder die Konservativen die Partei übernommen? 2010 bestimmte die Tea Party das Klima im Land, als die Republikaner bei den Midterm Elections den Demokraten das Repräsentantenhaus abjagten und im Senat massive Gewinne verzeichneten. Die Protestwahl katapultierte Dutzende Tea-Party-Kandidaten in den Kongress, die zuvor in parteiinternen Primaries altgediente Mandatsträger weggeputscht hatten.
Und während die Graswurzel-Bewegung heute kaum noch Schlagzeilen macht, sind jene Tea-Party-Abgeordneten Gefangene ihrer eigenen Scharfmacherei geworden. Würden sie im Kongress nach vernünftigen Kompromissen suchen, müssten sie in ihren Wahlkreisen Parteifreunde fürchten, die unter dem Versprechen absoluter Linientreue bei den nächsten Primaries gegen sie anträten.
Hauptsache nicht aus Washington
Doch die Konservativen sind gar nicht das Hauptproblem. Die einst so glorreichen, modernen, die Welt renovierenden Republikaner sind vielmehr in die Sphäre des Unseriösen abgeglitten.
Dem Marktschreier Donald Trump fliegen die Herzen zu. Er und – mit Abstand – Ben Carson sowie Carly Fiorina führen in der republikanischen Gunst, und als ihren vordringlichen Befähigungsnachweis geben alle drei an, dass sie nicht zum Washingtoner Politbetrieb gehören und noch nie in ein Amt gewählt wurden.
Die Absage an Präsidentschaftskandidaten mit politischer Erfahrung ist jedoch anarchisches Trotzverhalten. Natürlich gibt es, auch in den USA, genügend Gründe, um mit den aktuellen Politikern unzufrieden zu sein. Aber ruft man, bloß weil der letzte Klempner versagt hat, den Elektriker, wenn das Klo überläuft?
Übrigens geben derzeit auch die Demokraten alles andere als ein überzeugendes Bild ab. Der Präsident verheddert sich in einer mäandernden Außenpolitik ohne Ziel und Konsequenz.
Kann sich die Partei noch besinnen?
Barack Obamas mögliche Nachfolgerin Hillary Clinton ergibt sich dem Opportunismus, wenn sie als Kandidatin fürs Weiße Haus jenen transpazifischen Freihandelsvertrag ablehnt, für den sie als Außenministerin warb. Wie wird sie, sollte sie dann im Weißen Haus sitzen, den transatlantischen Freihandelsvertrag TTIP behandeln?
Und nicht nur der “demokratische Sozialist” Bernie Sanders verspricht ungeachtet der Rekordverschuldung der USA neue Wohltaten vom “big government”, wie bei der ersten TV-Debatte der demokratischen Kandidaten am Dienstag zu beobachten war. Doch unterm Strich diskutierten die Demokraten ernsthafter als die Republikaner.
Wenn die GOP sich nicht rasch besinnt und bis zu den Primaries Anfang 2016 wieder zu einer ernsthaften Partei mit ernsthaften Kandidaten wird, entscheidet sie sich gegen die Rückgewinnung ihrer einst so charakteristischen Politikfähigkeit. Für das Zweiparteiensystem der USA, das dann keines mehr wäre, für das Land und für die Welt insgesamt wäre dies in Zeiten wachsender nationaler und internationaler Herausforderungen eine bedenkliche Entwicklung.
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