Flüchtlingsdebatte in den USA: Die verunsicherten Staaten von Amerika
Der Terror von Paris hat in den USA eine irrationale Debatte über den Umgang mit syrischen Flüchtlingen losgetreten. Ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl ist die politische Stimmung Amerikas unberechenbar geworden.
Die Republikaner waren einmal eine vernünftige Partei. Sie waren transatlantisch verlässlich, machten Politik auf der Grundlage fester, konservativer Werte. Präsidenten wie Ronald Reagan oder der alte Bush hatten ein ausgeprägtes Interesse daran, was jenseits der USA vor sich geht und was ihr Land tun könnte, um die Dinge international zu ordnen.
Inzwischen scheint die goldene Zeit der Partei Lichtjahre entfernt. Seit den Anschlägen in Paris sind die Republikaner in einen Wettbewerb darüber eingetreten, wer von ihnen die brutalsten Vorschläge hat, um syrische Flüchtlinge fernzuhalten.
Als stünde der halbe Nahe Osten vor der Tür
Mal ein paar Beispiele: Ben Carson vergleicht syrische Flüchtlinge mit “tollwütigen Hunden”. Donald Trump regt an, aus Sicherheitsgründen Moscheen zu schließen. Ted Cruz, dessen Eltern einst selbst aus Kuba flohen, will an der Grenze einen Religionstest durchführen und sämtliche Muslime aussortieren. Gouverneure riegeln ihre Staaten ab, Bürgermeister ihre Städte. Die Partei diskutiert, als stünde der halbe Nahe Osten am Einwanderungsschalter des New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafens.
Ganz abgesehen davon, dass keiner der bislang identifizierten Attentäter in Paris Syrer war, ist die Debatte in mehrfacher Hinsicht absurd. Ein Blick auf die Fakten: Seit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs vor vier Jahren hat Amerika nach neuesten Zahlen 2184 syrische Flüchtlinge aufgenommen, was in etwa so viel ist, wie der Landkreis Potsdam-Mittelmark allein in diesem Jahr stemmt. Präsident Obama hat angekündigt, im kommenden Jahr rund 10.000 weitere Syrer ins Land zu lassen, was eine Steigerung, aber gemessen am Führungsanspruch, den Amerika so gern betont, immer noch lächerlich wenig wäre.
Eine große Mehrheit von republikanischen und demokratischen Abgeordneten will nun neue, strengere Regeln. Künftig soll der FBI-Chef höchstpersönlich für die Ungefährlichkeit syrischer Einwanderer per Unterschrift garantieren. Das wird er kaum machen, und so wären die neuen Regeln de facto ein Stoppschild für jeden, der aus dem völlig zerstörten Land flieht. Der Senat und Obama können das Gesetz noch stoppen, aber die Botschaft ist gesetzt: Wir sind zu lax.
Das ist nicht minder absurd. Schon jetzt ziehen die USA bei der Überprüfung der Asylanträge von Syrern – verständlicherweise – sämtliche Register, um einen Terrorhintergrund ausschließen zu können. Der Prozess ist derart intensiv, dass die einzelne Fallbearbeitung im Schnitt erst nach mehr als 18 Monaten abgeschlossen wird. Von Nachlässigkeit kann kaum die Rede sein. Gerade erst wurde der Fall einer Familie bekannt, die drei Jahre auf ihr Asyl warten musste. Sie wäre schneller gewesen, wäre sie durch den Atlantik geschwommen.
Merkwürdige Entscheidungen in unsicheren Zeiten
Mancher mag jetzt sagen: Ach, ein bisschen Debatte muss ja wohl erlaubt sein, gerade in Wahlkampfzeiten. Und Präsident Obama gibt sich doch standhaft. Und Amerika nimmt doch jenseits der Syrer noch weitere 200.000 Flüchtlinge in den nächsten zwei Jahren auf. Und es sind zum Glück nur die Republikaner.
Alles richtig. Aber die Republikaner haben viele Menschen hinter sich, jedenfalls in der Flüchtlingsfrage. Gut 50 Prozent der US-Amerikaner lehnen Obamas Pläne ab.
Diese Zahl weist über die Einwanderungsdebatte hinaus: Wenn sich ein wesentlicher Teil der Landes in einer solch sensiblen Frage von Fakten abkoppelt und ausschließlich von diffusen Gefühlen leiten lässt, ist das ein Zeichen wachsender Verunsicherung über die eigene Rolle in der Welt. Und die Geschichte hat gezeigt, dass ein verunsichertes Amerika innen- wie außenpolitisch merkwürdige Entscheidungen treffen kann.
Zur Präsidentschaftswahl ist es nur noch ein Jahr. Sicher ist nur eins: Es werden vollkommen unberechenbare zwölf Monate für die USA – und alle, die mit ihnen zu tun haben.
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