Eine Stimmung ist keine Strategie
Von Tom Schimmeck
29.11.2015
Die Angst vor dem Terror darf nicht blind machen. Nur ein winziger Bruchteil seiner Opfer stammt aus dem Westen. Es wird Zeit für eine kühle Bilanz.
Eigentlich soll der Kolumnist ja Ihren Kopf ein bisschen lüften. Das Leben leichter machen und ihm Charme geben. Doch die Zeiten sind nicht danach. Der Ton verschärft sich stündlich. Kriegslärm überall. Fahnen flattern, schon werden wieder „Schicksalsgemeinschaften“ beschworen. „Starke“ Führer nutzen ihre Chance. Die brauchen starke Gefühle, leben von Angst und Hass. Putin, Orbán und viele andere. In den USA gibt nicht nur Donald Trump diesem Affen Zucker. Wer nun zweifelt, verrät schnell das Vater- bzw. Abendland.
Den Reflex kann ich wohl nachfühlen: Dass man auf all den Terror mit Gewalt antworten will. Rache nehmen, zurückschlagen! Mit Feuer und Schwert, mit G38, Granaten, Tomahawks und Boeing-Bomben. Bumm. Damit „die“ – es folgt eine weit ausschweifende Handbewegung, die mitunter halbe Kontinente umschließt – es endlich kapieren. Schlussaus! Und dann frohe Weihnacht. Ich verstehe die Angst. Kann sie nachfühlen. Glaube auch nicht, dass sich Terrorismus völlig gewaltlos stoppen lässt. Doch eine Stimmung ist keine Strategie. Es wird Zeit für eine ehrliche Zwischenbilanz.
Die mächtigen Staaten haben die Welt geformt
Diese muss sich anschauen, wie die heute reichen und mächtigen Staaten, die ja als Kolonialherren, Invasoren und durch Wirtschaftsmacht die Welt geformt haben, mit ihrer Verantwortung umgehen. Auch, wie sie die eigenen Gesellschaften managen. Sie muss auch ein paar Fakten zum Stand des „Krieges gegen den Terror“ zur Kenntnis nehmen. Der tobt seit 9/11 mit voller Wucht, schon vierzehn furchtbare Jahre. Er ist ein Fehlschlag und eine Katastrophe. 8000 Soldatinnen und Soldaten westlich dominierter Allianzen sind im Irak und Afghanistan gestorben. Doch die Zahl der toten Zivilisten dort wird auf mindestens 350.000, von anderen Quellen auf weit über eine Million geschätzt. Dazu kommen Hunderttausende Opfer in Libyen und Syrien. In beiden Ländern spielte respektive spielt der Westen Diktatoren-Domino, mit Waffenlieferungen und Luftkrieg. Gaddafi ist tot, Assad noch im Amt. Beide Länder sind verheerende Schlachtfelder mit lausiger Perspektive.
Es gibt heute viel mehr Terror als zu Beginn dieses Feldzuges. Das Institute for Economics and Peace erstellte unlängst einen neuen „Global Terrorism Index“. Allein 2014 sei die Zahl der Toten durch Terror auf der Welt um 80 Prozent gestiegen. Im Jahr 2000 zählte man 3329 Opfer, letztes Jahr waren es 32.685. Das gelbe Trikot des Mordens trägt übrigens nicht der „Islamische Staat“, sondern, mit 6644 Ermordeten, Boko Haram in Nigeria. Der Bericht macht auch klar, wie eng unsere Wahrnehmung noch immer ist. Das zeigt schon die Auflistung jener Länder, die eine – willkürlich definierte – Schwelle von über 500 Toten pro Jahr zuletzt überschritten haben: Somalia, die Ukraine, der Jemen, die Zentralafrikanische Republik, der Südsudan und Kamerun. Leider unterhalten deutsche Medien in diesen Ländern, vielleicht mit Ausnahme der Ukraine, keine Büros.
Zuletzt die Frage, mit wem wir hier wofür kämpfen. In Syrien stehen wir derzeit in einer Koalition mit den Herrschern der Emirate, Katars und Saudi-Arabiens. Lesen Sie den letzten Satz bitte dreimal. Dann brauchen Sie einen Schnaps.
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