Born from Foam

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Warum trinken plötzlich alle Craft Beer und was ist das überhaupt? Über die Eindeutschung eines problematischen Begriffs – und warum Blindverkostungen nichts bringen.

Von Nina-Anika Klotz

Das ging schnell. Noch vor zwei Jahren wusste kaum jemand etwas mit Craft Beer anzufangen, heute ist der Begriff allgegenwärtig. Was früher “Premium” war, ist heute “Craft”. “Jede zweite Brauerei glaubt, sie müsse nur ein wenig mehr Hopfen in ihr Helles bröseln und schon könne sie es teuer verkaufen”, klagt Oliver Wesseloh, Besitzer einer Mikrobrauerei aus Hamburg. Eine solche Mikrobrauerei produziert maximal 200.000 Hektoliter Bier im Jahr und ist durch einen niedrigeren Steuersatz begünstigt. Ein Argument, um auf das vermeintliche Hipstergetränk umzusteigen? Ist Craft Beer reine Marketingstrategie? Nein. Und Ja. Ohne Frage wurde der Begriff in seiner kurzen Lebenszeit in Deutschland überstrapaziert. Noch dazu ist er ungenau.

Anders als in Amerika, wo in den sechziger Jahren untergäriges Bier mit geringem Alkoholgehalt den Markt dominierte, sogenanntes Lager. Als Reaktion stellten Pubs ihr eigenes Bier her: Das Craft Beer war sozusagen aus Schaum geboren. Zu Deutsch bedeutet Craft “selbst gemacht” oder “Handwerk”. Für ihre etwa 4.000 Craft Breweries hat die US-amerikanische Brewers Association Folgendes festgelegt: “An American craft brewer is small, independent and traditional.” “Small” bedeutet maximal sechs Millionen Barrel Jahresausstoß, das entspricht 9,5 Millionen Hektoliter. Höchstens 25 Prozent einer Brauerei dürfen einem Konzern gehören, damit er “independent” ist. Und um der Vorgabe “traditional” zu genügen, muss ein Bier größtenteils aus den klassischen Brauzutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe bestehen. Gemäß dieser Definition ist heute etwas mehr als jedes zehnte in den USA gezapfte Bier ein Craft Beer. In Dollar gemessen sind das 14 Prozent des Gesamtbierumsatzes – eine Nische.

Konkrete Zahlen für den deutschen Markt gibt es keine, sicher ist nur, dass Craft Beer hier noch viel nischiger ist als in seinem Ursprungsland. Als “small” gelten die Produktionsmengen fast aller 1.349 deutschen Brauereien, selbst solche Größen wie Paulaner mit 3,5 Millionen Hektoliter fallen darunter. “Traditionell” brauen aufgrund des deutschen Reinheitsgebots ohnehin alle. “Die Ausgangslage ist eine völlig andere als damals in den USA. Angesichts unserer reichen und langen Brautradition gelten für Deutschland andere Maßstäbe”, sagt Marc Rauschmann, Inhaber des auf Craft Beer spezialisierten Unternehmens Braufaktum.

Ist Craft Beer wirklich so besonders?

Ist er nicht geschützt und noch dazu hip, kann der Begriff von jedem ge- oder gar missbraucht werden. Craft Washing nennt das der Foodaktivist Hendrik Haase, in Anlehnung an Green Washing. Das ist nur bedingt neu, auch in anderen Food-Bereichen versucht man, industrielle Produkte möglichst handgemacht aussehen zu lassen. Über solche Trittbrettfahrer ärgert sich auch Oliver Wesseloh von der Hamburger Brauerei Kehrwieder: “Dazu zähle ich Werber, Designer, Banker, die sich bei irgendeiner Brauerei ein ‘craftiges’ Bier brauen lassen, ein super-stylisches Hipster-Label auf die Flasche kleben und versuchen, ihr mittelmäßiges Produkt in den Vertrieb zu bringen.”

Kaum besser seien die mittelständischen Brauereien, die behaupteten, schon immer Craft Beer zu produzieren, dabei “brauen sie ohne jede Inspiration und haben in den siebziger und achtziger Jahren, als die Verödung der Deutschen Bierlandschaft ihren Lauf nahm, die meisten Spezialbiere aus dem Sortiment genommen und nur noch Pils, Helles, Weizen und Bock gebraut – weil die besonderen Sorten angeblich keiner mehr wollte”.

Ist “craft” also gleichbedeutend mit “ungewöhnlich”, mit besonders geschmacks- und alkoholstarken, extrahopfigen Bieren wie dem India Pale Ale? Ausgerechnet in der amerikanischen Szene ist das klassische Pils sehr angesagt. Trotzdem schmeckt es anders als sein Pendant vom Großkonzern, so wie ein Brot vom Bäcker anders schmeckt als eines aus dem Aufbackautomaten. Das mag nicht jeder, der an den Standardgeschmack der Bierbranche gewöhnt ist. Kann man das Craft Pils in einer Pils-Blindverkostung überhaupt ausmachen? Marc Rauschmann winkt ab. Statt darum, das richtige vom falschen zu unterscheiden, gehe es um Vielfalt. “Und Vielfalt kann man natürlich erkennen und schmecken.”

Angesichts der unklaren Definition und dem stellenweisen Missbrauch, stellt sich die Frage, ob sich der Begriff “craft” nicht ersetzen lässt. “Leider nein”, meint Oliver Wesseloh. In den USA habe er sich längst etabliert und auch in Deutschland durchgesetzt. Das eine Craft Beer gibt es nicht. Aber es gibt Biere, die anders sind und anders schmecken. Sie passen gut zu einer Foodkultur, der es um Vielfalt, Natürlichkeit, Transparenz und die Nähe von Produzent und Verbraucher geht. Auch Marc Rauschmann glaubt, dass einheitliche Standards für “German Craft” unerlässlich seien. Er schlägt vor, Craft Beer über vier Eckpunkte zu definieren: inhabergeführt, transparent, vielfältige Sorten und natürliche Rohstoffe. Nicht zuletzt gehe es darum, “dass der Kunde sieht, wer die Köpfe hinter diesem Produkt sind”. Das wiederum passt gut zum Wunsch des Verbrauchers nach Individualismus. Es scheint so, als sei das Craft Beer gekommen, um zu bleiben.

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