Obama Should Not Dismiss Putin as a ‘Ruffian’

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Obama darf Putin nicht als “Lümmel” abtun

Wenn es um Konfliktentschärfung in Syrien geht, sind US-Präsident Obama und sein russischer Kollege Putin nicht gerade klug. Sie erhöhen die Gefahr eines Waffengangs – ohne dies wirklich zu wollen.

Vor wenigen Wochen, hoch über den Stränden von Sotschi, hatte der russische Präsident Wladimir Putin einen Auftritt vor den Teilnehmern des Waldai-Klubs, wo er mit Höflichkeiten an den Westen keine Zeit verlor. Tatsächlich war er an Bitterkeit gegenüber den Vereinigten Staaten kaum zu übertreffen. Mit Deutschland, das noch gebraucht wird für die Modernisierung des Landes, wurde noch verhältnismäßig gnädig umgegangen.

Zugleich wurde die neue Lagebeschreibung dem russischen Publikum via Staatsfernsehen unverblümt zur Kenntnis gegeben. Kein Wunder, dass die anwesenden amerikanischen Diplomaten feststellten, die Beziehungen hätten “rock bottom” erreicht.

Die Einschätzung ist zur Zeit noch die optimistische Variante. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die weltpolitische Lage a conto Syrien und Umgebung sowie Ukraine und dem weiteren Mittleren Osten noch verschlechtert bis zu dem Punkt, wo die Konfrontation lebensgefährlich wird – ähnlich der Doppelkrise um Berlin und Kuba, welche die Weltmächte zwischen 1958 und 1962 zuerst an den Rand des nuklearen Abgrunds führte, sie dann aber, um des Überlebens willen, in die Runden der Rüstungskontrolle zwang.

Daraus entstand ein langer nuklearer Frieden, der selbst noch die Überwindung des Systemgegensatzes ohne den großen Knall ablaufen ließ – jedenfalls bisher.

Putins Luftangriffe in Syrien

Seitdem Putin Luftangriffe über Syrien fliegen lässt, die weniger dem IS als den Rebellen gegen Präsident Baschar al-Assad gelten und leicht auch die Amerikaner treffen könnten, ist die Gefahr groß, dass die Kampfmaschinen der beiden Supermächte einander in die Quere kommen. Beide Seiten werden sich früher oder später gezwungen sehen, trotz aller Bedenken “boots on the ground” zu stellen, Ortskräften Hightech beizubringen und militärische Investitionen zu verteidigen.

Unfälle, Missverständnisse und Verluste an Menschen und Material sind so gut wie unvermeidlich. Die Krisen eskalieren und treiben sich gegenseitig. Irgendwann kann in solcher Lage keiner mehr zurück, ohne das Gesicht zu verlieren. 1914 war der Sommer der Schlafwandler.

Für Putin bleiben die Vereinigten Staaten das Maß aller Dinge, ob gut oder schlecht. Durch ihre Soft Power sieht er sich bedroht, er fürchtet neue “Farbenrevolutionen” in Staaten, die Russland von jeher seinem “nahen Ausland” zuordnet. Er erwähnt wie nebenbei, so auch in Sotschi, dass es besser ist, den ersten Schlag zu führen, statt ihn abzuwarten. Das habe er auf den Straßen von Leningrad gelernt. Jetzt sind Nuklearwaffen im Spiel.

Amerikas Versäumnisse

Doch auch die Vereinigten Staaten haben Nachholbedarf in Sachen Staatskunst und Gleichgewicht. Russland mit mehr als 8000 nuklearen Gefechtsköpfen als “Regionalmacht” zu klassifizieren, wie es Obama tat, verkennt Bedeutung und Funktion der Waffen des Weltuntergangs. Putin als “Lümmel aus der letzten Reihe” abzutun, verbaut den Dialog.

Schlichte Torheit ist die “Punish Putin”-Stimmung, die den National Security Council nach der Annexion der Halbinsel Krim 2014 auf den Weg der Sanktionen geführt hat. Im persönlichen Bereich würde man von Hassliebe sprechen. Denn es ist nicht zu vergessen, dass nach dem Anschlag vom 11. September Putin nicht nur der erste der großen Staatschefs war, der George W. Bush das Beileid aussprach; er bot auch Hilfe und Zusammenarbeit bei der Suche nach den Schuldigen an und beließ es nicht bei schönen Worten, insbesondere was die Unterstützung des amerikanischen Aufmarschs in Afghanistan und die Besiegung der Taliban anging.

Die amerikanische Dankbarkeit, auch das gehört zu den Ursachen des Misstrauens, hielt sich in Grenzen. Die zweifache Nato-Erweiterung sehen die Russen bis heute als Vertrauensbruch. Der amerikanisch-britische Blitzkrieg gegen den starken Mann von Bagdad im Jahr 2003 fand gegen alle Warnungen des Kreml statt.

Die Kündigung des ABM-Vertrags von 1972 – Anti-Ballistic Missile Treaty – ließ die Russen um das globale strategische Gleichgewicht fürchten: Der Vertrag hatte, indem beide Supermächte auf Raketenabwehr verzichteten, den philosophischen Boden geschaffen für die Ära der strategischen Rüstungskontrolle – die während der Folgejahre auch Mittelstreckensysteme und konventionelle Streitkräfte einbezog.

Gefahren des Cyberwars

Ohne diese Erweiterung des strategischen Schachspiels durch die Dimension der Offenheit, der Kontrolle und des Vertrauens wäre der Zusammenbruch des Sowjetreiches seit Mitte der 80er-Jahre schwerlich friedlich und kooperativ abgegangen. Von diesen Vertragssystemen ist nicht mehr viel geblieben außer zuletzt doch noch die Begrenzung der Potenziale beider Seiten auf je rund 1500 nukleare Gefechtsköpfe in verschiedener Konfiguration.

Was seit einem Jahrzehnt immer mehr fehlt, ist das grundlegende Vertrauen, dass die Gegenseite den Status quo nicht grundlegend verändern will. Georgien, Krim, Ukraine sind die Konfliktpunkte, jetzt kommt Syrien hinzu. Cyberwar, wo Angriff und Verteidigung ununterscheidbar werden, öffnet neue Konfliktfelder.

Stolpern die Weltmächte in einen neuen Konflikt? “New order or no order”, so drohte Putin vor einem Jahr. Er und seine Berater schwanken zwischen einem System ähnlich dem des Wiener Kongresses, gegründet auf Gleichgewicht, Kompensation und Legitimität der Großmächte, und einer neuen Inszenierung des Erbes der Sowjetunion.

Ein neuer Kalter Krieg?

Es weht kalt herein von Osten. Droht ein neuer Kalter Krieg? Jener, der in den 90er-Jahren einvernehmlich abgewickelt wurde, war besser als sein Ruf. Er gehorchte, nachdem die experimentelle Frühphase überwunden und in Regeln gezähmt war, einem Code of Conduct, den das nukleare Gleichgewicht einschärfte. Zwar waren die beiden nuklearen Supermächte militärisch gegeneinander aufgestellt, ideologisch unversöhnlich. Gleichzeitig waren sie aber verbunden durch die Drohung des Weltuntergangs, den jeder der Kontrahenten bewirken konnte – allerdings in einem selbstmörderischen Wahnsinnsakt.

Diese Zeit ist vorüber. Ein neuer Kalter Krieg wird anders sein, weniger auf Ideologien gegründet und mehr auf materielle Machtwährungen, von Panzeraufmärschen bis Cyber. Die Geometrie der Kräfte wird sich ändern, schon deshalb, weil Russland und Amerika auf je verschiedene Weise ihre Wendung nach Asien vollziehen, wo China aufsteigt und allen Nachbarn, Russland eingeschlossen, das Fürchten beibringt.

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