Sonderlinge vom Schlage des amerikanischen Unternehmers oder des tschechischen Präsidenten Zeman bieten keine praktikablen Lösungen. Aber sie haben eine Funktion im zunehmend uniformen Politikbetrieb.
Eines muss man Miloš Zeman lassen: Als tschechischer Präsident ist er unterhaltsamer als sämtliche Kollegen und Kolleginnen in Europa zusammen. Während unsere braven Politiker ihre Mitbürger zu den Festtagen mit guten Wünschen unterm Tannenbaum und vorhersagbaren Appellen ans Gemeinwohl einschläfern, wirkte Zemans Weihnachtsansprache wie eine Satire auf das ganze Genre.
Da saß ein älterer Herr in seinem geschmückten Wohnzimmer und erteilte seinen Untertanen, ja der ganzen Welt mit rauer Wodkastimme eine grimmige Lektion: Die aktuelle Flüchtlingswelle sei kein Notstand, sondern eine von langer Hand geplante Invasion. Die jungen Araber sollten – wie tschechische Patrioten im Zweiten Weltkrieg – ihr Vaterland lieber mit der Waffe verteidigen statt in den Westen abzuhauen.
Von weihnachtlicher Milde und Barmherzigkeit keine Spur. Die surreale Viertelstunde dieses Präsidenten endete wie eine Parodie der Nächstenliebe: Tschechien sei nun mal nicht für jedermann da, man werde die Bedürftigen nicht hereinlassen. Danach noch ein knapper Grinsegruß zum neuen Jahr – und fertig.
In Deutschland wäre das Geschrei groß – und Zemans politische Karriere nach diesem Auftritt wohl beendet. Aber in anderen Ländern ist man auch bei hohen Ämtern langmütiger mit Exzentrikern, weil aller Diskurs dort nicht vorab durch Sprachtabus und Denkverbote eingeschränkt ist. Natürlich macht Zemans ruppige Art auch zahlreiche Tschechen fuchsteufelswild. Aus Protest hissten Künstler auf der Prager Burg einmal sogar statt der Landesflagge eine riesige rote Unterhose.
Und Zemans alter Rivale ums Präsidentenamt, Karel Schwarzenberg, kommentierte resigniert: “Schade, wenn eine Weihnachtsansprache so gar nichts mit Weihnachten zu tun hat.” Doch scherte sich der Nichtchrist Zeman einfach nicht um den frommen Comment, erwähnte das Jesuskind mit keinem Wort und schilderte die Welt so schlicht, wie er sie sieht. Ist das nun ein Skandal?
Weltweit ist zu beobachten, wie Rüpel und Sonderlinge das politische Geschäft aufmischen. Wie öde wäre der ohnehin schon zähe amerikanische Vorwahlkampf ohne Donald Trump! Nicht nur für Medienprofis, auch für die gelangweilte Netzgemeinde ist es ein gefundenes Fressen, wenn hier ein Anwärter aufs höchste Amt nach Gusto die Latino-Minderheit beleidigt, einen missliebigen Journalisten rauswirft und augenscheinlich herausbrummelt, was ihm gerade so durch die Rübe rumpelt.
Atombomben gegen Araber
Die Aussetzer auch anderer Kandidaten für das Weiße Haus geben wunderliche Weltsichten preis: Der Holocaust wäre vermieden worden, hätten laxere Waffengesetze den europäischen Juden nur erlaubt, sich privat zu bewaffnen. Die Berliner Mauer gehört an die mexikanische Grenze. Die Erderwärmung ist eine Wahrnehmungsstörung. Und gegen aufmüpfige Araber helfen am besten Atombomben.
Sollte jemand mit ähnlichen Ansichten tatsächlich an die Schalthebel der Macht gelangen, wäre das wohl ein Grund zur Beunruhigung – wenngleich dann herauskäme, dass auch ein Trump seine Verbalattacken bewusst als Werbestrategie einsetzt, um in den unendlichen Weiten des Medienkosmos überhaupt noch wahrgenommen zu werden.
Gehandelt wird dann erheblich rationaler. Überhaupt ist zu konstatieren, dass Exzentriker an der Macht weniger Schaden anrichten, als zu erwarten wäre. Silvio Berlusconi hat sich während seiner langen Amtszeit ausgiebig mit jungen Mädchen zweifelhafter Moral beschäftigt und Showsternchen zu Ministern ernannt.
Statt im Büro bis tief in die Nacht über Akten zu grübeln, amüsierte er sich lieber auf Privatpartys, kümmerte sich um seinen Mailänder Fußballklub oder war wegen Schönheitsoperationen wochenlang außer Gefecht. Italiens Tagespolitik haben diese Eskapaden kaum geschadet; es gab jederzeit einen funktionsfähigen Stab und genug Politprofis.
Wirklich bemerkenswert ist: Nicht einmal Berlusconis Popularität hat durch seine Bunga-Bunga-Politik gelitten. Er wurde nicht abgewählt, sondern erst durch eine Parteirevolte aus dem Amt entfernt. Offenbar fanden Millionen Italiener Gefallen am antipolitischen und glamourösen Egotrip ihres Ministerpräsidenten. Und auch den Medien fehlen seit seinem Abtreten die saftigen Geschichten aus der Halbwelt zwischen Prostitution und Politik.
Könnte es sein, dass das ernste Geschäft des Regierens notorisch überschätzt wird? Belgien etwa hatte letztens über anderthalb Jahre keine funktionsfähige Regierung. Und doch lief im Staat alles glänzend, weil den Beamten und Technokraten endlich kein eitler Parteimensch mehr ins Handwerk pfuschte.
Auch Deutschlands glücklichste Phase in seiner an Katastrophen reichen Historie gab es unter Heinrich Lübke – einem erkennbar schusseligen Präsidenten, der keinen klaren Satz mehr formulieren konnte und schon mal vergaß, in welcher Stadt er sich überhaupt befand. Und doch wurde gerade unter diesem Anti-Despoten aus dem Sauerland mehr Demokratie gewagt, wurden Frauenrechte endlich eingefordert, sorgten aufmüpfige Studenten für entspanntere Verhältnisse.
Darum tun auch die Tschechen gut daran, mit ihrem immerhin vom Volk gewollten Chaospräsidenten Zeman zurechtzukommen. Tschechiens Nationalheld, ein braver Soldat namens Schwejk, hat in der Literatur vorgemacht, dass man stumpfsinnige Amtsträger sich am besten selbst entzaubern lässt. Zeman, dem eine Zeitung bereits den psychischen und physischen Ruin durch Alkohol attestierte, lässt ohnehin nicht locker.
Rechtzeitig zum Jahresschluss tönte der wild gewordene Präsident in einem Interview, Tschechien werde an demjenigen Tag der Europäischen Währungsunion beitreten, an dem Griechenland endlich herausfliegt. Die beleidigte Heimholung des griechischen Botschafters aus Prag war umgehend die Folge – als müssten nicht gerade die Griechen, die selbst in politischem Grobianismus nicht zimperlich sind, einen harten Spruch vertragen können.
Hier kommen wir zum durchaus belebenden Element staatspolitischer Geisterfahrer im geregelten Straßenverkehr der Diplomatie. Ein beratungsresistenter Präsident wie Miloš Zeman mag sich an keine Etikette halten, aber immerhin spricht er dabei tabuisierte Themen an, die von seinen Kollegen lieber ängstlich verdrängt werden. Wenn alle Verantwortlichen wider besseres Wissen von einer Gesundung der griechischen Wirtschaft schwadronieren, dann wirkt Zemans Lapsus zu den Pleitegriechen fast schon wohltuend.
Solche Figuren müssen wir aushalten
Und wenn der Präsident einer europäischen Nation die Flüchtlingskrise nun gerade nicht als humanitäre und ökonomische Chance schönredet, sondern als finstere Verschwörung und Invasion schildert, dann drückt er damit die Meinung von Millionen Europäern aus, die sich vom Diskurs sonst ausgeschlossen fühlen. Diesen Dissens muss jede Demokratie abbilden und verkraften können.
“Populismus” heißt Zemans Gebaren in der deutschen Öffentlichkeit. Populär wollen alle Politiker sein, aber bloß nicht populistisch. Damit haben sie recht, denn Brachialvorschläge à la Trump und Zeman bieten im Regierungsgeschäft keine praktikablen Lösungen. Doch heißt das auch, dass alle Polemik und Provokation aus dem öffentlichen Sprechen ausgemerzt gehört? Auch unliebsame Meinungen gehören schließlich zur Demokratie, ja gerade sie sind das Salz in der faden Buchstabensuppe des politischen Einerleis.
Ein Populist wie Zeman führt uns die Gefahr der politischen Langeweile vor. Wenn nämlich wie in Deutschland alle Amtsträger angstvoll das abgesteckte sprachliche Terrain sondieren, wenn in den Talkshows nurmehr ein handverlesenes Grüppchen immer gleicher Wohlmeinender dieselben Floskeln von sich gibt, wenn irgendwann nur noch lächelnde Versicherungsvertreter als Politiker taugen, wenn Denken und Gebaren abseits vom Mainstream den Sonderlingen überlassen bleibt, dann wird die Demokratie irgendwann fade. Und dann ist die Konjunktur der Populisten wahrhaftig keine Überraschung mehr.
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