Totally Out of Control

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Aus dem Ruder gelaufen

Von Konrad Ege

18.02.2016

USA Bei den Vorwahlen der Republikaner liegt ein Brandstifter vorn. Und die Feuerlöscher funktionieren nicht

Gewinnt Donald Trump die republikanischen Vorwahlen? Mitte Februar, nach Trumps Sieg in New Hampshire, lässt sich nicht mehr abstreiten: Es ist wohl möglich, dass der von Verachtung für seine Rivalen triefende kluge Raubauke ganz vorn landet. Es ist freilich schwer einzuordnen, was wirklich los ist im rechten, frustrierten und vor allem weißen Amerika. Dem steinreichen Unternehmer hat es augenscheinlich nicht geschadet, dass er Muslime aussperren und elf Millionen Einwohner ohne Papiere deportieren möchte. Und dass er Foltermethoden schlimmer als Waterboarding einsetzen würde.

Es wird viel gesprochen über das „Establishment“, dem die republikanischen Vorwahlen aus dem Ruder liefen. Damit sind bürgerlich-konservative Eliten und führende Vertreter von Wirtschaft und Finanzwelt gemeint, die „Washington“ nicht als Feind sehen, sondern weitgehend als Garant ihrer Interessen – mit dem Vorbehalt freilich, dass sie manchmal Kompromisse eingehen und nicht immer den ganzen Kuchen bekommen. Politiker des Establishments, personifiziert durch die Familie Bush, passen sich gesellschaftlichen Trends an, ziehen jedoch im Notfall die Bremse. George W. Bush hat unmittelbar nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 eine Moschee besucht und betont, der Terror sei nicht der wahre Islam.

Dabei geht es nicht nur um Trump. Fast alle der mehr als ein Dutzend anfänglichen Anwärter der Republikanischen Partei – ein halbes Dutzend ist übrig – haben sich als Außenseiter inszeniert. Ted Cruz, der Sieger in Iowa, macht energisch Wahlkampf „gegen Washington“, gestützt auf konservative Evangelikale und mit göttlichem Segen, wie sein Vater Rafael Cruz mitteilt, von Beruf Prediger. Senator Cruz aus Texas hat sich zeit seiner Karriere bekriegt mit Parteikollegen im Kongress und sich offenbar extrem unbeliebt gemacht, als er denen attestierte, es fehle ihnen an ideologischer Reinheit im Kampf gegen Barack Obama. „Warum so viele Republikaner Cruz schon beim Kennenlernen nicht mögen?“, fragt ein Witz. Und die Antwort lautet: „Das spart Zeit.“

Präsidentensohn und -bruder Jeb Bush, personifiziertes Establishment, kann sich kaum Gehör verschaffen in Trumps Sperrfeuer der Beleidigungen. In New Hampshire machte die 90-jährige Barbara Bush mit Rollator Wahlkampf. Jeb sei „kein Angeber – wir lassen das nicht zu –, aber er ist anständig und ehrlich“ und „fast zu höflich“. Ihr Sohn solle bei Debatten „auch mal unterbrechen, wie die anderen das tun“, sagte Barbara Bush dem Fernsehsender CBS. Trump tweetete Richtung Jeb: „Mom kann dir nicht helfen mit ISIS, den Chinesen oder mit Putin. Jeb Bush kam auf elf Prozent in New Hampshire. Der angehende Kunstmaler George W. Bush macht Pause von Pinsel und Leinwand, ließ er zu Wochenbeginn wahlkämpfend in South Carolina wissen. Er verstehe es, dass Amerikaner „verärgert und frustriert“ seien, doch man brauche im Weißen Haus „niemanden, der unsere Frustration anheizt“.

Trump schmäht Bush

Bei der republikanischen Kandidatendebatte vergangenen Samstag, eine Woche vor den South-Carolina-Vorwahlen am 20. Februar, schritt Trump zum Frontalangriff auf die Bush-Dynastie. Mit rotem Gesicht und beim Thema Irak-Krieg. „Sie haben gelogen … Sie sagten, da seien Massenvernichtungswaffen. Da waren keine. Und sie wussten, dass keine da waren.“ Und dann kam die für republikanische Verhältnisse ungeheuerliche Beschuldigung, Amerika sei „nicht sicher“ gewesen unter George W. Bush. „Das World Trade Center stürzte ein während der Herrschaft von George Bush.“ Das ist beinahe so gotteslästerlich wie Trumps Bemerkung vergangenes Jahr über Senator John McCain, der vielen Amerikanern als Held gilt wegen seiner Unbeugsamkeit in nordvietnamesischer Kriegsgefangenschaft. McCain sei kein Held, sagte Trump. „Ich mag Leute, die nicht gefangen genommen wurden.“

Das Magazin New Yorker brachte bereits vor Monaten auf den Punkt, wer die Bürger sind, die Trump zujubeln. „Eine lockere Allianz“ derer, die sich als Opfer einer sich ändernden Welt fühlen. Trump gibt offenbar vielen wenigstens das Gefühl, sie stünden endlich auf der Seite eines Gewinners. Freilich kommt die Freundschaft mit Widersprüchen, denn viele von Donalds Fans sind eigentlich Menschen, die nach seinen Maßstäben zu den Verlierern gehören. Trotzdem ist sich der Kandidat seiner Leute gewiss. Selbst wenn er mitten auf der Fünften Avenue in Manhattan stehen und jemanden erschießen würde – „ich würde keine Wähler verlieren“, posaunte Trump in Iowa.

Der Wahlkampf macht ihm offenbar Spaß. Es geht um ihn, nicht um Programme. In seinem von ihm häufig erwähnten Bestseller The Art of the Deal (Die Kunst, einen Deal zu schließen) erläuterte Donald Trump bereits 1987, wie Werbung und Vermarktung funktionieren: Ein Schlüssel zum Erfolg sei Großspurigkeit. Sie nähre Wunschträume, schrieb Trump. Viele Menschen hätten selber keine großen Pläne, doch sie könnten sich begeistern für andere, die große Pläne hätten. „Und da kann ein wenig Übertreibung nicht schaden. Menschen wollen glauben, dass etwas das Größte und Tollste und Spektakulärste ist.“ Er nenne das „wahrheitsgetreue Übertreibung“ (truthful hyperbole), eine unschuldige und angeblich sehr effektive Form der Übertreibung. Er habe außerdem erlebt, dass die Medien Hunger hätten auf eine gute Geschichte, je sensationeller, desto besser.

Mexiko muss zahlen

Trump präsentiert keine detaillierten Pläne. Er sagt einfach, er werde der „beste Präsident für Jobs sein, den Gott je erschaffen hat“. Und Mexiko müsse eben für die Grenzmauer zahlen. Mit China werde er bessere Handelsverträge aushandeln. Bei der Außenpolitik seien komplexe internationale Bündnisse überflüssig. Er will das stärkste Militär der Welt; doch nur für die USA. So hat sich Trump mehrmals über die Stationierung der US-Streitkräfte in Südkorea erregt, die den USA nichts bringe. Und über die kostspielige Militärpolitik im Nahen Osten. Der Irak-Krieg habe die gesamte Region destabilisiert, war Trump bei der republikanischen Debatte am Samstag überzeugt.

Für die Think-Tanks ist der Mann nicht nur wegen seiner uninformierten Statements ein Albtraum. Thomas Wright, außenpolitischer Experte der Brookings Institution, meint, Trump würde die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Ordnung auflösen: „Es wäre das Ende der amerikanischen Ära.“ Die National Review, seit Jahrzehnten Hausorgan eines respektablen Konservativismus, leitartikelte im Januar in einer Sondernummer gegen Trump, dieser sei ein „philosophisch frei treibender Opportunist“, der den konservativen Konsens innerhalb der Republikanischen Partei kaputt mache. Er tue dies „zugunsten eines unscharfen Populismus mit den Beiklängen des starken Mannes“.

Derartige Entrüstung kommt zu spät. Der starke Mann erntet, was das Establishment sei Jahren wachsen lässt. Zumindest seit Barack Obamas Amtsantritt vor sieben Jahren. Führende Republikaner gingen seinerzeit sofort auf Totalopposition. Da kam es gelegen, dass sogenannte Tea-Party-Gruppierungen die rechte und weiße Basis mobilisierten gegen angebliche Pläne der Regierung, Amerikanern die Schusswaffen wegzunehmen, mit der Gesundheitsreform Todeskommissionen einzurichten und letztendlich Amerika zu zerstören. Selbst als Trump seinen Wahlkampf mit dem Spruch startete, die Migranten aus Mexiko seien Drogendealer, Vergewaltiger und Kriminelle, herrschte Schweigen in der Parteiführung.

Trump braucht keine riesige Wählermobilisierung. Relativ wenige Bürger machen sich die Mühe bei Vorwahlen. Im Jahr 2012 gewann Mitt Romney nach Angaben von realclearpolitics.com die republikanischen Vorwahlen mit nur zehn Millionen Stimmen.

Währenddessen beschäftigen sich die Demokraten erst einmal mit sich selbst und fragen sich, ob sie eine Politik der kleinen Schritte wollen oder eine „politische Revolution“, ob Hillary oder Bernie wählbarer sind. So viel Ungewissheit hat es schon lange nicht mehr gegeben. Fragen und keine Antworten: Wie verhält sich das republikanische Establishment, sollte Trump die Vorwahlen gewinnen? Und wie das demokratische, sollte Sanders gewinnen? Und falls es für Trump nichts wird bei den Vorwahlen? Vor Tagen erst drohte der Kandidat erneut, er könne auch als Unabhängiger kandidieren.

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