Barack Obama und Angela Merkel haben den Boden bereitet, auf dem jetzt die neuen Rechten gedeihen. Sie haben die politische Debatte gegen eine Celebrity-Kultur getauscht.
Von Felix Stephan
Barack Obama hat den Glauben an die politische Debatte schon 2008 aufgegeben. Der amerikanische Präsident hat sich bei seiner ersten Kandidatur nicht unbedingt deshalb durchgesetzt, weil er die Wähler mit den besseren Argumenten überzeugen konnte, sondern weil er die Wähler besser kannte. Sein Wahlkampfteam hatte wahlberechtigte Amerikaner identifiziert, die wahrscheinlich nicht wählen gehen, aber für Obama stimmen würden, sollten sie denn wählen. Die entsprechenden Daten stammten von Payback-Karten, aus sozialen Netzwerken und staatlichen Registern.
Obamas Wahlkampfteam führte all diese Daten zusammen und sprach die Wackelkandidaten gezielt an. Um alle anderen kümmerte es sich gar nicht. Das Verfahren nannte sich Mikrotargeting und Konzerne benutzten es schon lange vorher, um möglichst verlustfrei spezifische Zielgruppen anzusprechen. Die Idee, mit Big Data und Mikrotargeting nicht nur Produkte, sondern auch Politiker zu vermarkten, machte aus dem demokratischen Außenseiter Barack Obama den Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Auch Angela Merkel wurde immer wieder vorgeworfen, einen Wahlkampf zu führen, der eher den Gesetzen des Marketings als denen der politischen Auseinandersetzung folgte. Sie mied Interviews mit gut informierten Politikjournalisten und sprach lieber mit Auto Bild und der Apotheken Umschau. Sie sagte Rededuelle mit der Opposition ab und verbreitete stattdessen Fotos, die aussahen, als würden sie für Wellness- und Spa-Resorts werben. Mit Angela Merkel konnten die Deutschen ein gutes Gefühl nicht mehr nur kaufen, sie konnten es auch wählen.
Man sieht nur, was man sehen will
Sowohl Obama als auch Merkel haben ihre Wahlkämpfe gewonnen, weil sie sich auf Debatten über konkrete Themen gar nicht erst eingelassen haben. Und aus einer rein erfolgspragmatischen Perspektive waren die Strategien genial. Ein Experiment des amerikanischen Sozialpsychologen Dan Kahan hat gezeigt, dass es in der Politik kaum etwas bringt, sachlich recht zu haben.
Das Experiment sah so aus: Kahan hat 1.000 Amerikanern eine Statistik vorgelegt, die auf den ersten Blick suggerierte, dass eine bestimmte Hautcreme gegen Ausschlag hilft. Doch wenn man sich die Zahlen genauer ansah, stellte sich heraus, dass sie den Ausschlag in Wirklichkeit eher verschlimmert. Das Ergebnis des Experiments: Je besser die Mathematik-Kenntnisse der Probanden waren, desto wahrscheinlicher war es, dass ihnen der statistische Schwindel auffiel.
Im zweiten Teil legte Kahan den Probanden dann eine politisierte Version derselben Statistik vor. Dieses Mal ging es darin um den Zusammenhang von strengeren Waffengesetzen und der Kriminalitätsrate, ein hochgradig umstrittenes Thema in den USA. Und plötzlich spielten die mathematischen Kenntnisse der Probanden keine Rolle mehr: Demokraten und Republikaner entdeckten den statistischen Fehler unabhängig von ihren mathematischen Kenntnissen mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn die Statistik ihrer politischen Überzeugung zuwiderlief. Wenn sie sie untermauerte, erkannten die Probanden den Fehler nicht. Beide Lager sahen in den Zahlen nur, was sie sehen wollten.
Konzepte zählen wenig
Sobald es um eine politische Streitfrage ging, überstimmte die ideologische Orientierung der Probanden ihren Verstand. Es stellte sich sogar heraus, dass die Statistik häufiger falsch ausgelegt wurde, je besser die mathematischen Fähigkeiten des Probanden waren. Der amerikanische Politikjournalist Ezra Klein brachte das Ergebnis auf die Formel: “Je intelligenter eine Person ist, desto dümmer kann Politik sie machen.” In der Politik komme es weniger auf die Fakten an als darauf, was man über diese Fakten zu wissen glaube.
Die Forschungen des deutschen Medienwissenschaftlers Werner Früh kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Im Jahr 1991 hat Früh 223 Personen einen Zeitungsartikel vorgelegt und sie danach in verschiedenen zeitlichen Abständen zum Inhalt des Artikels befragt. Ergebnis: Schon eine Woche, nachdem die Probanden den Artikel gelesen hatten, erinnerten sie sich zu 41 Prozent an Inhalte, die in dem Artikel überhaupt nicht auftauchten, sondern aus Gesprächen über das Thema oder anderen Quellen stammten.
Dan Kahan nannte das Phänomen Identity-Protective Cognition: Um seine Identität zu beschützen, hat der Mensch eine selektive Wahrnehmung entwickelt, die vor allem das für bare Münze nimmt, was seiner eigenen Weltanschauung entspricht. Das ist nicht nur für Wissenschaftler und Journalisten ein deprimierender Befund, sondern auch für die demokratische Auseinandersetzung: Für eine Partei spielt es kaum eine Rolle, ob sie bei konkreten Streitthemen wie dem Klimawandel, dem Umgang mit der Globalisierung oder dem Mindestlohn die besseren, belastbareren Konzepte vorweisen kann. Entscheidend ist das private Umfeld der Wähler: Niemand streitet sich gern mit seinen Freunden, Kollegen oder Eltern. In politischen Fragen herrschen auch in unserem aufgeklärten Zeitalter noch immer Stammeshierarchien.
Der Politiker wird zum Promi
In diesem Sinne war es nur legitim, dass Obama und Merkel in ihren Wahlkämpfen auf konkrete Debatten verzichteten und stattdessen allgemein gehaltene Emotionen verkauften, die über alle Lager hinweg anschlussfähig sind: Bei Obama war es Change, bei Merkel Sicherheit und Stabilität. Für die politische Kultur war diese Abschaffung des inhaltlichen Streits aus der öffentlichen Auseinandersetzung allerdings verheerend. Sie haben der Öffentlichkeit die Erwartung abgewöhnt, dass politische Gespräche überhaupt auf inhaltlicher Ebene geführt werden können.
Die entpolitisierte Politik ist der fruchtbare Boden, auf dem Figuren wie Donald Trump in den USA und Frauke Petry in Deutschland überhaupt erst gedeihen können. In einer reinen Celebrity-Kultur ist es ganz gleich, wie oft den Protagonisten nachgewiesen wird, dass ihre politischen Konzepte verfassungswidrig oder undemokratisch sind oder auch einfach gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstoßen. Solange die Regeln der kommerziellen Aufmerksamkeitsökonomie gelten, sind immer jene im Vorteil, die nach unten keine Grenzen kennen.
Permanent im Zentrum
Die Erfolgsformel des Reality-TV funktioniert heute auch in der politischen Kommunikation: Überbietung der Lautstärke durch Unterbietung des Niveaus. Und vom Reality-TV weiß Donald Trump, der ehemalige Star aus der Show The Apprentice, im Zweifel mehr als seine Konkurrenten. Jedes Mal, wenn er ein politisches Tabu bricht, irgendjemanden beleidigt oder dreist seine Ahnungslosigkeit zur Schau stellt, läuft die Maschine rund. Andere Kandidaten werden nicht mehr nach ihren eigenen Plänen gefragt, sondern auf Trumps Ausfälle angesprochen. Er steht permanent im Zentrum, selbst wenn er nicht im Bild ist.
In Deutschland bedienen sich die neuen Rechten desselben Instruments: Je wahnwitziger ihre Vorstellungen, je infantiler ihre Anwürfe, desto häufiger fällt ihr Name. Und das der Politik entwöhnte Publikum verwechselt Prominenz mit Relevanz. Für Politiker ist die Frage nicht mehr unbedingt, ob ihre Fakten stimmen, sondern, ob sich ihre Zielgruppe für Fakten überhaupt interessiert.
Allerdings konnten die populistischen Rechten die Öffentlichkeit erst so mühelos übernehmen, nachdem es auch unter Demokraten niemanden mehr gab, der sie ernst genommen hat. Erst jetzt zeigt sich, wie wichtig es gewesen wäre, politische Debatten auf inhaltlicher Ebene zu führen, selbst wenn die Akteure wissen, dass diese Debatten sozialpsychologisch vergeblich sind und sie letztlich ein Theaterstück aufführen. Für eine Demokratie ist dieses Theaterstück unverzichtbar. Es ruft seinem Publikum immer wieder ins Bewusstsein, worum es im Kern geht: um einen ständigen, zähen Ausgleich der Interessen, um konkurrierende Auffassungen vom Gelingen eines Staates, um die Regelung der öffentlichen Angelegenheiten.
Drei Wahlen vor dem Ende
“Die Präsidentschaft ist ein ernsthafter Job”, sagte Barack Obama kürzlich in Richtung der Republikaner. “Es ist etwas anderes, als eine Talkshow oder eine Realityshow zu moderieren.” Dabei hat er als Präsidentschaftskandidat selbst lieber Big Data vertraut als der inhaltlichen Debatte. Nur: Wenn selbst die Demokraten nicht mehr an einen gemeinsam ausgehandelten gesellschaftlichen Konsens glauben, wieso sollten es ihre Wähler tun?
Die amerikanische Autorin Anne Applebaum hat gerade skizziert, wie hoch der Preis sein könnte, den der Westen für die Entfernung der Inhalte aus der Politik bezahlen muss. In einem Essay, den sie in dem amerikanischen Magazin Slate veröffentlichte, argumentiert sie, dass der Westen nur noch drei fehlgeschlagene Wahlen von seinem Ende entfernt sei. Diese drei Wahlen sind die Präsidentschaftswahlen in Frankreich, die Präsidentschaftswahlen in den USA und das EU-Referendum in Großbritannien.
Weder Marine Le Pen noch Donald Trump hätten ein Interesse an der Nato, schreibt Applebaum. Über die Europäer habe Trump geschrieben, dass “ihre Konflikte amerikanische Leben nicht wert sind. Mit einem Rückzug aus Europa würden (die USA) jährlich mehrere Millionen Dollar sparen”. Mit Wladimir Putin habe er hingegen eine “großartige Beziehung”. Marine Le Pen wirbt überdies für einen Austritt Frankreichs aus der EU, für eine Verstaatlichung der Konzerne und eine engere Bindung an Russland, von wo aus die Wahlkämpfe ihrer Partei schon heute teilweise finanziert werden. Und dass Großbritanniens EU-Austritt den Labour-Kandidaten Jeremy Corbyn ins Amt des Premierministers spült, der mit ähnlichen Gedanken hausieren geht, sei auch alles andere als ausgeschlossen.
“In einer Zeit, in der außenpolitische Debatten in den meisten westlichen Staaten komplett verschwunden sind und vom Reality-TV der politischen Unterhaltung ersetzt wurden, sind diese Dinge einer Öffentlichkeit, die daran nicht im Geringsten interessiert ist, viel schwerer zu vermitteln”, schreibt Applebaum. Dass der Westen seinen Mitgliedsstaaten seit einem halben Jahrhundert Stabilität und nukleare Abschreckung biete und dass ein gemeinsamer Markt Wohlstand und Wachstum gebracht habe, seien Dinge, die “wir für selbstverständlich halten, bis wir sie verloren haben”.
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