Klub der Skorpione
Von KONRAD EGE
28.10.2015
USA Die Republikaner zerlegen sich gerade selbst. Die Allianz des Establishments mit den rechten Populisten wird zum gefährlichen Bumerang
Mängel treten auf im amerikanischen Politiksystem, das bislang wundersam funktioniert hat, um Opposition und Widerstand von links und rechts zu integrieren und zugleich die Eliten zu schützen. Die Republikaner haben Schwierigkeiten mit ihrem rechten Rand. Das Wort „Krise“ genügt nicht für die derzeitigen Zustände in der Partei. Vermeintliche Freunde gehen aufeinander los wie genervte Skorpione in einem zu kleinen Terrarium. Orte des Geschehens sind das Repräsentantenhaus, wo die Republikaner nach einem rechten Aufstand eine neue Führung suchen, und natürlich die Vorwahlarenen mit dem übergroßen Donald Trump. Demokraten verspüren Schadenfreude. Der republikanische Streit ist jedoch Ausdruck eines tiefsitzenden Unmuts über die Politik, und der gilt auch den Demokraten.
John Boehner wacht auf
Aus deren Sicht haben die Republikaner Barack Obama mit ihrem reflexartigen Nein zu ziemlich allem das Leben schwer gemacht, von der Gesundheitsreform über Konjunkturhilfen bis zum Iran-Deal. Doch rechte Republikaner, gewöhnlich Tea Party genannt, leben in einer anderen Realität und sagen, der Widerstand gegen Obama gehe nicht weit genug. Republikaner stellten doch die Mehrheit im Repräsentantenhaus (247 zu 188 Sitze) und im Senat, Obama könne aber weiterhin Politik machen. Obamacare blüht und gedeiht. Die Ultras fühlen sich betrogen vom republikanischen Establishment, bestehend aus Wirtschaft, Lobbyisten und politischer Elite.
Tiefe Ressentiments werden sichtbar gegen eine Wirklichkeit, in der US-Wähler gleich zweimal für Obama gestimmt haben, obwohl der gar kein wirklicher Amerikaner sei und vermutlich ein Muslim, wie laut einer CNN-Umfrage im September 43 Prozent der Republikaner glauben. Vereinfacht: Im Gegensatz zu rechten Ideologen, die im Namen der Freiheit eine „kleine Regierung“ fordern, ist das Establishment interessiert an einer funktionierenden Regierung. Zudem haben diese Pragmatiker wenig Lust auf Sozialkonservatives oder den Endlosstreit um gleichgeschlechtliche Ehe und Abtreibung.
Im Repräsentantenhaus kocht die Empörung über. Speaker John Boehner, aus konservativer Sicht Inbegriff kompromissbereiter Politik, nahm Ende September seinen Hut. Der Speaker, der von allen Abgeordneten gewählt wird, ist nicht irgendwer: Er entscheidet, was zur Abstimmung kommt. Protokollarisch gesehen ist er die Nummer drei im Staat nach dem Präsidenten und Vizepräsidenten. Auf dem Papier war Boehner der mächtigste Republikaner in Washington, der vermeintliche Chef der Opposition. Eben nur auf dem Papier.
Er sei aufgewacht, habe wie immer seine Gebete gesprochen, und sich entschieden, „das ist der Tag“, erläuterte Boehner seinen Entschluss bei einer Rücktrittspressekonferenz. Bei einem zeitgleichen Meeting des rechtschristlichen Values Voter Summit sprangen Teilnehmer Medienberichten zufolge begeistert von den Stühlen, als Präsidentschaftskandidat Marco Rubio die frohe Botschaft verkündete. Zeit für einen Neuanfang, so Rubio.
Boehner musste gar nicht im Detail begründen, warum er ausstieg. Der Mann hatte nach viereinhalb Jahren an der Spitze die Schnauze voll von der frustrierenden Gratwanderung zwischen republikanischem Establishment und rechtem Rand. Boehner ist einer, der nach Dienstschluss gern ein Glas Rotwein trinkt, wie er selber sagt, und den Tag Tag sein lässt. Barack Obama lobte: Boehner sei ein Patriot, der einsehe, dass man in der Politik „mit Leuten zusammenarbeiten muss, mit denen man nicht einer Meinung ist“.
Eine rechte Minderheit unter den 247 republikanischen Abgeordneten gab Boehner keine Ruhe. Symptomatisch war die Kontroverse um die Export-Import-Bank, die bei Auslandsgeschäften günstige Darlehen gewährt. Die Rechten wollten das Institut im Namen des freien Marktes dichtmachen, die Handelskammer wäre entsetzt.
Bei Abstimmungen über Haushalt und ein angehobenes Schuldenlimit drohen die Rechten nun mit einem Shutdown der Regierung. Im konservativen Hausorgan National Review fasste Chefredakteur Rich Lowry zusammen: Der rechte Flügel erwecke „den Eindruck, er sei bereit, die Regierung um der symbolischen Reinheit willen niederzubrennen“. Dann aber beruhigte Lowry: Der Konflikt sei lange nicht so schlimm wie der im Jahr 1865 bei der Debatte um die Abschaffung der Sklaverei.
Ein Zirkel der Rechten
Auf den Schock-Exit Boehners folgte ein weiteres Debakel Als Nachfolger war Anfang Oktober Kevin McCarthy im Gespräch. Der Abgeordnete aus Kalifornien hat ein derart konservatives Profil, dass seiner Nominierung kaum etwas im Wege zu stehen schien. Doch dann, bei einer Sitzung hinter verschlossenen Türen, teilte McCarthy mit, er wolle nicht. Die Partei brauche ein „frisches Gesicht“. Glaubwürdig klang das nicht. McCarthy ist erst seit sieben Jahren Abgeordneter. Seitdem wird spekuliert, ob vielleicht etwas Anderes hinter diesem Rückzug steht. Erpressung mit angedrohter Enthüllung einer Affäre? Nun suchen die Republikaner weiter nach einem, der den Karren aus dem sprichwörtlichen Dreck ziehen kann.
Im Kommentarteil der New York Times kann man vom „Ende der Republikanischen Partei“ lesen, versehen mit einem Fragezeichen. Die Zweckallianz des Establishments mit dem rechten Populismus kriselt. Die führenden Köpfe und Geldgeber der Partei hatten die Tea Party und andere rechtslastige Strömungen gerufen. Als Ultras sollten sie Lärm machen und Böller zünden, um die bittere Realität zu kaschieren, dass sich eine Mehrheit in den USA in eine Richtung bewegt, wie sie von Barack Obama verkörpert wird. Die Illusion der Rechten, es sei anders, wird bestärkt von einem Medienapparat, angeführt von Rupert Murdochs Fox-Fernsehen, das die „Gläubigen“ in einer Welt leben lässt, in der sie das wahre Amerika repräsentieren.
Jüngste Inkarnation der Rechten und Boehners Nemesis ist der Anfang 2015 gegründete Freedom Caucus, eine Arbeitsgruppe von gut 50 republikanischen Abgeordneten, groß und diszipliniert genug, um republikanische Initiativen lahmzulegen, wenn die Demokraten geschlossen abstimmen. Der Freedom Caucus sei Stimme „unzähliger Amerikaner, die das Gefühl haben, dass Washington sie nicht repräsentiert“, heißt es in der Grundsatzerklärung. Der Rat wolle eine „offene und begrenzte Regierung“. Er sei für die „Einhaltung der Verfassung und für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand für alle Amerikaner“. Soll heißen, radikale Haushaltskürzungen, weniger Steuern, mehr Militär, eine strikt begrenzte Einwanderung und die Schwächung staatlicher Institutionen wie der Umweltbehörde, die mit dem freien Markt kollidieren. Und man warnt, Wirtschaftsverbände könnten sich nicht auf staatliche Begünstigungen verlassen.
Die Namen der Mitglieder werden trotz des Bekenntnisses zur „offenen“ Regierung nicht bekannt gemacht. Die man kennt, sind weiße Männer aus Wahlkreisen mit überwiegend weißer, republikanischer Bevölkerung. Zu befürchten haben diese Volksvertreter wenig von ihren Wählern.
Jeb Bush schmiert ab
In den guten alten Zeiten hat die Parteiführung den Hinterbänklern gezeigt, wo es lang ging. Sonst gab es kein Geld für den Wahlkampf, und man blieb zeitlebens hinten sitzen. Heute sind unabhängige Geldgeber die Finanziers, und die Partei ist nicht mehr so wichtig. Der Rechtspopulismus des Freiheitsrates kommt auch deshalb an, weil seine Mitglieder vielen aus dem Herzen sprechen, wenn sie behaupten, die Bürger fühlten sich nicht vertreten „von Washington“.
Anfang des Jahres galt als wahrscheinlich, dass Präsidentensohn und Präsidentenbruder Jeb Bush unter den Republikanern die besten Chancen auf das Weiße Haus habe. Seine Millionen auf dem Konto oder in Aussicht und sein Beraterstab aus dem Hochadel der Partei sollten Rivalen abschrecken. Inzwischen dümpelt Bush vor sich hin. Parteimitglieder finden Freude an Donald Trump, Ben Carson und Carly Fiorina, selbsternannten „Nichtpolitikern“ gegen das Establishment. In der Vergangenheit haben solche Kandidaten letztlich aufgeben müssen, doch derzeit ist bei den Republikanern viel in Bewegung.
In der Demokratischen Partei leidet Hillary Clinton am Unmut vieler Wähler, die nicht schon wieder jemanden von den Clintons wollen. Auch wenn es diesmal eine Präsidentin wäre. Die Begeisterung für Bernie Sanders’ Thesen gegen die „Klasse der Milliardäre“ steht im Kontrast zu Clintons Seilschaften aus der Wall Street. Doch gehen beide Kontrahenten ausgesprochen zivilisiert um mit ihren Gegensätzen. Und sie warten auf das Wort von Vizepräsident Joe Biden.
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