Rebel Fever Heats up the US Presidential Election Campaign

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Rebellen-Fieber erhitzt den US-Präsidentenwahlkampf

In Iowa beginnen die US-Vorwahlen. Der Kampf um das Weiße Haus wird nicht zwischen links und rechts geführt, sondern zwischen den politischen Eliten und dem wütenden Normalbürger Amerikas.

Fangen wir mit dem Positiven an: Dies ist eine der spannendsten und unterhaltsamsten Wahlperioden, die Amerika seit Langem erlebt hat. In TV-Debatten fliegen die Fetzen, es wird Klartext geredet wie selten, und bei aller Abneigung gegen den vulgären Lautsprecher Donald Trump gibt es dennoch kaum jemanden, der in den vergangenen Monaten nicht unwillkürlich schmunzeln musste über einen seiner unverschämten aber treffenden Tweets über politische Gegner.

Aber Politik ist keine Unterabteilung der Unterhaltungsindustrie. In demokratischen Staaten werden in ihr ernsthafte, manchmal schicksalshafte Fragen verhandelt. Da kann einem der derzeitige Aufstand der Wähler gegen das Establishment Angst machen.

Und das betrifft nicht nur Trump bei den Konservativen. Auch die Demokraten erleben eine Rebellion der Basis mit Bernie Sanders, dem die Herzen der Jungen zufliegen und der Hillary Clinton in den ersten Vorwahlstaaten Iowa und New Hampshire in Bedrängnis bringt. Dabei vertritt der selbst ernannte Sozialist ein Programm, wie es altbacken-linker nicht sein könnte.

Ganz so, als seien die alten utopisch-sozialistischen Sozialstaatsmodelle nicht längst von den Realitäten überholt worden. Seit den 90er-Jahren hatte sich die demokratische Partei unter Bill Clinton arrangiert mit Wirtschaft und Wall Street. Sanders kündigt dieses Arrangement nun auf. Er möchte die Reichen melken, den Staat kräftig ausdehnen, Banken zerschlagen und Wohltaten übers Land verteilen.

Aber wie Margaret Thatcher sagte: “Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass ihm irgendwann das Geld anderer Leute ausgeht.” Sanders peilt einen Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung an in einer Zeit, in der immer deutlicher wird, dass dieser kaum noch bezahlbar und mitverantwortlich ist für das geringe Wachstum des Kontinents.

Wo sich die Wut trifft

Es gibt einen Punkt, an dem sich die Wut von Sanders und seiner Anhänger trifft mit der der Trump-Fans. Sie glauben, dass die Politik vom großen Geld gekauft ist, dass die Eliten das System zu ihren Gunsten gezinkt haben, während die Mittel- und Unterschicht das Nachsehen hat. Trump kanalisiert die Wut der Zukurzgekommenen, der Globalisierungsverlierer und der von Abstiegsangst geplagten Mittelschicht. Seine Forderung nach Deportation von elf Millionen illegalen Einwanderern und seine antimuslimischen Sprüche lassen ihn als rechten Hardliner erscheinen.

Tatsächlich stellt er jedoch eine Mischform dar im politischen Spektrum Amerikas. Er ist weder religiös noch ein Tea-Party-Vertreter, der für ausgeglichene Haushalte und einen zurückgestutzten Staat plädieren würde. Sein Wirtschaftspopulismus ähnelt in Teilen dem von Sanders.

Anders als die konservative Orthodoxie will Trump Obamas Gesundheitsprogramm nicht zurückfahren. Wie Sanders ist er ein Gegner von Freihandelsabkommen. Inzwischen haben die Gewerkschaften schon Angst, Trump könnte auch unter ihren Mitgliedern wildern.

Der Aufstand der Trump-Anhänger wird oft erklärt in Gegensatzpaaren wie Weiße gegen Nichtweiße, Reiche gegen Arme, Religiöse gegen Säkulare, Stadt gegen Land. Sean Trende von RealClearPolitics schlägt nun eine andere Kategorisierung vor, die er “kulturelle Traditionalisten” gegen “kulturelle Kosmopoliten” nennt. Tatsächlich gehört auch das Establishment der Republikaner zu den verfeinerten, an den besten Unis des Landes ausgebildeten Kosmopoliten, die wenig mit dem konservativen Fußvolk verbindet.

Hemdsärmelig auf dem Schießstand

Wenn sie im Wahlkampf sind, essen sie fleißig Burger, lassen sich auf Schießständen ablichten, treten hemdsärmelig auf County Fairs auf und appellieren an Religion und Familienwerte – um dann wieder ins kosmopolitische High-Society-Leben Washingtons zurückzukehren. Die republikanische Elite etwa hätte den Widerstand gegen die Homoehe am liebsten längst aufgegeben.

Und in ihrer Lebenswelt sind hispanische Einwanderer vor allem billige Arbeitskräfte, die der Wirtschaft helfen und für wenig Geld den eigenen Garten pflegen – während die Arbeiterklasse sie als Jobkonkurrenten sieht.

Die Lebenswelten beider Gruppen, egal ob links oder rechts, berühren sich kaum noch. Aber da die kulturellen Kosmopoliten die Diskurshöhen Amerikas besetzt haben, empfinden die Traditionalisten, dass sie verachtet werden und man ihnen Sprechverbote aufzwingen will. Die demokratische Partei hat mit ihrer Minderheitenagenda und ihrem aggressiven Modernismus viele Traditionalisten, die Bill Clinton noch zu halten wusste, ins republikanische Lager getrieben.

Und das verschärft dort den Konflikt zwischen Elite und Basis der Partei, den Trump geschickt nutzt. Es sind die, die nicht verstehen, warum sie ihren Mitbürgern nicht mehr frohe Weihnachten wünschen sollen; die es für verrückt halten, nach den Anschlägen von San Bernardino Flüchtlinge aus der muslimischen Welt aufzunehmen. Und die nicht verstehen, warum Amerika nicht in der Lage sein soll, seine Grenze gegen illegale Einwanderer zu schützen. Die wenig Verständnis aufbringen für die Subtilitäten des Genderdiskurses. Und die nun eine höllische Freude daran haben, zu sehen, wie sich das Establishment windet, wenn Trump einen raushaut.

Graben zwischen Eliten und dem Rest

Auch in Europa gibt es diesen Graben zwischen den Eliten und dem Rest – wovon populistische Parteien in vielen EU-Ländern zeugen. Populisten haben oft ein Gespür dafür, was falsch läuft, aber sie haben keine Lösungen, wie die Probleme pragmatisch zu beheben wären.

Trumps Ideen, die Mexikaner für einen Grenzzaun bezahlen zu lassen oder den Chinesen bessere Handelsbedingungen abzutrotzen, sind genauso unrealistisch wie Sanders Vorstellung, man könne dem Land eine Zwangskrankenversicherung überstülpen oder die Reichen für ein Sozialstaatsschlaraffenland bezahlen lassen.

Amerikas bipolares System führt aber dazu, dass populistische Aufstände potenziell gefährlicher sind. In Kontinentaleuropa müssen Populisten neue Parteien gründen, die in der Regel in der Minderheit bleiben und – wenn es schlimm kommt – als Koalitionspartner in eine Mehrparteienregierung eintreten. In den USA hingegen tobt der Aufstand in den großen Parteien, und wenn die Konstellationen günstig sind, ist nicht ausgeschlossen, dass ein Populist Spitzenkandidat wird und gar Chancen auf das Weiße Haus hat.

Der Westen wird gerade von einem rebellischen Fieber erfasst, von einer Aufstandslust gegen die etablierte Politik, die unsere politischen Systeme erschüttern könnte. Auch deshalb haben die nun beginnenden Vorwahlen in den USA Pilotcharakter.

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