Trump Wants To Unite Americans in Fear

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Aus dem zynischen Blickwinkel der Wahlkampftaktik hat Donald Trump am vorigen Sonntag eine Chance vergeben. Nach einer Woche, in der sogar „Speaker“ Paul Ryan als ranghöchster Republikaner dem Präsidentschaftskandidaten seiner Partei „Rassismus aus dem Lehrbuch“ vorgeworfen hatte, bot das Massaker von Orlando Trump Gelegenheit zur großen Geste. Er hätte zum Beispiel an seinen Hochhäusern riesige amerikanische Flaggen aufhängen können. Oder er hätte sein Motto leicht abwandeln und sich mit präsidialer Gravitas als der Mann präsentieren können, der für Sicherheit bürgt – Make America Safe Again! Schließlich hatte Omar Mateen, selbsternannter Rächer des „Islamischen Staats“, 49 Menschen in einer Schwulenbar erschossen.

Stattdessen folgte Trump in einem der bittersten Momente der Nation seinen Instinkten und twitterte Boshaftigkeiten. Präsident Barack Obama müsse abtreten, weil er nicht vom „radikalen Islam“ rede, schrieb Trump. Er bedankte sich für die Glückwünsche, die er nach dem Blutbad bekommen habe, weil sich seine finsteren Vorhersagen erfüllt hätten. Er schürte die Angst. Im Land hielten sich Tausende Todesschützen von Mateens „Geisteshaltung“ auf, sagte er. Sie würden von Amerikas Muslimen gedeckt: „Die Leute um sie herum, meist Muslime, wissen, wer sie sind.“

Obama und dessen Wunschnachfolgerin Hillary Clinton wollten aber weitere Terroristen ins Land lotsen. Der Flüchtlingsstrom von Syrien nach Amerika – in Wahrheit eher ein Rinnsal – sei ein „Trojanisches Pferd“. Entsprechend müsse man das Unheil hochrechnen, das der Einzeltäter Mateen in Orlando anrichtete: „Könnt ihr euch vorstellen, was sie erst in großen Gruppen machen werden, wie wir sie jetzt hereinlassen?“ Die Terroristen könnten Amerika vernichten. „Wir werden kein Land mehr haben“, unkte Trump. „Nichts, gar nichts wird noch übrig sein.“

Die Partei bleibt bei ihrem Eiertanz

Mehrmals legte der Kandidat nahe, dass Obama nicht nur zu schwach und zu dumm sein könnte, um die Apokalypse aufzuhalten, sondern dass er den Dschihad aus „politischer Korrektheit“ in Kauf nehme, wenn nicht gar aus noch dunkleren Motiven fördere. Vielleicht verstehe der Präsident die Bedrohung „besser als jeder andere“, orakelte Trump, habe aber „etwas anderes im Sinn“.

Schon früher hatte sich Trump ähnlich infam über Obamas Flüchtlingspolitik ausgelassen: „Viele Leute glauben, da stecken böse Absichten hinter.“ Der Präsident wolle das Terrorproblem nicht lösen, weil es „da etwas gibt, wovon wir nichts wissen“. So belebt Trump wieder seine liebste Verschwörungstheorie: dass Obama ein Muslim aus Afrika sei. Nach dem Anschlag von Orlando bekräftigte der Republikaner, dass der Demokrat „dem Feind Vorrang“ vor „dem amerikanischen Volk gibt“.

Trump blieb Trump. Auch seine Partei blieb bei ihrem jämmerlichen Eiertanz: Paul Ryan verurteilte die Idee eines Einreiseverbots für Muslime, konservative Kongressmitglieder rollten weiter mit den Augen oder flohen vor Reportern – aber niemand von Rang nahm seine Wahlempfehlung für Trump zurück. Umso lauter empörten sich Demokraten, dass Trump die Tragödie von Florida parteilich ausnutze. Doch das war ein Missverständnis. Trump sprach nicht als Republikaner. „Haltet einfach die Klappe“, riet er den Spitzenpolitikern seiner Partei. „Unsere Anführer müssen viel härter werden.“ Eigentlich sei die Lage zu ernst, um sie allein zu bewältigen. „Aber wisst ihr was? Ich werde dazu gezwungen sein.“

Ein Schlag ins Gesicht

Einen Monat vor dem Parteitag in Cleveland versucht Trump also weniger, den Graben zwischen Demokraten und Republikanern zu verbreitern, als den Keil zwischen Elite und Politik tiefer zu treiben. Damit erweist er sich, frei nach Paul Ryan, als „Populist aus dem Lehrbuch“. Um seinen Anspruch als einzig wahrer, im Wortsinn rücksichtsloser Volksvertreter zu untermauern, hat Trump auch noch zwei rote Linien republikanischer Dogmatik übertreten.

Zum einen zeigte er sich mit den Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern solidarisch, den „großartigen Menschen“, denen Mateens Attacke galt. Er empfahl sich den Homosexuellen als Schutzpatron, denn der „radikale Islam“ bedrohe ihre Lebensweise. Diese Argumentation kennen Europäer von Politikern wie dem Niederländer Geert Wilders. In Amerika empfanden Evangelikale die Volte als weiteren Schlag ins Gesicht. Noch zwei Tage vor dem Anschlag hatte Trump der christlichen Rechten versichert, er teile ihre Werte „zu hundert Prozent“.

Dann schickte sich Trump auch noch unerschrocken an, der Waffenlobby ein Zugeständnis abzuringen: Terrorverdächtige sollten keine Waffen mehr kaufen dürfen. Kein Wort verlor der Kandidat darüber, dass im Senat bereits Gesetzentwürfe von Republikanern und Demokraten vorliegen, die diesem Ziel dienen sollen, und dass die „National Rifle Association“ die (schwächere) Version der Konservativen längst gutgeheißen hat. Trump will nicht Kompromisse schmieden, er will ein Armdrücken zelebrieren. Und das tue er für alle Amerikaner jeder Couleur, wie er seit Mitte der Woche hervorhebt: „Make America great for everybody!“ Außer vielleicht für Muslime und illegale Einwanderer.

Hillary ist auf Obama angewiesen

Noch ist nicht zu sagen, ob die Melange aus Hetze, Machismo und Volksverbrüderung Trump in den Tagen nach Amerikas schlimmster Terrorattacke seit 9/11 geholfen hat. Einerseits hat er Zweifel bestärkt, ob er das Zeug zum Staatsmann habe. Andererseits hat er im Verlauf der Woche gezeigt, dass er taktisch flexibler ist als die meisten Parteipolitiker. Trump profitiert davon, dass viele Amerikaner im Angesicht des Dschihadismus jedes Vertrauen in Obama verloren haben. Der Präsident ist in Taten und Worten vorsichtig. Er will Panik verhindern, weil er mit Blick auf die amerikanische Geschichte politische Fehlentscheidungen fürchtet, die aus Angst entstehen. Durch seinen kühlen Kopf hat er aber den Eindruck erweckt, als ignoriere er die Gefahr und nehme die Bangigkeit in der Bevölkerung nicht wahr. Das Risiko unliebsamer Konsequenzen könnte er so vergrößert haben.

Clinton versucht, den Besorgten weiter entgegenzukommen. Wo Obama nur von „Extremismus“ und schwer feststellbaren „Radikalisierungstendenzen“ redet, nimmt sie jetzt den Begriff „radikaler Islamismus“ in den Mund. Sie nennt die „Barbarei“ der Dschihadisten beim Namen und verspricht neuen Elan im Kampf gegen „einsame Wölfe“. Deutlicher kann sie sich aber als frühere Außenministerin nicht von Obama distanzieren, auf dessen Wahlkampfhilfe sie angewiesen ist. Und ein eingängiges Patentrezept gegen den dschihadistischen Sog hat Clinton so wenig wie sonst jemand. Trump macht es sich leichter. Er scheint an echten Lösungen nicht interessiert. Er will jetzt die Amerikaner in Angst vereinen – vor dem Terror und vor dem angeblichen Defätismus der „politischen Korrektheit“.

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