Endless War?

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Ein Krieg ohne Ende?

US-Präsident Barack Obama verlängert den Einsatz in Afghanistan. Das wird den Demokraten vielleicht bei den Wahlen nützen. Den Krieg beenden wird es nicht.

VON THEO SOMMER

Die Amerikaner haben die Bündnispartner wieder einmal weidlich warten lassen – wie es seit vierzehn Jahren in Afghanistan ihre Gewohnheit ist, wo sie den Alliierten nach Gutdünken und weithin ohne Rücksprache ihre alle paar Jahre abrupt wechselnden Entscheidungen über Strategie, Streitkräfteumfang und Einsatzgebiet zu schlucken gaben. Präsident Obama lässt die 9.800 noch in Afghanistan stehenden Soldaten bis Ende 2016 im Lande, ein Jahr länger als ursprünglich vorgesehen. Auch wird das Einsatzgebiet nicht mehr, wie eigentlich geplant, auf Kabul beschränkt. 2017 soll die Truppe auf 5.500 Mann verringert werden; einen Termin für einen Komplettabzug nannte Barack Obama nicht.

Die Bundeswehr ist seit Ende 2001 am Hindukusch engagiert, zeitweise in einer Truppenstärke von 8.000 und gegenwärtig mit immer noch 890 Soldaten. Getreu dem Grundsatz “Gemeinsam rein und gemeinsam raus” wird nun auch das deutsche Kontingent länger bleiben als bisher angedacht. Der Abzug wird also frühestens 2017 möglich, doch vielleicht auch erst später – “irgendwann jenseits von 2016”, sagt der Sprecher des Auswärtigen Amts.

Die Vermutung liegt nah, dass Obamas Bleibe-Beschluss mehr mit dem amerikanischen Wahlkalender zu tun hat als mit der ehrlichen Überzeugung, die Verlängerung des Einsatzes könne im Afghanistan-Krieg – der mittlerweile schon dreimal länger dauert als der Zweite Weltkrieg! – den bisher ausgebliebenen Sieg bringen. Vor die bittere Wahl gestellt, sein Abzugsversprechen nicht halten zu können oder aber einem Afghanistan den Rücken zu kehren, das – wie der Irak nach der Rückführung der Amerikaner – noch vor der Präsidentenwahl im November nächsten Jahres in Mord und Totschlag und Anarchie versinkt, zog er ersteres vor. “After Iraq, you lost Afghanistan, too” – diesen Vorwurf wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Da war mehr Wahlkampfstrategie im Spiel als Militärstrategie.

Doch sollten wir uns nichts vormachen. In den letzten Wochen ist die Illusion geplatzt, dass die afghanischen Sicherheitskräfte mit dem Terror selber fertig werden können. Der Fall von Kundus, bis vor wenigen Jahren die größte Stadt im deutschen Verantwortungsbereich, in der die Bundeswehr bis vor zwei Jahren ein Feldlager hatte, hat Anfang Oktober gezeigt, dass die Afghanen dazu nicht in der Lage sind. Eine Garnison von 7.000 Mann hat Kundus gegen den Angriff der Taliban nicht verteidigen können, und nur mit Hilfe der US-Luftwaffe konnte die Stadt nach zwei Tagen zurückerobert werden (wobei den Amerikanern dann auch noch der verheerende Fehler unterlief, das Krankenhaus der Médecins Sans Frontières zu bombardieren).

Die Nato-Militärs verschließen die Augen vor der Realität. So erklärte General John Campbell, der amerikanische Befehlshaber in Afghanistan, dem Streitkräfteausschuss des Senats: “Die afghanischen Sicherheitskräfte haben Mut und Ausdauer bewiesen. Sie halten durch. Die afghanische Regierung hat die Kontrolle in Kabul, auf der Nationalstraße 1, in den Provinzhauptstädten und in fast allen Distriktzentren.” Im selben Sinne äußerte sich der Bundeswehrgeneral Andreas Hannemann, Kommandeur der internationalen Truppen im Norden: “Die Afghanen sind in der Lage, ihr Land selbst zu verteidigen.”

Ganz anders liest es sich freilich in den Berichten der United Nations Assistance Mission in Afghanistan. Danach wird der Verkehr auf der Nationalstraße 1, einer Ringautobahn, die Afghanistans große Städte miteinander verbindet, immer wieder von den Taliban blockiert. In 186 der 376 Distrikte hält die Regierung nur das belagerte Ortsamt. In 13 der 34 Provinzen ist nach Aussage des Staatspräsidenten in den letzten sechs Monaten gekämpft worden. In 27 Provinzen gilt eine erhebliche Anzahl der Distrikte als “hoch” oder “extrem” gefährdet. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres sind 4.700 afghanische Soldaten und Polizisten gefallen, 7.800 verwundet worden. Die Desertionsrate bleibt hoch. Überall verstärkt sich die Gefechtstätigkeit, setzen sich die Taliban fest, fliehen die verunsicherten Menschen. Aus vier Provinzen haben sich die Vereinten Nationen wegen der ständigen Attacken zurückgezogen.

Die Diskrepanz der Daten und der Lagebeurteilungen gibt einem sehr zu denken. Nimmt man alles zusammen, bleibt ein niederschmetternder Eindruck. In Wahrheit hat sich die Sicherheitslage ständig verschlechtert, seit Präsident Aschraf Ghani vor einem Jahr die Nachfolge des erratischen Hamid Karzai antrat. Ghani ist es nicht einmal gelungen, die Zustimmung des Parlaments zur Ernennung eines Verteidigungsministers zu erlangen; auch sein dritter Vorschlag verfiel der Ablehnung. Die militärische Führung glänzte in Kundus durch Abwesenheit und Inkompetenz. Dabei verlangt das Erstarken der Taliban und das neuerdings zu beobachtende Auftauchen terroristischer IS-Gruppen entschlossene Handlungsfähigkeit.

Die von Rivalitäten und Entscheidungsträgheit gelähmte Regierung ist nicht das einzige Problem Afghanistans. Das Land ist korrupt bis auf die Knochen. Der Anbau von Schlafmohn, die Verarbeitung zu Opium und dessen weltweite Vermarktung sind der größte Produktionszweig. Tiefe ethnische Gräben, Stammesfehden und Clan-Vendetten trennen Paschtunen, Tadschiken, Usbeken und Hazaras. Einer Volkswirtschaft, die zum größten Teil von der massenhaften Präsenz der ausländischen Truppen, UN-Dienststellen, Nichtregierungsorganisationen und Aufbauhelfer abhängt, droht eine Implosion. Dem Staat aber, der von ausländischen Zahlungen lebt (die er zum Teil ins Ausland verschiebt) – einem solchen Staat droht die Pleite, sobald Amerika und die übrigen Nato-Staaten ihre Unterstützung verringern oder ganz einstellen.

Gleichwohl bleibt zu fragen, wie lange der endlose Krieg in Afghanistan eigentlich noch fortgesetzt werden soll. Erst abziehen, wenn es die Sicherheitslage wirklich erlaubt, sagt die Bundesverteidigungsministerin. Doch so weit wird es nie kommen: Ich für meinen Teil habe jedenfalls noch keine einleuchtende Erklärung gehört, weshalb eine Verlängerung des Unternehmens “Resolute Support” um zwölf oder meinetwegen auch 24 Monate das zuwege bringen sollte, was dem Westen in vierzehn Jahren massiven Engagements nicht gelungen ist: der Aufbau eines politisch funktionierenden, militärisch schlagkräftigen und wirtschaftlich florierenden afghanischen Staates.

Einmal wird doch Schluss sein müssen.

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