Die Polizistenmorde von Dallas sind durch nichts zu rechtfertigen. Aber sie sagen einiges aus über die Verhältnisse in der Gesellschaft der Vereinigten Staaten.
Fünf Polizisten von einem Heckenschützen ermordet – diese Nachricht hat die Vereinigten Staaten erschüttert. Sie lässt aber auch viele in Deutschland nicht kalt, die immer wieder mit Nachrichten von Hass und Gewalt aus dem Land konfrontiert sind. Um die Geschehnisse einordnen zu können, hilft es, sie von drei verschiedenen Perspektiven aus zu betrachten.
„Es war eine bösartige, berechnende Attacke gegen Polizisten“, hat US-Präsident Barack Obama gesagt. Er hat den vollen Einsatz der Ermittler versprochen, um die Hintergründe aufzuklären. Vom kriminalistischen Standpunkt aus ist damit im Grunde alles gesagt. Es sieht danach aus, als sei der Todesschütze, der 25-jährige Micah Johnson, vom Hass auf Weiße getrieben gewesen. Was immer in seinem Kopf vorging, die Tat lässt sich durch nichts, aber auch gar nichts rechtfertigen. Sie ist hinterhältig und niederträchtig.
Die zweite Perspektive betrifft das Anliegen der Demonstranten, die auf der Straße waren, als die Polizisten starben. Sie wendeten sich dagegen, dass es immer wieder zu Fällen von exzessiver Polizeigewalt gegen Schwarze kommt. Diese Kritik hat Substanz. Vielerorts sind willkürliche Polizeikontrollen gegen Minderheiten Realität. Schwarze landen häufiger im Gefängnis als Weiße. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat die Polizei Fahrzeuge und Waffen vom Militär erhalten. Ihr brachiales Vorgehen wird in der US-Gesellschaft selten hinterfragt – auch die Partei der Demokraten fürchtet, dies sei unpopulär. Allzu oft bekommen vor allem Schwarze die Folgen zu spüren.
Die Demonstration war in ihrem Anliegen also so berechtigt, wie es normaler Alltag ist, dass sie von Polizisten begleitet wurde. Wichtig ist: Der Kampf der Schwarzen, aber auch von anderen Bürgerrechtsaktivisten gegen Rassismus darf jetzt nicht diskreditiert werden, weil jemand einen mörderischen Anschlag auf weiße Polizisten begangen hat.
„Nicht für soziale Lösungen ausgerüstet“
Die Benachteiligung der Schwarzen in den USA ist untrennbar verbunden mit der sozialen Frage. Zwar sind auch immer mehr Weiße ökonomisch abgehängt, aber die Schwarzen sind davon in großer Zahl seit vielen Generationen betroffen. Die Soziologin Alice Goffman ist als Weiße für eine Studie für sechs Jahre in ein von Schwarzen bewohntes Armenviertel in Philadelphia gezogen. In ihrem Buch „On the run“ beschreibt sie alltägliche rassistische Übergriffe durch die Polizei. Goffman erklärt aber auch, diese befinde sich in einer unmöglichen Situation. Sie sei die einzige staatliche Instanz überhaupt, die sich mit den riesigen Problemen in den Ghettos ernsthaft befasse. „Aber die Polizei und die Gerichte sind nicht für soziale Lösungen ausgerüstet“, hält die Soziologin mit Recht fest. „Sie sind ausgerüstet mit Handschellen und Gefängniszellen.“
An all diesen Problemen hat sich auch unter Barack Obama zu wenig geändert. Das hat erstens damit zu tun, dass auch er – ganz in der Tradition des Demokraten Bill Clinton – vor allem auf ein Erstarken der Wirtschaft setzte, ohne dabei den sozialen Ausgleich mit Nachdruck zu forcieren. Gleichzeitig wollte der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten es unbedingt vermeiden, als Anwalt einer bestimmten Gruppe wahrgenommen zu werden. Deshalb hat er im Kampf gegen Rassismus eher situativ reagiert, als dass er das Thema nachhaltig vorangetrieben hätte.
Unvergessen bleibt etwa, wie der Präsident nach dem Massaker an neun Schwarzen in einer Kirche in South Carolina „Amazing grace“ sang, ein Lied, das schon den Sklaven Kraft und Hoffnung gab. Doch zugleich hat er entscheidende Fragen zu selten gestellt: Was lässt sich dagegen tun, dass Schwarze in Sachen Bildung noch immer stark benachteiligt sind, weil die Chancen des Einzelnen stark vom Geld abhängen? Wie ist es zu schaffen, dass der amerikanische Traum den Schwarzen in den Ghettos auch praktisch offensteht – und nicht nur theoretisch?
Die dritte Perspektive beschäftigt sich mit der Frage, warum gerade in den USA immer wieder spektakuläre Gewaltverbrechen geschehen. Dabei gibt es – ganz unabhängig vom jeweiligen Einzelfall – grundsätzlich keinen vernünftigen Zweifel daran, dass das laxe Waffenrecht oft ein Faktor ist.
An einer Waffe an sich sei doch gar nichts Böses, argumentieren die Gegner einer stärkeren Kontrolle in den Vereinigten Staaten stets. Es gebe nur Menschen, die Schlimmes damit täten. Doch wenn Waffen für jeden leicht zugänglich sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese in die Hände von schlechten oder verwirrten Menschen geraten, die damit Furchtbares anrichten. Das ist so logisch wie das kleine Einmaleins. Auch wenn starke Lobbykräfte in den USA dies leugnen – und viel Geld für ihre Botschaft investieren.
Was auch immer die weitere Aufklärung der Tat von Dallas noch ergibt, alle diese drei Dinge sind richtig: Die Morde an den Polizisten sind verabscheuungswürdig. Die Proteste gegen Polizeigewalt sind berechtigt. Abrüstung im Inneren täte den USA gut.
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